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Kompaktlexikon der Biologie: Schwangerschaft

Schwangerschaft, Gravidität, physiologischer Zustand der Frau nach Befruchtung einer Oocyte (Empfängnis) bis zur Geburt (bei Säugetieren als Trächtigkeit bezeichnet). Verschiedentlich wird die Schwangerschaftsperiode erst vom Zeitpunkt der Einnistung (Nidation) der Eizelle in die Gebärmutterschleimhaut an gerechnet und dann zwischen einer Progestations- und einer Gestationsphase unterschieden. Zwischen Befruchtung und vollendeter Nidation vergehen etwa acht bis zehn Tage, nach weiteren vier Tagen beginnt die Differenzierung einer Placenta (Embryonalentwicklung). Die S. dauert etwa 270 Tage und kann schon frühzeitig mittels verschiedener Schwangerschaftstests nachgewiesen werden.

Die S. geht mit tiefgreifenden hormonellen Umstellungen des Körpers einher, die zahlreiche Veränderungen an den Geschlechtsorganen, aber auch den anderen Organen der Frau hervorrufen und als Schwangerschaftszeichen, mehr oder weniger sicher diagnostizierbar, von der eingetretenen S. künden. So werden unter dem Einfluss von Progesteron, Estrogenen und Relaxin Gewebebereiche der Vagina, des Muttermundes und der Gebärmutter aufgelockert; ihre Konsistenzveränderung kann manuell ertastet werden. Des weiteren führen Ablagerungen von Melaninen zur dunklen Pigmentierung im Bereich der äußeren Genitalien, der Brustwarzen, der Linea alba (Sehnenstreifen zwischen den Bauchmuskeln) und z.T. im Gesicht. Verschiedentlich werden so genannte Schwangerschaftsstreifen (Striae gravidarum) an Bauch und Brüsten sichtbar, die von einer Schädigung der Bindegewebsfasern (durch eine Überproduktion von Glucocorticoiden während der S.) herrühren. Der Leibesumfang der Schwangeren vergrößert sich mit zunehmendem Wachstum der (glatten) Muskelzellen der Gebärmutter (die von etwa 50 g auf ca. 1000 g zunimmt) bis zum Ende der 36. Schwangerschaftswoche. Danach senkt sich die Gebärmutter mit dem Eintritt des kindlichen Kopfes ins kleine Becken. Die Kindslage und -größe können um diesen Zeitpunkt erfühlt werden (weit vorher jedoch schon mittels UItraschalluntersuchungen ermittelt werden). Alle geschilderten Veränderungen unterliegen starken individuellen Schwankungen. Dies gilt in besonderem Maße für die unterschiedlichen psychischen Zustände sowie die bekannte morgendliche Übelkeit bzw. das Schwangerschaftserbrechen (Emesis gravidarum) in den ersten drei Schwangerschaftsmonaten und für die durch die vermehrte Herzarbeit (Herzminutenvolumen) auftretende Neigung zu Ödemen, Krampfadern und Hämorrhoiden. Generell ist der Grundumsatz in der Schwangerschaft um etwa 20 % erhöht, zusammen mit einer Erhöhung der Atemfrequenz.

Naturgemäß ist die S. zahlreichen potenziellen Komplikationen ausgesetzt, die sowohl die Mutter als auch den Fetus betreffen können. Ein befruchtetes Ei kann die Nidation im Uterus verfehlen und sich außerhalb des Uterus entwickeln (Extrauteringravidität). Zahlreiche Medikamente und Gifte sind in der Lage, die Placentaschranke zu passieren und in den fetalen Stoffwechsel einzugreifen, gelegentlich mit fatalen Folgen, wie die Schädigungen durch Contergan (Thalidomid) gezeigt haben. Ebenso können Alkoholkonsum und Rauchen zu Schädigungen des Embryos führen. Von besonderer Bedeutung sind Komplikationen bei manifest oder latent diabetischen Schwangeren (Diabetes mellitus). Schon bei gesunden Schwangeren kommt es häufig zu einer verminderten Glucoserückresorption in der Niere und damit zu einem erhöhten Zuckerverlust (renale Glucosurie, Schwangerschaftsdiabetes), eine Erscheinung, die nach Beendigung der Schwangerschaft jedoch verschwindet. Anders dagegen bei einem echten Insulin-Mangel der Mutter: Der erhöhte Glucosespiegel im mütterlichen Blut führt zu einem Überangebot von Kohlenhydraten an den Fetus und damit zu gesteigerten Geburtsgewichten, die oft einen Kaiserschnitt notwendig machen. Da während der Schwangerschaft die Insulinproduktion des Fetus zumindest teilweise den Bedarf der Mutter decken kann, muss unmittelbar nach der Geburt auf einen rapiden Insulinabfall bei der Mutter geachtet werden. Verschiedentlich tritt in den letzten vier Schwangerschaftsmonaten eine Gelbsucht (Schwangerschaftsikterus) auf, hervorgerufen durch Abbauprodukte von fetalen Purinderivaten, die ungenügend zur Ausscheidung vorbereitet sind (mangelnde Sulfatisierung und Glucuronidbildung), in den mütterlichen Kreislauf übertreten und dort die Gallensekretion (Galle, Gallensäuren) stören.

An den physiologischen Prozessen, die die Schwangerschaft beenden, sind sowohl der Körper der Schwangeren als auch der kindliche Organismus beteiligt, wobei die genauen hormonellen, die Geburt auslösenden Vorgänge noch nicht bekannt sind. Eine Rolle spielen der Progesteronabfall am Ende der Schwangerschaft, ferner möglicherweise eine erhöhte Sekretion von Oxytocin, die zu einer rhythmischen Kontraktion des Uterus führt, und die Ausschüttung von Relaxin. Wichtig scheint vor allem eine erhöhte Sekretion von C19-Steroiden (Glucocorticoiden) aus der Nebennierenrinde des Fetus zu sein, die zu einer Umorientierung des Steroidstoffwechsels der Mutter führt, indem Estrogen aus Progesteron gebildet wird. Estrogene sind als wirksame Stimulatoren der Prostaglandinsynthese (Prostaglandine) und -ausschüttung bekannt; Prostaglandin E seinerseits fördert die Uteruskontraktionen, weswegen es auch bei einem notwendigen Schwangerschaftsabbruch Verwendung findet. (Empfängnisverhütung, Fetalentwicklung, Fruchtwasser, Fruchtwasseruntersuchung, Geschlechtsverkehr, Insemination, Reproduktionsmedizin und zugehöriges Essay: Reproduktionsmedizin – Glück bringende Fortschritte oder unzulässige Eingriffe?, Röteln, Schwangerschaftsabbruch)

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Redaktion:
Dipl.-Biol. Elke Brechner (Projektleitung)
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Dr. Daniel Dreesmann

Wissenschaftliche Fachberater:
Professor Dr. Helmut König, Institut für Mikrobiologie und Weinforschung, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Professor Dr. Siegbert Melzer, Institut für Pflanzenwissenschaften, ETH Zürich
Professor Dr. Walter Sudhaus, Institut für Zoologie, Freie Universität Berlin
Professor Dr. Wilfried Wichard, Institut für Biologie und ihre Didaktik, Universität zu Köln

Essayautoren:
Thomas Birus, Kulmbach (Der globale Mensch und seine Ernährung)
Dr. Daniel Dreesmann, Köln (Grün ist die Hoffnung - durch oder für Gentechpflanzen?)
Inke Drossé, Neubiberg (Tierquälerei in der Landwirtschaft)
Professor Manfred Dzieyk, Karlsruhe (Reproduktionsmedizin - Glück bringende Fortschritte oder unzulässige Eingriffe?)
Professor Dr. Gerhard Eisenbeis, Mainz (Lichtverschmutzung und ihre fatalen Folgen für Tiere)
Dr. Oliver Larbolette, Freiburg (Allergien auf dem Vormarsch)
Dr. Theres Lüthi, Zürich (Die Forschung an embryonalen Stammzellen)
Professor Dr. Wilfried Wichard, Köln (Bernsteinforschung)

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