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Kompaktlexikon der Biologie: Symmetrie

Symmetrie, die geordnete Wiederholung gleicher Strukturelemente. Sie wird überall dort beobachtet, wo es einander zugeordnete, aufeinander bezogene Ähnlichkeiten gibt. S. äußert sich im Auftreten regelmäßiger Muster. Die Musterelemente können gedanklich durch so genannte Deckoperationen aufeinander abgebildet werden. Die meisten Organismen lassen auffällige S. erkennen. In der gegenseitigen Abhängigkeit der Musterelemente spiegelt sich der Systemcharakter aller Organismen wider.

Ursprünglich existierten in der Symmetrielehre drei Grundformen der S.: Metamerie, Radiär- und Spiegelsymmetrie. Bei der Metamerie (Segmentierung) sind identische/ähnliche Strukturelemente entlang einer Linie in immer gleicher Orientierung und gleichen Abständen aufgereiht. Im einfachsten Fall ist diese Linie eine Gerade, und alle Strukturelemente sind nicht nur gleich gestaltet, sondern auch gleich groß (homonome Segmentierung). Stetige Vergrößerung oder Verkleinerung der Metameren und/oder ihrer Abstände sowie ihre Differenzierung führen zu heteronomer Segmentierung. So ist, z.B. bei den Zweigen von Sträuchern und Bäumen, die sonst meist homonome Metamerie der Sprossachsen (Knoten/Internodien) durch unterschiedlich kräftiges Austreiben von Achselknospen gewöhnlich in heteronome Metamerie verwandelt. Ein anderes Beispiel sind die durch metamere Aneinanderreihung globulärer Proteineinheiten entstehenden Protofilamente (F-Actin, Protofilamente der Mikrotubuli usw.). Die Krümmung der Metamerie-Linie in einer Ebene führt zusammen mit heteronomer Segmentierung zu spiraligen Mustern, wie sie z.B. bei den Schalen von Weichtieren beobachtet werden können.

Radiär- oder Rotationssymmetrie (Strahlensymmetrie, Aktinomorphie) ist gegeben, wenn Symmetrieelemente durch Drehung um eine Symmetrieachse zur Deckung gebracht werden können. Die geläufigsten Beispiele radiärsymmetrischer Biostrukturen werden von Blattwirteln und Blüten geliefert. Auch die Fruchtkörper und Mycelien vieler Pilze sind radiärsymmetrisch. Im Tierreich ist diese Symmetrieform selten; sie beschränkt sich hier vor allem auf sessile oder nur langsam sich bewegende Formen (z.B. Korallen; Thekamöben; Seeigel und Seesterne) oder auf planktontisch lebende Arten (z.B. Radiolaria, Heliozoa, Quallen).

Die dritte der klassischen Symmetrieformen ist die Bilateral- oder Spiegelsymmetrie. Deckoperation der Bilateralsymmetrie ist die Spiegelung, die Zahl der Symmetrieelemente ist 2. Bilateralsymmetrie ist im Tierreich vorherrschend; mehr als 95 % der Tierarten zählen zu den Bilateria. Fast stets ist die Spiegelsymmetrie gepaart mit Dorsoventralität, d.h. unterschiedlicher Formung einer Ober- und Unterseite. Spiegelsymmetrie bestimmt auch die Körpergestalt des Menschen sehr weitgehend. Für viele Pflanzen-Fam. sind zygomorphe Blüten typisch (Orchideen; Veilchen, Lippen- und Rachenblütler usw.). Blattorgane sind fast immer bilateralsymmetrisch. Von vielen Biomolekülen gibt es enantiomorphe Formen (Enantiomere), von denen im Stoffwechsel gewöhnlich nur eine verwertet wird (z.B. α-Aminosäuren, D-Glucose).

Wiederholungen von Abläufen entlang der Zeitachse (zeitliche S.) sind als Rhythmen bekannt. Solche zeitlichen Metamerien können ohne weiteres als räumliche dargestellt werden (Tierfährten; Spinnennetze; Segmentierung als Folge von Entwicklungsrhythmen). Viele biologische Vorgänge sind rhythmisch, zugleich auf Rhythmen der Umwelt (Tages- und Jahreszeiten, Mondphasen und Gezeiten) abgestimmt oder durch sie einreguliert (Biorhythmik, innere Uhr). Eine zeitliche Metamerie von grundlegender Bedeutung für alle Lebewesen ist die Generationenfolge. Die zyklische Rückkehr zu einer einfachsten Ausgangssituation (befruchtete Eizelle, Spore, Brutknospe usw.) führt dazu, dass jedes Entwicklungsstadium im Fortpflanzungs-(Lebens-)Zyklus zugleich Folge und auch wieder Ursache der Ausgangskonstellation ist.

Die Besonderheiten lebender Systeme bringen es mit sich, dass es bei ihnen Symmetrie- und Musterformen gibt, die der Mineralogie/Kristallographie fehlen. Wichtig sind Ergänzungssymmetrie sowie stochastische und funktionale S. Bei diesen Symmetrieformen wird die Bedingung der Ähnlichkeit von Musterelementen bzw. der Gleichheit ihrer Anordnung teilweise oder ganz aufgegeben. Die S. äußert sich hier darin, dass aus dem Vorhandensein von Musterelementen die Existenz und die Orientierung eines oder mehrerer weiterer Elemente postuliert werden kann. Dadurch wird der Systemcharakter der Organismen unterstrichen. Unter Ergänzungssymmetrie (Antisymmetrie) ist das gesetzmäßige Zugeordnetsein von unähnlichen, aber komplementären Einheiten zu verstehen. Bei Organismen stehen antisymmetrische Strukturen häufig im Dienste von Erkennung und/oder Fortpflanzung (Enzym/Substrat; Rezeptor/Ligand; Antigen/Antikörper). Aus dem makroskopischen Bereich sind der Bau der bei männlichen und weiblichen Tieren korrespondierenden Begattungsorgane (Schlüssel-Schloss-Prinzip) oder die Gelenke der Wirbeltiere zu nennen. Übermolekulare Biostrukturen werden i.Allg. zwar ähnlich, aber nicht identisch ausgebildet (z.B. die Blätter eines Baumes, die Zellen eines Flimmerepithels oder die Mitochondrien einer einzelnen Zelle). Die Schwankungen und Ungleichheiten ergeben sich daraus, dass die Neubildung solcher Musterelemente nicht einem starren Organisationsschema folgt, sondern aus dem Ineinandergreifen von Regulationsprozessen mit entsprechenden statistischen Fluktuationen resultiert. Die fertigen Musterelemente sind in Grenzen variabel: stochastische (statistische) S. An die Stelle echter Kongruenz treten hier die Gleichartigkeit und die morphologische/physiologische Gleichwertigkeit der Musterelemente. Funktionale S. ist morphologisch nicht fassbar; sie ist eine unanschauliche, aber für lebende (und technische) Systeme besonders typische Form der S., die auf Ketten und Netzen funktionaler Antisymmetrien beruht. Je mehr Elemente involviert sind, desto komplexer können die Leistungen eines Systems sein, desto niedriger wird aber zugleich die morphologische S. Damit hängt der i.Allg. niedrige Symmetriegrad von Zellstrukturen zusammen, die jedoch gleichzeitig höchste funktionale S. aufweisen.

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Redaktion:
Dipl.-Biol. Elke Brechner (Projektleitung)
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Dr. Daniel Dreesmann

Wissenschaftliche Fachberater:
Professor Dr. Helmut König, Institut für Mikrobiologie und Weinforschung, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Professor Dr. Siegbert Melzer, Institut für Pflanzenwissenschaften, ETH Zürich
Professor Dr. Walter Sudhaus, Institut für Zoologie, Freie Universität Berlin
Professor Dr. Wilfried Wichard, Institut für Biologie und ihre Didaktik, Universität zu Köln

Essayautoren:
Thomas Birus, Kulmbach (Der globale Mensch und seine Ernährung)
Dr. Daniel Dreesmann, Köln (Grün ist die Hoffnung - durch oder für Gentechpflanzen?)
Inke Drossé, Neubiberg (Tierquälerei in der Landwirtschaft)
Professor Manfred Dzieyk, Karlsruhe (Reproduktionsmedizin - Glück bringende Fortschritte oder unzulässige Eingriffe?)
Professor Dr. Gerhard Eisenbeis, Mainz (Lichtverschmutzung und ihre fatalen Folgen für Tiere)
Dr. Oliver Larbolette, Freiburg (Allergien auf dem Vormarsch)
Dr. Theres Lüthi, Zürich (Die Forschung an embryonalen Stammzellen)
Professor Dr. Wilfried Wichard, Köln (Bernsteinforschung)

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