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Kompaktlexikon der Biologie: Embryonalentwicklung

Embryonalentwicklung, Embryogenese, Keimesentwicklung, allg. die erste Phase in der Individualentwicklung eines Lebewesens.

1) Botanik: der Teil der pflanzlichen Entwicklung, der bei Samenpflanzen im Embryosack der Samenanlage und des unreifen Samens abläuft (Embryo). Während der E. wird der Pflanzenkörper rudimentär angelegt, wobei im Unterschied zu den meisten Tieren nicht die Gewebe und Organe einer adulten Pflanze ausgebildet werden. Sie entstehen erst später durch die Aktivität der Meristeme. Während der E. der Samenpflanzen (Spermatophyta) werden jedoch der für die Organe von Pflanzen typische radiäre Aufbau, die apikal-basale Ausrichtung der Achse und die primären Meristeme angelegt, aus denen der Hauptteil der späteren Pflanze hervorgeht. Nach einer asymmetrischen Teilung der Zygote entwickelt sich bei dikotyledonen Pflanzen die größere Basalzelle zum Suspensor (Embryoträger), der für die Ernährung des Embryos sorgt, der aus der kleineren apikalen Zeller hervorgeht. Nach weiteren Teilungen entstehen aus bestimmten Zellen die Anlagen der Kotyledonen (Keimblätter), des Apex, des Hypokotyls und der Wurzel. Der Suspensor degeneriert während der E. und die Ernährung des Embryos erfolgt durch das triploide Endosperm. ( vgl. Abb. )

Mit den Veränderungen der E. auf morphologischer Ebene gehen auch zahlreiche biochemische und molekularbiologische Veränderungen einher. Bei Arabidopsis thaliana wurden zahlreiche Mutanten beschrieben, bei denen für die E. spezifische Gene durch Mutationen betroffen sind. Bei einigen dieser Mutanten kommt es zum Ausfall der Synthese von Speichersubstanzen, zu einer verminderten Austrocknungstoleranz oder zu einer verfrühten Keimung. In einigen Fällen sind Gene betroffen, die frühe E.-Stadien betreffen, sodass die Embryonalentwicklung vorzeitig abgebrochen wird.

Am Ende der Samenentwicklung geht der Embryo durch Dehydratation in einen Ruhezustand über (Samenruhe), der erst mit der Zufuhr von Wasser und der Keimung beendet wird.

2) Zoologie: i.w.S. die Entwicklung eines vielzelligen Tieres von der aktivierten Eizelle bis zur selbstständigen Nahrungsaufnahme. Bei den Säugetieren ist dieser Zeitraum unterteilt in die Embryonalentwicklung i.e.S., in deren Verlauf alle Organe angelegt werden und die darauf folgende Fetalentwicklung. Die E. umfasst ein komplexes Wirkgefüge von begrifflich trennbaren Vorgängen, wie Zellteilung (Furchung), Musterbildung, Gestaltungsbewegungen (Morphogenese) und Zelldifferenzierung. Während der E. entsteht häufig nicht nur der definitive Körper, sondern auch extraembryonale oder Anhangsorgane mit vorübergehender Funktion (Allantois, Embryonalhüllen, Placenta). Sie beginnt mit der Furchung, ( vgl. Abb. ) durch die die Eizelle über ein (häufig fehlendes) Morula-Stadium (lockerer Zellhaufen) in einen Blasenkeim, die Blastocyste, verwandelt wird. Durch Einstülpung der Blastulawand an einer Stelle (Invagination) oder durch Delamination u.a. Prozesse entsteht der zunächst zweischichtige Becherkeim (Gastrula) ( vgl. Abb. ). Seine Organisation entspricht derjenigen der Hohltiere (Coelenterata). Bei den Bilateria wird der Keim im Laufe der Gastrulation dreischichtig (Keimblätter). Auf dieses Stadium folgt die Organbildung (Organogenese), in der sich die einzelnen Organanlagen ausformen (Morphogenese, z.B. Neurulation). Im Verlauf der histologischen Differenzierung erlangen sie ihre Funktionsfähigkeit und der Embryo kann das Juvenilleben beginnen. Diese Vorgänge verlaufen bei den einzelnen Tiergruppen sehr unterschiedlich.

Bei den meisten Tieren findet die E. außerhalb des Körpers statt, d.h. die Eier werden vor oder nach der Besamung durch Spermien aus dem weiblichen Körper entlassen. Solche Eier entwickeln sich entweder frei (z.B. viele Meerestiere) oder werden an geeigneten Orten abgelegt (z.B. Amphibien), die z.T. zuvor hergerichtet wurden (z.B. viele Insekten, die meisten Reptilien und Vögel). Liegt Brutpflege vor, können die Eier am Körper eines Elterntieres getragen werden (z.B. manche Spinnentiere und Krebse sowie Seepferdchen und Geburtshelferkröte) oder sie werden von einem oder beiden Elterntieren ausgebrütet. Die Eier können aber auch im weiblichen Körper verbleiben, sodass die ganze E. dort stattfindet und der Embryo gleichzeitig mit dem Schlüpfen aus dem Ei geboren wird (Ovoviviparie, z.B. Kreuzotter). Wird der Embryo während des Heranwachsens von der Mutter ernährt (echte Viviparie), dann bildet er spezielle Organe für den Stoffaustausch aus (z.B. die Placenta der höheren Säugetiere).

Die Embryonalentwicklung des Menschen dauert bis etwa zum Ende des dritten Monats. Ab fünf Tage nach der Befruchtung findet die Einnistung (Nidation) des Keims in die Gebärmutterwand statt und nach etwa zehn weiteren Tagen beginnt die Bildung der Keimblätter (Gastrulation). Sie dauert bis zum Ende des ersten Entwicklungsmonats, wird aber bald von der Neurulation, der Anlage von Rückenmark und Gehirn, zeitlich überlagert. Im zweiten Monat werden die Anlagen der Gliedmaßen und der inneren Organe sowie von Augen, Nase, Mund und Ohren gebildet ( vgl. Abb. ). Im dritten Monat verschwinden die embryonal noch angelegten zweiten bis vierten Kiementaschen, Kopf und Gesicht entwickeln sich, die ersten Haare sowie Finger- und Zehennägel werden gebildet. Am Ende der E. ist der Embryo rund 7 cm lang und 20 g schwer.



Embryonalentwicklung: Embryonalentwicklung bei zweikeimblättrigen Pflanzen: 1, 2, 3 frühe Teilungssatdien; 4, 5, 6 Ausbildung eines Köpfchens und 7 des Embryos; 8 Lage des Embryos im Fruchtknoten



Embryonalentwicklung: Links mikroskopische Aufnahme eines Seeigelembryos im Vierzellenstadium (Furchung), rechts daneben eines menschlichen Embryos im Achtzellenstadium



Embryonalentwicklung: Gastrulation und Ausbildung der Körpergrundgestalt (d = dorsal, v = ventral, a = anterior, p = posterior): a Längsschnitt der Blastula mit epidermalem Ektoderm (hellgraue Zellen oben links), neuralem Ektoderm (helle Zellen oben rechts), Mesoderm (dunkle Zellstreifen links und rechts Mitte) und Entoderm (untere Zellmasse). b Die Gastrulation beginnt auf der Dorsalseite des Keims mit der Bildung des Urmunds (Blastoporus). c, d Mesoderm und Entoderm werden bei der Gastrulation ins Innere des Keims verlagert. Dabei streckt sich die Dorsalseite stärker als die Ventralseite. e nach der Neurulation ist im Schwanzknospenstadium die Körpergrundgestalt angelegt



Embryonalentwicklung: Embryonalentwicklung des Menschen: Verschiedene Phasen in der Ausbildung des Gesichts beim menschlichen Embryo; a etwa 28 Tage alt, b etwa 6. Woche, c etwa 45 Tage alt, d etwa 8. Woche

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Redaktion:
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Professor Dr. Siegbert Melzer, Institut für Pflanzenwissenschaften, ETH Zürich
Professor Dr. Walter Sudhaus, Institut für Zoologie, Freie Universität Berlin
Professor Dr. Wilfried Wichard, Institut für Biologie und ihre Didaktik, Universität zu Köln

Essayautoren:
Thomas Birus, Kulmbach (Der globale Mensch und seine Ernährung)
Dr. Daniel Dreesmann, Köln (Grün ist die Hoffnung - durch oder für Gentechpflanzen?)
Inke Drossé, Neubiberg (Tierquälerei in der Landwirtschaft)
Professor Manfred Dzieyk, Karlsruhe (Reproduktionsmedizin - Glück bringende Fortschritte oder unzulässige Eingriffe?)
Professor Dr. Gerhard Eisenbeis, Mainz (Lichtverschmutzung und ihre fatalen Folgen für Tiere)
Dr. Oliver Larbolette, Freiburg (Allergien auf dem Vormarsch)
Dr. Theres Lüthi, Zürich (Die Forschung an embryonalen Stammzellen)
Professor Dr. Wilfried Wichard, Köln (Bernsteinforschung)

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