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Kompaktlexikon der Biologie: Haare

Haare, Sammelbez. für fadenförmige Oberflächenfortsätze unterschiedlicher Größenordnung, Struktur und Funktion.

1) Zoologie: Bei Insekten u.a. Arthropoda sind H. Anhänge der Cuticula. Hierbei wird unterschieden zwischen unechten H. (Microtrichia), massiven, nicht gelenkig mit der Cuticula verbundenen Gebilden, die meist nur aus Exo- und Epicuticula bestehen und echten H. (Macrotrichia, Borsten). Alle echten H. sind gleichzeitig Sinnesborsten. Bei Krebsen (Crustacea) und Insekten sind sie häufig von Sinneszellen begleitet, die mit Rezeptorstiftchen ausgestattet sind. Je nach Funktion wird zwischen Sinneshaaren, Gifthaaren, Hafthaaren und Drüsenhaaren unterschieden. Speziell umgewandelte H. sind auch die Schuppen vieler Insekten, z.B. von Schmetterlingen (Lepidoptera).

Die H. (Pili) der Säugetiere, bestehen aus α-Keratin (Keratine), das meist in α-Helix-Konfiguration vorliegt, gelegentlich aber auch in β-Faltblattstruktur mit parallel angeordneten Proteinketten. Das Säugerhaar ist ein aus mehreren konzentrischen Zellschichten bestehender Hornfaden. Es ist seiner Länge nach gegliedert in den über die Haut ragenden Haarschaft (Scapus pili) und die lange, schräg in der Haut steckende und tief in der Subcutis zur Haarzwiebel (Haarbulbus, Bulbus pili) verdickte Haarwurzel (Radix pili) ( vgl. Abb. ). Ein H. entsteht aus einem soliden Epidermiszapfen, der von der Oberfläche her schräg in das Corium einwächst, sich an seinem unteren Ende in der Subcutis birnenförmig verdickt (Haarzwiebel, Haarfollikel) und wie eine Glocke über eine fingerförmige Bindegewebspapille (Haarpapille, zur Ernährung) stülpt. Diese Haaranlage ist von einer straffen Bindegewebsscheide umgeben. Stark teilungsaktive Zellen im Zentrum der Haarzwiebel schieben sich in der Achse des Epithelzapfens oberflächenwärts vor und verhornen, während sich über ihnen durch Absterben von Zellen ein Haarkanal zur Hautoberfläche öffnet. Die ebenfalls verhornenden Wandzellen des Haarkanals gehen in die Epidermis über. Sie bilden eine äußere Wurzelscheide, innerhalb derer die Außenschicht des wachsenden H. entlanggleitet. Nahe der Mündung des Haarkanals zerfällt die innere Wurzelscheide in Hornschuppen, und der zentrale Hornfaden aus drei Zellagen, Cuticula, Rinde und Mark, tritt als H. nach außen. Die aus feinen, dachziegelartig einander überlappenden Hornschüppchen bestehende Cuticula ( vgl. Abb. ) zeigt in Zellform und -anordnung ein artspezifisches Muster und besitzt deshalb taxonomischen Wert. Die Rinde aus fibrillären Zellen verleiht dem H. seine Reißfestigkeit und ist gleichzeitig Träger von Pigmentgranula und damit der Haarfarbe. Die geldrollenartig aneinander gereihten, besonders im Alter mit Gasblasen erfüllten Markzellen bilden eine lockere Füllmasse. Die Haarfarbe wird durch den Gehalt an eingelagertem Melanin (dunkle H.) und Phäomelanin (helle bzw. rote H.), Gasblasen und den Fettgehalt der Cuticula bestimmt. Sie ist mit der Augenfarbe und der Hautfarbe korreliert, was auf einen einheitlichen Genkomplex schließen lässt. Das Ergrauen der H. erfolgt bei Beendigung der Melaninbildung oder dem Verlust von Melanocyten im Verlauf des Haarwechsels, indem ein Zurückziehen der Pigment liefernden Melanocytenfortsätze unterbleibt und diese mit dem Haar verloren gehen. Derartige Störungen sind genetisch bedingt, nehmen aber auch mit dem Alter zu. Bei Albinos (Albinismus) können die Melanocyten aufgrund eines genetischen Enzymdefekts kein Pigment erzeugen. Nahe der Austrittsöffnung des H. mündet gewöhnlich eine große Talgdrüse in den Haarkanal. Unmittelbar unter ihr setzt im stumpfen Winkel der Haarneigung ein zur Hautoberfläche ziehender Hautmuskel (Musculus arrector pili) an, der das Haar aufzustellen vermag (Haare sträuben, Bildung von Gänsehaut).

Das Wachstum der H. im Haarfollikel verläuft in einem dreistufigen Zyklus: Auf das Wachstum folgt eine Phase der Abstoßung und Regeneration sowie eine Ruhephase. Der Eintritt in einen neuen Zyklus wird durch einen Estrogenrezeptor reguliert.

Ihrer Form nach lassen sich mehrere Haartypen unterscheiden: kurze stark gekräuselte Wollhaare (Unterhaare), welche die Wärmeisolationsschicht bilden und lange, kräftige Deckhaare oder Konturhaare (Oberhaare), die vielfach die äußere Körperform bestimmen. Viele Säuger besitzen Tasthaare (Vibrissen, Sinushaare), lange Borsten, deren Wurzeln von Nervenendigungen umsponnen sind. Die Haarzeichnung kann der Tarnung dienen oder, versehen mit artspezifischen Mustern, der inner- und zwischenartlichen Kommunikation. Gleiches gilt für die Betonung von Körperteilen durch unterschiedlichen Haarwuchs, z.B. Mähnen, Bartwuchs und Schambehaarung als sekundären Geschlechtsmerkmalen. Haarähnliche, den Säugerhaaren jedoch in keinem Fall homologe Epidermisanhänge kennt man auch bei einzelnen Amphibien, Reptilien und Vögeln. So trägt das Haarfroschmännchen zur Fortpflanzungszeit einen Pelz durchbluteter Epithelauswüchse an den Körperflanken, die dem Gasaustausch dienen. Manche Flugsaurier (Pterosauria) besaßen ein Wärmeschutzkleid aus haarförmigen Schuppenderivaten, und Vögel können haarartig differenzierte Tastfedern an der Schnabelwurzel und den Augenlidern besitzen.
2) Botanik: Pflanzenhaare.



Haare: Säugerhaar: 1 Modell eines Haares in der Haut; 2 Schichten eines Haares und seiner Wurzel



Haare: Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme 1 eines menschlichen Haares mit konzentrisch angeordneten und sich überlappenden Hornplättchen und -schuppen, 2 eines gebrochenen und aufgesplitterten Haares

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Redaktion:
Dipl.-Biol. Elke Brechner (Projektleitung)
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Dr. Daniel Dreesmann

Wissenschaftliche Fachberater:
Professor Dr. Helmut König, Institut für Mikrobiologie und Weinforschung, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Professor Dr. Siegbert Melzer, Institut für Pflanzenwissenschaften, ETH Zürich
Professor Dr. Walter Sudhaus, Institut für Zoologie, Freie Universität Berlin
Professor Dr. Wilfried Wichard, Institut für Biologie und ihre Didaktik, Universität zu Köln

Essayautoren:
Thomas Birus, Kulmbach (Der globale Mensch und seine Ernährung)
Dr. Daniel Dreesmann, Köln (Grün ist die Hoffnung - durch oder für Gentechpflanzen?)
Inke Drossé, Neubiberg (Tierquälerei in der Landwirtschaft)
Professor Manfred Dzieyk, Karlsruhe (Reproduktionsmedizin - Glück bringende Fortschritte oder unzulässige Eingriffe?)
Professor Dr. Gerhard Eisenbeis, Mainz (Lichtverschmutzung und ihre fatalen Folgen für Tiere)
Dr. Oliver Larbolette, Freiburg (Allergien auf dem Vormarsch)
Dr. Theres Lüthi, Zürich (Die Forschung an embryonalen Stammzellen)
Professor Dr. Wilfried Wichard, Köln (Bernsteinforschung)

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