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Kompaktlexikon der Biologie: Abwehr

Abwehr, Schutzanpassungen bei Tieren, Menschen und Pflanzen sowie Verhaltensweisen, die dem Schutz vor Feinden, Krankheitserregern und Fremdstoffen dienen. Schutzanpassungen sind strukturelle, physiologische und ethologische (Ethologie) Anpassungen, die sich im Verlauf der Evolution entwickelt haben.
Abwehr bei Tieren. Zu den passiven Mechanismen der A. gehören Schutzeinrichtungen wie Chitinpanzer, Stacheln, Nesselkapseln, Giftzähne, Geweih, Gehörn oder Stinkdrüsen. Antikörper (Immunglobuline), die als spezifische Reaktion auf ein Antigen gebildet werden, schützen vor Pathogenen (Immunreaktion). Schutzanpassungen, die ein Abschrecken des Feindes bewirken sollen, sind die Schreck- und Warntrachten, die auch als aposematische Tracht oder aposematische Färbung bezeichnet werden, und oft mit Schrecklauten und Schreckstellungen verbunden sind. Diese Trachten wirken durch ungewöhnliche, oft auffällige Färbung oder Farbmuster (z.B. die Augenflecke vieler Falter) meist abschreckend auf Feinde. Die direkte Konfrontation mit dem Feind wird durch zahlreiche Varianten der Tarnung verhindert. Dabei wird z.B. die körperliche Gestalt durch eine bestimmte Zeichnung oder Färbung „aufgelöst“ (Verbergetracht oder kryptische Tracht ( vgl. Abb. )). Bei im Wasser lebenden Tieren ist die Durchsichtigkeit eine typische Tarnung. Schneehase, Schneehuhn u.a. tragen ein weißes Winterkleid, das sie in der schneebedeckten Landschaft tarnt (Saisondimorphismus). Bekannt ist auch das Wandelnde Blatt, eine Heuschreckenart, bei der alle Körperteile die Form eines Blattes angenommen haben. Durch eine Farbangleichung innerhalb kurzer Zeit passen sich Chamäleon und Scholle an wechselnde Umgebungen an. Ein Sonderfall der Tarnung ist die Mimese, bei der bestimmte Strukturen der unbelebten und belebten Welt nachgeahmt werden. Die Nachahmung der Warntracht anderer Arten bezeichnet man als Mimikry. Tarnung durch Maskierung ist eine weitere Möglichkeit: Die Wollkrabbe (Dromia vulgaris) hält mit ihren Beinpaaren Schwammstücke oder Muscheln über dem Rücken fest. Weit verbreitet ist auch die chemische Abwehr. Die Abwehrsubstanzen werden entweder selbst synthetisiert oder mit der Nahrung aufgenommen. Die Raupe des nordamerikanischen Monarchfalters z.B. nimmt aus Asclepias-Arten (Schwalbenwurz) Herzglykoside auf, die auch dem adulten Schmetterling einen bitteren Geschmack verleihen. Andere Monarchfalter mit ähnlichem Aussehen sind dadurch ebenfalls geschützt (Mimikry, s.o.), auch wenn sie keine Giftstoffe aufnehmen und eigentlich genießbar wären. Auf andere Weise schützen sich Tintenfische vor ihren Verfolgern: Sie sondern ein dunkles Sekret ab und können dadurch nicht mehr gesehen werden. Einige Arthropoden (Arthropoda) können in Gefahrensituationen auch Wehrsekrete abgeben. Bei der aktiven Abwehr werden oft Verhaltensweisen gezeigt, die zur Vergrößerung der Distanz zwischen den Konfliktpartnern führen. Dazu gehören Vermeidungsverhalten und Fluchtverhalten, Beschwichtigungsverhalten und Demutsgebärden, aber auch Warnverhalten und Drohverhalten. Gegensätzlich hierzu ist die aktive Selbstverteidigung (Aggression).
Abwehr bei Pflanzen. Hier sind die Möglichkeiten der A. auf passive Mechanismen beschränkt. Zu den mechanischen Schutzeinrichtungen gehören eine widerstandsfähige Epidermis mit dicker Cuticula, Dornen, ( vgl. Abb. ) Stacheln, Brennhaare oder andere Pflanzenhaare (Trichome). Die Cuticula bildet eine Barriere gegen das Eindringen von Bakterien und Pilzen. Bei der Grau-Erle (Erle), Alnus incana, führt starker Blattfraß durch Erlenblattkäfer dazu, dass die nachwachsenden Blätter zahlreiche Trichome ausbilden und dadurch vor Käferfraß geschützt sind. Schutz durch Tarnung haben die Lebenden Steine (Aizoaceae), die durch ihr steinähnliches Aussehen nicht als Pflanzen wahrgenommen werden. Zentrale Bedeutung hat die chemische A., die auch für die Resistenz vieler Pflanzen verantwortlich sein dürfte. Vor Tierfraß schützen sekundäre Pflanzenstoffe, die auf Tiere toxisch wirken können, z.B. Alkaloide, Senfölglykoside, cyanogene Glykoside, Herzglykoside (Digitalis-Glykoside), Terpene und Tannine. Ein Derivat der Terpene ist das Pyrethrin, das als natürliches Insektizid in Chrysanthemum-Arten (Chrysanthemen) vorkommt. Ein hochwirksames Insektizid ist auch das in Blättern des Niembaumes enthaltene Terpen Azadirachtin. In der Eibe (Taxus baccata) und anderen nacktsamigen Pflanzen (Gymnospermae) und bei Farnen treten Sterole auf, die die gleiche Grundstruktur wie die Häutungshormone (Ecdyson) der Insekten haben. Diese so genannten Phytoecdysone stören bei einigen Insektenarten den Häutungsverlauf. Oft werden Abwehrstoffe erst neu oder vermehrt gebildet (Phytoalexine), wenn Phytophagen an der Pflanze fressen oder saugen. Zum Beispiel führt bei einigen Pflanzen Tierfraß zu einer verstärkten Bildung von Proteaseinhibitoren sogar in unverletzten Bereichen, die weit weg von der Fraßstelle liegen. Proteaseinhibitoren verhindern im Verdauungsapparat der Pflanzenfresser den Abbau von Proteinen. Die in Pflanzen gebildeten Substanzen können nicht nur gegen Fraßfeinde wirksam sein, sondern auch gegen konkurrierende Pflanzen. Durch Freisetzung bestimmter Substanzen aus Pflanzenmaterial können in der Nähe wachsende andere Pflanzen negativ beeinflusst werden (Allelopathie).

Literatur: Begon, Michael u.a.: Ökologie, Heidelberg 1998; Harborne, J. B.: Ökologische Biochemie: Eine Einführung, Heidelberg 1995; Odum, Eugene, P.: Ökologie. Grundlagen, Standorte, Anwendungen, Stuttgart 31999



Abwehr: Die Heuschrecke Satrophyllia femorata auf einem von Flechten bewachsenen Zweig; die untere Abbildung zeigt die Umrisszeichnung der Heuschrecke

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Professor Dr. Wilfried Wichard, Institut für Biologie und ihre Didaktik, Universität zu Köln

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Thomas Birus, Kulmbach (Der globale Mensch und seine Ernährung)
Dr. Daniel Dreesmann, Köln (Grün ist die Hoffnung - durch oder für Gentechpflanzen?)
Inke Drossé, Neubiberg (Tierquälerei in der Landwirtschaft)
Professor Manfred Dzieyk, Karlsruhe (Reproduktionsmedizin - Glück bringende Fortschritte oder unzulässige Eingriffe?)
Professor Dr. Gerhard Eisenbeis, Mainz (Lichtverschmutzung und ihre fatalen Folgen für Tiere)
Dr. Oliver Larbolette, Freiburg (Allergien auf dem Vormarsch)
Dr. Theres Lüthi, Zürich (Die Forschung an embryonalen Stammzellen)
Professor Dr. Wilfried Wichard, Köln (Bernsteinforschung)

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