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Kompaktlexikon der Biologie: Reproduktionsmedizin

Reproduktionsmedizin, Fortpflanzungsmedizin, Zweig der Humanmedizin, dessen Schwerpunkte die Diagnostik und Behandlung von Unfruchtbarkeit (Sterilität) bzw. ungewollter Kinderlosigkeit bei Mann und Frau sind. Zur R. gehören einerseits Methoden zur Unterstützung der Zeugung auf natürlichem Wege. Darunter fallen diagnostische Verfahren zur Erkennung der Ursachen der Unfruchtbarkeit bei beiden Geschlechtern, Behebung einer vorhandenen Impotenz, das operative Gangbarmachen der weiblichen Geschlechtswege, insbesondere der Eileiter, Hormonbehandlung zur Unterstützung des Eisprungs; letztere führt fast immer zu Mehrfachovulationen. Sie ist darüber hinaus immer notwendig für die Gewinnung von Oocyten (unreifen, da noch nicht besamten Eizellen) zur Anwendung der Methoden der assistierten Reproduktion, die den zweiten möglichen Weg darstellen. Hier kann prinzipiell unterschieden werden zwischen:

a) Methoden mit Gametentransfer zur Befruchtung im weiblichen Körper. Darunter fallen die künstliche Besamung (Insemination), also das apparative Einbringen von Sperma (durch Masturbation gewonnen) in die weiblichen Geschlechtsorgane; bei der intrauterinen Insemination (Abk. IUI; intrauteriner Gametentransfer) wird das Sperma mit einer Kanüle in die Gebärmutter eingebracht und bei der intratubaren Insemination (Abk. ITI; intratubarer Gametentransfer) mit einer Kanüle in den Eileiter. Eine weitere Variante ist das Einbringen der Keimzellen beider Geschlechter in die weiblichen Geschlechtsorgane (Gamete-Intra-Fallopian-Transfer, Abk. GIFT); dabei werden durch die Bauchdecke (Punktion) gewonnene Oocyten mit in vitro aufbereitetem Sperma vermischt und durch die Bauchdecke über den Fimbrientrichter in den Eileiter oder ohne Narkose durch die Scheide in die Gebärmutter eingebracht.

b) Den zweiten großen Bereich der assistierten Reproduktion bilden Methoden mit außerhalb des weiblichen Körpers stattfindender (extrakorporaler) Befruchtung, die unter dem Begriff In-vitro-Fertilisation (IVF) zusammengefasst werden. Auch hier gibt es eine Reihe verschiedener Möglichkeiten: Zum einen gibt es verschiedene Verfahren, bei denen die Oocyten mit aufbereitetem Sperma in vitro vermischt werden und nach der Befruchtung (als Zygote) oder nach der Bildung des Embryos (im Blastocystenstadium) übertragen werden. Man unterscheidet hier die IVF mit anschließendem (intratubarem) Zygotentransfer in den/die Eileiter (Abk. IVF-ZIFT mit ZIFT für Zygote-intra-falloppian-transfer), die IVF mit anschließendem Embryotransfer (ET) in die Gebärmutter (Abk. IVF-ET, im katholischen Sprachgebrauch FIVET) sowie die IVF mit anschließendem (intratubarem) Embryotransfer in den/die Eileiter (Abk. IVF-EIFT mit EIFT für Embryo-intra-fallopian-transfer). Ein davon unterschiedenes Verfahren ist die Injektion eines einzelnen Spermiums in eine Oocyte mit nachfolgendem Embryotransfer, auch intracytoplasmatische Spermieninjektion genannt (Abk. ICSI). Für die Gewinnung der Spermien gibt es drei Möglichkeiten: Aus dem (durch Masturbation gewonnenen) Ejakulat, durch Ansaugen aus dem/den Nebenhoden (Abk. MESA von Microsurgical epididymal sperm aspiration) oder durch Präparation aus dem Hodengewebe (Abk. TESE von Testicular sperm extraction).

Die Oocyten wurden zuvor, wie bereits erwähnt, i.d.R. nach einer hormonellen Vorbehandlung, dem Eierstock der Frau entnommen. Das durch Masturbation gewonnene Sperma muss für die extrakorporalen Befruchtungsmethoden besonders vorbehandelt werden, um die biochemischen Prozesse nachzuvollziehen, die erst bei der Passage durch Gebärmutter und Eileiter die Spermien voll befruchtungsfähig machen. Die IVF wird angewendet, wenn die Eileiter operativ entfernt wurden oder Verklebungen nach Entzündungen bestehen sowie bei Endometriose (dem zyklischen Wachstum von Gebärmutterschleimhaut außerhalb der Gebärmutter, in diesem Fall im Eileiter).

Ein Behandlungszyklus bei einer Sterilitätsbehandlung verläuft prinzipiell folgendermaßen: Zunächst werden bei der Frau durch tägliche Hormoninjektionen Follikelwachstum und -reifung stimuliert. Die verabreichten Hormone sind das luteinisierende Hormon (LH) und das Follikel stimulierende Hormon (FSH). Das Wachstum der Follikel wird mittels Ultraschall- und Hormonuntersuchungen überwacht, bis sie reif sind. Dann wird durch Gabe von Choriongonadotropin (HCG) der Eisprung eingeleitet. 36 bis 42 Stunden nach dem Eisprung können die Oocyten durch Punktion gewonnen werden. Aus dem parallel, meist durch Masturbation, gewonnenen Sperma werden im Labor möglichst viele Spermien isoliert und für den Befruchtungsvorgang weiter aufbereitet. Oocyten und Spermien werden dann in einer Zellkulturschale entweder zusammengebracht (Insemination) oder es wird eine ICSI durchgeführt. Die Zygote wird entweder direkt in den weiblichen Körper gebracht, oder sie entwickelt sich für einige Tage im Brutschrank weiter, um dann entweder in die Gebärmutter oder in den Eileiter eingebracht zu werden. Um die Chance zu erhöhen, aber das mit Mehrlingsschwangerschaften verbundene Risiko gering zu halten, dürfen maximal drei Embryonen transferiert werden. Der weitere Schwangerschaftsverlauf wird durch Hormonanalyse und Ultraschalluntersuchungen überwacht. Falls dies notwendig ist, kommen für die IVF bzw. ICSI auch vorher tiefgefrorene Eizellen und Spermien zum Einsatz (Kryokonservierung).

Die Wahrscheinlichkeit, dass nach einer IVF eine Schwangerschaft eintritt, liegt derzeit bei 20 – 30 %, diese ist bei jüngeren Patientinnen (bis 31 Jahre bis 45%) höher und nimmt dann mit zunehmendem Alter kontinuierlich ab (36 Jahre 20%). Komplikationen, die im Verlauf einer solchen Sterilitätsbehandlung auftreten können, sind die Bildung von Zysten infolge der Hormonbehandlung, die sich aber normalerweise spontan zurückbilden, sowie eine Überstimulation nach der Gabe von HCG. Auch die Follikelpunktion birgt ein gewisses Risiko (Infektionen, Blutungen), jedoch wird dieses als gering angesehen. Die Rate der Fehlgeburten liegt bei regelrechter Durchführung der Behandlung im Bereich derjenigen einer normalen Schwangerschaft. (Embryonenschutzgesetz, Embryonenforschung, Essay: Reproduktionsmedizin – Glück bringende Fortschritte oder unzulässige Eingriffe?)

Weitere Informationen unter: www.fertiring.de und www.Kinderwunsch.de

Literatur: BZgA FORUM Sexualaufklärung und Familienplanung, Heft 1/2 2000.

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Dipl.-Biol. Elke Brechner (Projektleitung)
Dr. Barbara Dinkelaker
Dr. Daniel Dreesmann

Wissenschaftliche Fachberater:
Professor Dr. Helmut König, Institut für Mikrobiologie und Weinforschung, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Professor Dr. Siegbert Melzer, Institut für Pflanzenwissenschaften, ETH Zürich
Professor Dr. Walter Sudhaus, Institut für Zoologie, Freie Universität Berlin
Professor Dr. Wilfried Wichard, Institut für Biologie und ihre Didaktik, Universität zu Köln

Essayautoren:
Thomas Birus, Kulmbach (Der globale Mensch und seine Ernährung)
Dr. Daniel Dreesmann, Köln (Grün ist die Hoffnung - durch oder für Gentechpflanzen?)
Inke Drossé, Neubiberg (Tierquälerei in der Landwirtschaft)
Professor Manfred Dzieyk, Karlsruhe (Reproduktionsmedizin - Glück bringende Fortschritte oder unzulässige Eingriffe?)
Professor Dr. Gerhard Eisenbeis, Mainz (Lichtverschmutzung und ihre fatalen Folgen für Tiere)
Dr. Oliver Larbolette, Freiburg (Allergien auf dem Vormarsch)
Dr. Theres Lüthi, Zürich (Die Forschung an embryonalen Stammzellen)
Professor Dr. Wilfried Wichard, Köln (Bernsteinforschung)

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