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Lexikon der Neurowissenschaft: Geist und Gehirn

Essay

Michael Pauen und Gerhard Roth

Geist und Gehirn

Bei dem sogenannten "Gehirn-Geist-Problem" geht es im Kern um das Verhältnis zwischen Bewußtseinsprozessen (Bewußtsein), die unmittelbar aus der Perspektive der ersten Person erlebt werden, und Hirnprozessen, die durch Naturwissenschaften wie die Neurobiologie aus der Perspektive der dritten Person beschrieben werden können. Zu unterscheiden sind vier Teilprobleme: Begriffliche Probleme ergeben sich bezüglich der Kategorien, in denen das Verhältnis von Geist und Gehirn beschrieben wird ( siehe Zusatzinfo ). Das zentrale ontologische Problem betrifft das Verhältnis von Geist und Gehirn auf der Sachebene (das Gehirn-Geist-Problem im engeren Sinne). Wissenschaftstheoretische Probleme beziehen sich auf das Verhältnis der Theorien über geistige Prozesse zu Theorien über neuronale Prozesse. Und schließlich tritt die Frage auf, welche empirischen Befunde für das Verhältnis von Geist und Gehirn von Bedeutung sind.

Ontologische Probleme

Die zentrale ontologische Frage betrifft das Verhältnis der psychischen und physischen Prozesse. Theoretische Überlegungen zu diesem Thema können klären, welche Antworten prinzipiell möglich sind, sie können durch eine Beschreibung von Konsequenzen und Implikationen eine Vorauswahl unter diesen Antworten treffen und schließlich empirische Kriterien benennen, die als Grundlage einer Entscheidung zwischen den verbleibenden Optionen in Frage kommen. Wichtig ist zunächst die Differenz von Dualismus und Monismus.

Dualismus
Dualistische Ansätze behaupten, daß psychische Prozesse oder Substanzen grundsätzlich nicht den Naturgesetzen unterliegen. Psychische Prozesse werden also zu einem anderen Typ als physische Prozesse gezählt; sie sollen prinzipiell auch unabhängig von diesen auftreten können. Zu unterscheiden sind hier eine interaktionistische und eine epiphänomenalistische Variante.
1) Der interaktionistische Dualismus (Descartes, Eccles, Libet, Popper) postuliert eine Wechselwirkung zwischen Geist und Gehirn (cartesischer Dualismus). Psychische Prozesse stehen also unter dem Einfluß neuronaler Aktivitäten, so z.B. in Wahrnehmungsakten. Gleichzeitig vermögen psychische Prozesse, wie Willensakte, auf die physische Realität zurückzuwirken. Da psychische Prozesse der Determination durch die Gesetze der Physik entzogen sind, bietet diese Variante des Dualismus in den Augen ihrer Vertreter auch bessere Voraussetzungen für die Begründung der Willensfreiheit. Außerdem soll der Geist die Integration der unübersehbaren Vielfalt neuronaler Prozesse zu einer einheitlichen Erfahrung ermöglichen. Tatsächlich ist jedoch nicht nur völlig unklar, welche Mechanismen dieser integrativen Tätigkeit des Geistes zugrunde liegen, sondern es existiert noch nicht einmal eine Strategie, wie diese Mechanismen zu bestimmen sein könnten. Auf der anderen Seite gibt es mittlerweile eine Reihe neurowissenschaftlicher Ansätze zur Lösung dieses Problems (Bindungsproblem). Äußerst umstritten ist auch, ob der Dualismus das Problem der Willensfreiheit zu lösen vermag, oder ob er es nur von der physischen auf die psychische Ebene verlagert. Gravierende Probleme wirft schließlich auch die behauptete psychophysische Interaktion auf – auch wenn sie sich nicht von vornherein ausschließen läßt. Zum einen zwingt sie in den meisten Varianten des Dualismus zur Aufgabe grundlegender physikalistischer Annahmen, beispielsweise über die "kausale Geschlossenheit" der physischen Welt. Zum anderen gibt es bislang auch keine empirischen Belege für eine solche Interaktion; es fehlen also Befunde, die nur als Wirkungen eigenständiger psychischer Prozesse zu erklären sind oder eine solche Erklärung zumindest nahelegen. Nur wenn es solche Befunde gäbe, die sich durch das Postulat einer psychophysischen Interaktion besser erklären und prognostizieren ließen, wäre dieses Postulat sinnvoll. Experimente von Benjamin Libet scheinen sogar direkt gegen den interaktionistischen Dualismus zu sprechen. Sie lassen sich nämlich so interpretieren, als würden bewußte Willensakte erst auftreten, nachdem die gewollte Aktivität bereits eingesetzt hat: Die psychischen Prozesse könnten daher nicht als Ursachen der entsprechenden Aktivitäten betrachtet werden.
2) Die epiphänomenalistische Spielart des Dualismus betrachtet psychische Prozesse als wirkungslose Begleiterscheinungen physischer Prozesse (Epiphänomenalismus). Ihr zufolge ist es eine empirische Tatsache, daß neuronale Prozesse von mentalen Phänomenen "begleitet" werden, ohne daß diese wiederum auf neuronale Prozesse oder andere mentale Zustände zurückwirken würden. Unter diesen Bedingungen wäre es allerdings rätselhaft, warum die Evolution zusätzlich zu physischen Prozessen noch mentale Zustände hervorgebracht hat, schließlich können diese aufgrund ihrer Wirkungslosigkeit keinerlei Überlebensvorteile bieten. Es kommt hinzu, daß der Epiphänomenalismus sich selbst die Basis für seinen eigenen empirischen Nachweis entzieht: Aufgrund der Wirkungslosigkeit mentaler Phänomene können experimentell nachweisbare Reaktionen von Versuchspersonen niemals als Wirkungen mentaler Prozesse und damit als Indizien für die Existenz dieser Prozesse interpretiert werden. Auch die verbalen Äußerungen, mit denen eine Versuchsperson die Existenz mentaler Zustände bestätigt, hängen ja nicht von den mentalen, sondern allein von den zugrundeliegenden neuronalen Prozessen ab. Würden die mentalen Zustände, die einen bestimmten neuronalen Prozeß üblicherweise begleiten, also einmal ausfallen, dann dürfte sich dies in keiner Weise auf das öffentlich sichtbare Verhalten auswirken. Eine Versuchsperson, bei der es zu einem solchen Ausfall kommt, müßte sich also genauso verhalten, wie sie es ohne diesen Ausfall täte; sie würde die gleichen verbalen Auskünfte geben und hätte später exakt die gleiche Erinnerung. Im Gegensatz zu einer seiner zentralen Thesen kann der Epiphänomenalismus also prinzipiell nicht empirisch belegen, daß bestimmte neuronale Prozesse stets von mentalen Prozessen begleitet werden.

Monismus
Anders als der Dualismus akzeptiert der Monismus nur die Existenz eines Typs von Entitäten. Innerhalb des Monismus sind radikale und gemäßigte Varianten zu unterscheiden.
1) Eine radikale Spielart des Monismus ist der logische Behaviorismus (Carnap, Ryle, Hempel), der vor allem im zweiten Drittel des 20. Jahrhunderts von Bedeutung war. Dieser Position zufolge lassen sich mentale Zustände nicht nur wissenschaftlich adäquat als Verhaltensdispositionen beschreiben, vielmehr meinen wir auch im Alltag nichts anderes als solche Verhaltensdispositionen, wenn wir von mentalen Zuständen sprechen. Damit wäre die Psychologie vollständig auf die Neurobiologie zurückzuführen (zu "reduzieren"); sämtliche Fragen über psychische Phänomene könnten durch Erkenntnisse über physische Prozesse beantwortet werden. Tatsächlich gilt jedoch der Versuch, mentale Zustände als Verhaltensdispositionen zu beschreiben, als gescheitert. Dies liegt unter anderem daran, daß behaviorale Beschreibungen mentaler Zustände sich stets wieder auf andere mentale Zustände beziehen müssen, bei deren behavioraler Beschreibung dann abermals eine solche Bezugnahme notwendig wäre usw. Auch abgesehen von diesem Problem werden die Aussichten für eine vollständige Reduktion der Psychologie auf die Neurobiologie oder eine andere Naturwissenschaft heute im allgemeinen als denkbar schlecht beurteilt.
2) Der eliminative Materialismus (Churchland, z.T. Feyerabend, Rorty), dessen wichtigste Phase in das letzte Drittel des 20. Jahrhunderts fällt, übertrifft den logischen Behaviorismus insofern, als er mentale Prozesse als bloße Artefakte einer sogenannten Alltagspsychologie (E folk psychology) betrachtet. Diese Alltagspsychologie hat die Rede von mentalen Zuständen eingeführt, um menschliches Verhalten erklären und vorhersagen zu können. Es ist jedoch zu erwarten, daß die Neuro- und Kognitionswissenschaften früher oder später wesentlich bessere Erklärungen und Prognosen liefern werden. In diesem Falle würde nicht nur die Alltagspsychologie zugunsten der neurowissenschaftlichen Theorien aufgegeben, vielmehr würden damit auch die von der Alltagspsychologie postulierten mentalen Zustände zugunsten der entsprechenden neuronalen Prozesse eliminiert: Genauso wie wir heute nicht mehr vom Phlogiston oder vom Äther sprechen, wird man eines Tages nicht mehr von mentalen, sondern nur noch von neuronalen Prozessen reden.
Gegen den eliminativen Materialismus sind systematische und methodische Einwände vorgebracht worden. Zum einen besteht die Gefahr eines immanenten Widerspruchs: Offenbar muß der Vertreter dieser Position nämlich an seine Theorie glauben. Genau diese Möglichkeit ist ihm jedoch genommen, wenn es, so wie der eliminative Materialismus behauptet, mentale Zustände – und damit auch Glaubenszustände – "eigentlich" gar nicht gibt. Außerdem kommt es generell nur dann zur Elimination einer ganzen Theorie, wenn auf derselben Beschreibungsebene eine erfolgreichere Konkurrenztheorie auftritt. Ein solches direktes Konkurrenzverhältnis bestand zwischen Phlogistontheorie und moderner Chemie, es besteht jedoch nicht zwischen Neurobiologie und Alltagspsychologie, die auf ganz unterschiedlichen Ebenen der wissenschaftlichen Beschreibung ansetzen: Auch eine "vollständige" Neurobiologie dürfte daher die Existenzberechtigung der Alltagspsychologie kaum in Frage stellen. Aufgrund der genannten Probleme spielt der radikale Monismus mittlerweile nur noch eine untergeordnete Rolle im Vergleich zu gemäßigten monistischen Varianten.
3) Zu diesen gemäßigten Positionen zählt die nach 1950 entstandene Typen-Identitätstheorie (Smart, Place, Feigl, Armstrong), die die Identität von Typen psychischer Prozesse mit Typen physischer Prozesse behauptet. Mentale Zustände vom Typ "Schmerzen" müßten dieser Theorie zufolge also immer durch einen bestimmten Typ physischer Prozesse realisiert sein. Anders als die logischen Behavioristen behaupten die Identitätstheoretiker nicht, daß sich alltagssprachliche Äußerungen über mentale Zustände einfach in bedeutungsgleiche Sätze über physische Zustände übersetzen lassen. Sie behaupten nur, daß sich Sätze über Schmerzen de facto stets auf dieselben Phänomene beziehen wie Sätze über einen bestimmten Typ physischer Phänomene. Dabei sind psychologische und physiologische Beschreibungen prinzipiell gleichrangig. Mit ihrem Verzicht auf das Postulat selbständiger psychischer Prozesse bietet die Typen-Identitätstheorie eine besonders ökonomische Erklärung für zwei wenig umstrittene Befunde, nämlich die enge Beziehung von Geist und Gehirn und die kausale Wirksamkeit von psychischen Prozessen, wie z.B. Willensakten: Beide Befunde erklärt dieser Ansatz daraus, daß psychische Prozesse gleichzeitig kausal wirksame physische Prozesse sind. Damit entfällt auch das für den interaktionistischen Dualismus schwer zu lösende Problem der psychophysischen Wechselwirkung. – Einwände gegen die Theorie der Typenidentität berufen sich u.a. auf die Möglichkeit einer "multiplen Realisierung" mentaler Zustände: Es scheint nämlich keineswegs sicher zu sein, daß Schmerzzustände in anderen Organismen durch physische Zustände des gleichen Typs realisiert sind wie im menschlichen Gehirn. Sollten tatsächlich empirische Belege für die multiple Realisierung mentaler Zustände verfügbar werden, dann scheint eine Identifikation von mentalen und neuronalen Typen auszuscheiden.
4) Umgangen wird dieser Einwand durch die schwächere Token-Identitätstheorie. Sie behauptet nur, daß jedes einzelne Exemplar (E token) eines Typs psychischer Zustände identisch ist mit irgendeinem physischen Zustand. Die psychischen Zustände eines Typs können also durch physische Zustände unterschiedlicher Typen realisiert werden. Als die bekannteste Form der Token-Identitätstheorie gilt der seit den 1960er Jahren verbreitete Funktionalismus. Er bestimmt einen mentalen Zustand durch seine funktionale Rolle im Verhältnis zu Eingaben (z.B. Wahrnehmungsreizen), Reaktionen (Verhalten) und anderen mentalen Zuständen eines Organismus oder Systems. Ein Furchtzustand würde dann u.a. dadurch charakterisiert, daß er durch die Wahrnehmung dunkler Gestalten auf einsamen Waldwegen entsteht, zu Fluchtreaktionen führt und eine unangenehme Erinnerung an die betreffende Situation zurückläßt. Jeder physische Prozeß, auf den die komplette funktionale Beschreibung von Furchtzuständen zutrifft, kann dann als Realisierung dieses Typs mentaler Zustände betrachtet werden. Aufgrund des vergleichsweise abstrakten Charakters funktionaler Beschreibungen scheint diese Theorie der Möglichkeit multipler Realisierungen gerecht zu werden. Es wird jedoch häufig bezweifelt, daß sich mentale Zustände überhaupt durch ihre funktionalen Eigenschaften bestimmen lassen; immerhin können wir uns mühelos vorstellen, daß eine Person ein typisches Schmerzverhalten zeigt, ohne Schmerzen zu empfinden. Dieser Einwand verliert allerdings an Gewicht, wenn neben dem äußerlich sichtbaren Verhalten auch Reaktionen auf der neuronalen Ebene zur Bestimmung der funktionalen Rollen verwendet werden. Die Möglichkeit einer solchen Beschreibung auf der neuronalen Ebene kann nur ein Epiphänomenalist bestreiten: Wenn mentale Zustände kausal wirksam sind, dann muß es prinzipiell möglich sein, sie anhand ihrer Kausalwirkungen in funktionalen Beschreibungen zu erfassen. Solche Beschreibungen könnten allerdings so detailliert sein, daß nur noch eine Form der Realisierung bleibt. In diesem Falle wäre die Grenze zwischen Typen-Identitätstheorie und Funktionalismus aufgehoben. Ob es soweit kommt, ist jedoch eine empirische Frage.

Wissenschaftstheoretische Fragen

Wissenschaftstheoretisch ist vor allem von Interesse, ob sich Theorien über psychische Prozesse auf Theorien über das Gehirn zurückführen ("reduzieren") lassen. Der logische Behaviorismus hatte diese Frage strikt bejaht. In Kauf genommen wurde damit ein schwerwiegender Bedeutungsverlust psychologischer Theorien, deren Aufgaben unter dieser Voraussetzung nämlich weitgehend durch biologische Theorien übernommen werden könnten.
Heute wird vielfach angenommen, daß nur ein nichtreduktiver Physikalismus diesen Bedeutungsverlust vermeiden könne. Auch diese Position wirft jedoch Probleme auf: Sollte es nämlich prinzipiell unmöglich sein, psychische Prozesse mit Hilfe allgemeiner Gesetze aus den Eigenschaften neuronaler Prozesse vorherzusagen und zu erklären, dann müßte man die psychischen Zustände als emergent bezeichnen (Emergentismus). Damit würde eine Erklärungslücke zwischen psychologischen und physiologischen Theorien bleiben. Während die Identifikation von Alltagsphänomenen wie Wasser mit wissenschaftlichen Entitäten wie H2O uns normalerweise die Möglichkeit verschafft, die aus dem Alltag bekannten Eigenschaften von Wasser (Eisbildung, Verdampfen) mit Hilfe naturwissenschaftlicher Theorien über H2O zu erklären, wäre dies hier ausgeschlossen. Neurobiologische Erkenntnisse könnten prinzipiell nicht zur Erklärung psychischer Phänomene genutzt werden; es bliebe daher z.B. rätselhaft, warum Schmerzen sich so anfühlen, wie sie es tun. Damit würde auch der Monismus in Frage gestellt; es wäre also zweifelhaft, ob mentale Prozesse wirklich physische Prozesse sind.
Mittlerweile gibt es Bemühungen, zumindest in einigen wichtigen Fällen plausible Beziehungen zwischen psychologischen und physiologischen Erklärungen herzustellen, ohne dabei die Eigenständigkeit der Psychologie aufzugeben. Diese Bemühungen können sich unter anderem darauf stützen, daß sich auch in den Naturwissenschaften häufig Erkenntnisse unterschiedlicher Theorien aufeinander beziehen lassen, obwohl die Theorien insgesamt nicht vollständig aufeinander reduziert werden können.

Empirische Fragen

Die empirische Forschung zum Verhältnis von Geist und Gehirn hat in den letzten Jahren bemerkenswerte Fortschritte gemacht, insbesondere aufgrund der stürmischen Entwicklung der Neurowissenschaft und der neuen Methoden zum Erfassen menschlicher Hirnaktivität ohne Eröffnen des Schädels (Bildgebung in der Neurowissenschaft, vor allem die funktionelle Kernspinresonanztomographie). Generell kommt es darauf an, die Bedingungen für das Auftreten mentaler Prozesse möglichst genau zu beschreiben. Je spezifischer solche Beschreibungen sind, desto enger wird der Spielraum für das dualistische Postulat selbständiger mentaler Prozesse, desto weniger läßt sich also durch die Einführung solcher Postulate zusätzlich erklären. Dies würde die monistische Position stärken, derzufolge mentale Vorgänge physische Prozesse sind.

Im Zentrum einer physikalisch und neurobiologisch fundierten Theorie des Geistes bzw. des Bewußtseins stehen folgende Befunde: 1) Nur solche Prozesse, die in den assoziativen Arealen der menschlichen Großhirnrinde (Cortex) ablaufen, können mit Bewußtsein verbunden sein; der Grund hierfür wird im besonderen Aufbau und den spezifischen Eingangs- und Ausgangsverbindungen des assoziativen Cortex (insbesondere zum limbischen System) gesehen. 2) Das Auftreten von Bewußtsein ist an eine hinreichende neuronale Aktivität corticaler assoziativer Netzwerke gebunden, die eine ausreichende Versorgung mit Sauerstoff und Zucker über den lokalen Hirnblutfluß voraussetzt (dies nützen die bildgebenden Verfahren aus). 3) Bestimmte Bewußtseinszustände sind durch keinerlei Maßnahmen (Hirnstimulation, Pharmaka, operative Eingriffe) von bestimmten neuronalen Prozessen abzutrennen, und umgekehrt. 4) Bestimmte perzeptive, kognitive oder motorische Leistungen können nur bewußt (explizit) vollbracht werden, z.B. das Erfassen der Bedeutung komplizierter Sätze oder das Erlernen schwieriger motorischer Fertigkeiten; die unbewußte (implizite) Informationsverarbeitung ist in ihrer semantischen Tiefe und der Möglichkeit eines intermodalen Informationstransfers (d.h. von einem Sinnessystem auf ein anderes) deutlich eingeschränkt. Diese Befunde engen den Raum für mögliche philosophische Deutungen des Geist-Gehirn-Problems stark ein. Sie sind unverträglich mit jeder Art von Dualismus, indem sie zeigen, daß das Auftreten bewußter geistiger Zustände unabdingbar an bestimmte anatomische und physiologische Bedingungen im menschlichen (und wahrscheinlich auch tierischen) Gehirn gebunden sind. Ebenso sprechen sie gegen einen Epiphänomenalismus (ohne ihn logisch widerlegen zu können), indem sie zeigen, daß sich sowohl neurophysiologisch wie funktional bewußte und unbewußte Prozesse deutlich voneinander unterscheiden; bewußte geistige Vorgänge sind besondere Zustände der Informationsverarbeitung im Gehirn bei der Bewältigung neuartiger kognitiver und motorischer Aufgaben. Andererseits zwingen sie nicht zu einem starken Reduktionismus: Im Rahmen einer neurobiologischen bzw. physikalistischen Theorie von Geist und Bewußtsein kann vernünftigerweise angenommen werden, daß geistige Prozesse besondere physische Zustände sind, die eigene, nichtreduzierbare Gesetzmäßigkeiten zeigen können. Es muß nur gefordert werden, daß diese mit anderen physikalischen Gesetzmäßigkeiten verträglich sind. Leib-Seele-Problem.

Lit.: Beckermann, A.: Analytische Einführung in die Philosophie des Geistes. Berlin, New York 1999. Block, N.: Troubles with Functionalism. In: Block, N.: Readings in Philosophy of Psychology. London 1980, Bd. I, p. 268-305. Carnap, R.: Psychologie in physikalischer Sprache. In: Erkenntnis III (1932), p. 107-142. Chalmers, D.J.: The Conscious Mind. In Search of a Fundamental Theory. New York-Oxford 1996. Churchland, P.M.: Scientific Realism and the Plasticity of Mind. London-New York-Melbourne 1979. Dennett, D.C.: Consciousness Explained. Boston-New York-Toronto 1991. Pauen, M.: Das Rätsel des Bewußtseins. Eine Erklärungsstrategie. Paderborn 1999. Popper, K.R., Eccles, J.C.: Das Ich und sein Gehirn. München 1989. Roth, G.: Das Gehirn und seine Wirklichkeit. Kognitive Neurobiologie und ihre philosophischen Konsequenzen. Frankfurt 1994/2000.

Geist und Gehirn

Begriffliche Probleme:

In älteren philosophischen Ansätzen, etwa bei Descartes, werden Geist und Gehirn als eigenständige "Substanzen" beschrieben: Der Körper (res extensa) ist die ausgedehnte, der Geist (res cogitans) die denkende Substanz. Damit kommt es bereits auf der begrifflichen Ebene zu einer Trennung von Geist und Gehirn, die eine monistische Auffassung (Monismus) kaum mehr zuläßt. Es wird heute meist versucht, diese empirisch unbegründete Vorentscheidung dadurch zu umgehen, daß man statt von Substanzen von geistigen und physischen Eigenschaften oder Prozessen spricht. Umstritten ist zweitens, ob und – wenn ja – durch welche Kennzeichen sich beide Typen von Eigenschaften auszeichnen. Praktisch sämtliche Merkmale, die als Besonderheiten psychischer Prozesse genannt worden sind (nicht ausgedehnt, masselos, ortlos), können nämlich auch für physische Vorgänge in Anspruch genommen werden. Ein prinzipieller Unterschied besteht allerdings insofern, als nur zu psychischen Prozessen ein privilegierter Zugang aus der (Erlebens-) Perspektive der ersten Person besteht. Wer einen Schmerz spürt, erlebt diesen in einer Weise, die keiner anderen Person offen steht. Physische Prozesse sind dagegen im Prinzip jeder Person gleichermaßen aus der (Beobachter-) Perspektive der dritten Person zugänglich: Die Spur eines Teilchens in einer Nebelkammer kann im Prinzip von einer beliebig großen Zahl von Personen wahrgenommen werden. Dies gilt auch für neuronale Prozesse.

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