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News: Wenig Hinweise auf heilende Kraft des Glaubens

Es gibt kaum empirische Beweise dafür, daß Glauben oder religiöse Aktivitäten der körperlichen Gesundheit besonders zuträglich sind. In der bisher umfassendsten wissenschaftlichen Veröffentlichung dieser Art wurden vorangegangene Arbeiten mit dieser Thematik auf Übereinstimmung mit den Standards der medizinischen Statistik überprüft. Die Autoren kommen zu dem Schluß, ein Arzt handle unverantwortlich, wenn er Patienten zu religöser Aktivität anhalte. Falls das Beten nichts helfe, kämen zur Krankeit dann oft noch moralische Schuldgefühle.
In den USA glauben laut Umfragen 79 Prozent der Bevölkerung, daß spiritueller Glaube bei der Bewältigung einer Krankheit hilft. Von etwa 300 auf ihrer Jahrestagung befragten Hausärzten waren drei Viertel der Meinung, daß die Gebete anderer Menschen einen positiven Einfluß auf ihre Patienten hätten. Medizinische Fakultäten bieten Kurse in Religion und Spiritualität an und in Fachzeitschriften fordern Ärzte, die "Mauer der Trennung" zwischen Medizin und Religion niederzureißen.

Eine Arbeit von Forschern des Columbia University College of Physicians and Surgeons (The Lancet, 17. Februar 1999) weist nach, daß bei vielen vorangegangenen Studien andere, profane Einflußgrößen nicht berücksichtigt worden waren, die eine scheinbare Verbindung zwischen ausgeübter Religion und Gesundheit ebenfalls hätten erklären können. Zu diesen Faktoren zählen Alter, Geschlecht, beruflicher Status, Bildung, Zugehörigkeit zu ethnischen Gruppen und sozioökonomischen Klassen sowie der Ehestand. Die Autoren befassen sich auch mit den ethischen Konsequenzen ihrer Ergebnisse.

"Es ist außergewöhnlich wichtig, daß Thesen zur religiösen Aktivität der gleichen rigorosen Hinterfragung standhalten müssen wie alle anderen medizinischen Thesen auch", sagt hierzu Richard P. Sloan, Hauptautor der Studie und Professor für Psychiatrie und Verhaltensmedizin. "Es gibt keine zwingenden Hinweise darauf, daß religiöse Tätigkeiten die Gesundheit fördern."

Sloan zitiert eine oft herangezogene Studie, die eine positive Verbindung zwischen Kirchgang und der Gesundheit aufzeigt, gleichzeitig aber die Tatsache vernachlässigte, daß sehr kranke Menschen gar nicht zur Kirche gehen können, um mitgezählt zu werden. "Es war ein klassischer Fall von fehlender Kontrolle über wesentliche Kovariaten", bemerkt er. Die Forscher erkannten in einer späteren Veröffentlichung diesen Umstand an, werden damit jedoch nur sehr selten zitiert.

Ein anderer oft gemachter Fehler bei dem Versuch, die Verbindung zu bestätigen, liegt darin, daß sehr viele Kriterien als Maß für Religiosität und die Gesundheit herangezogen werden, so daß allein durch die Macht des Zufalls irgendwann eine Korrelation zwischen zwei dieser Kriterien auftritt. "In den Abhandlungen findet man ständig unangemessene statistische Methoden", behauptet Sloan. Die Zuverlässigkeit der Studien wird noch durch etwas anderes eingeschränkt: die ungenauen und zahlreichen Definitionen "religiöser Aktivität". Diese reichen vom regelmäßigen Besuch einer Kirche bzw. Synagoge bis hin zur persönlichen Meditation oder den Glauben an Gott.

Zumindest bis heute, so schlußfolgern die Forscher, sollten die Ärzte ihren Patienten nicht suggerieren, der religiöse Glaube könne die Gesundheit verbessern, denn hierfür gäbe es keinerlei wissenschaftlichen Beweise. "Wenn ein Arzt andeutet – ja sogar, wenn der Patient nur die Schlußfolgerung zieht –, daß der gesundheitliche Zustand Produkt seiner religiösen Aktivität ist, so könnte das großen Schaden anrichten. Der Patient wird vielleicht denken: 'Habe ich nicht häufig genug gebetet? Bin ich ein moralischer Versager?' Es ist schon schlimm genug, von einer Krankheit geplagt zu werden, aber dann auch noch mit Schuldgefühlen und Reue konfrontiert zu werden, ist noch viel schlimmer", erläutert Sloan.

Die Autoren der Studie setzen sich dafür ein, daß Ärzte zwar den Glauben der Patienten akzeptieren sollen, wehren sich jedoch dagegen, Religiosität als Therapie einzusetzen, ohne daß es hierfür ausreichende empirische Beweise oder ethische Richtlinien gäbe. Laut Sloan sollen "religiöse Überzeugungen und Praktiken eine Glaubens- und Gewissensangelegenheit eines jeden Einzelnen bleiben, in die sich Ärzte und Gesundheitsverantwortliche nicht einzumischen haben".

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