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News: Nachwuchs in der Familie der Treibhausgase

Während die einen hoffen, in gemäßigten Breiten bald Bananen zu ernten, fürchten sich die anderen vor den Folgen des Treibhauseffektes, da ihre Heimat in naher Zukunft im Meer versinken könnte. Hervorgerufen wird dieser Effekt durch eine ganze Reihe von Gasen, welche die Wärmestrahlung der Erde absorbieren, und ihre Liste wird länger. Denn Wissenschaftler haben im Schnee der Antarktis eine weitere, bisher in der Atmosphäre unentdeckte chemische Verbindung nachgewiesen, welche die globale Klimaerwärmung zusätzlich beschleunigen könnte. Aus den Konzentrationen des Gases in unterschiedlich tiefen Schneeschichten schließen die Forscher, dass sich das Gas bereits seit 50 Jahren in der Atmosphäre ansammelt. Die Verbindung ist um einiges wirksamer als seine bisher bekannten Verwandten, denn es hat mit 1 000 Jahren eine extrem hohe Lebensdauer und absorbiert Wärmestrahlung noch effektiver.
Vieles deutet darauf hin, dass es auf unserem Planeten allmählich wärmer wird: Das Eis der Gletscher und Polkappen schrumpft, Tierarten verlagern ihre Lebensräume gen Norden und die Durchschnittstemperaturen steigen. Schuld an dieser Entwicklung sind vermutlich die Treibhausgase wie beispielsweise Kohlendioxid, Stickstoffdioxid, Methan und Ozon, die der Mensch in großen Mengen freisetzt. Die schädlichen Gase lassen die kurzwellige Strahlung der Sonne nahezu ungehindert passieren, absorbieren aber die von der Erde reflektierte längerwellige Wärmestrahlung.

Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Chemie in Mainz sowie Mitarbeiter weiterer Institutionen aus verschiedenen Ländern entdeckten nun, dass die bereits große Familie der Treibhausgase schon vor etwa 50 Jahren um ein weiteres, wirkungsvolles Mitglied reicher geworden ist. Sie wiesen in Luftproben das bisher in der Atmosphäre unbekannte Trifluormethylschwefelpentafluorid (SF5CF3) nach (Science vom 28. Juli 2000).

Die Wissenschaftler entdeckten die Substanz bei der Feinanalyse von Luftproben, die aus dicken Firnschneeschichten der Antarktis stammen. Diese Schneeschichten sind bis zu 100 Meter dick und enthalten Einschlüsse von Luft, die 50 und teilweise sogar 100 Jahre alt sind. Als die Forscher die Luftproben im Labor analysierten, entdeckten sie einen äußerst geringen Anteil des Gases SF5CF3. Sie stellten fest, dass seine Konzentration an der Schneeoberfläche dieselbe ist wie in der Atmosphäre, wo sie etwa 0.1 ppt (einem Molekül auf je eine Billion Teilchen) beträgt. Hingegen lag das SF5CF3 in den Luftproben aus 100 Meter Schneetiefe nur in einer Konzentration nahe an der absoluten Messgrenze von 0.01 ppt vor, also fast bei Null. Erst während der vergangenen 50 Jahre stieg folglich der Gehalt dieses Gases in der Atmosphäre an. Weil die Zunahme ganz ähnlich der von Schwefelhexafluorid verläuft, vermuten die Wissenschaftler eine Verbindung zwischen beiden Gasen. Aus ihren Analysen schließen sie, dass SF5CF3 erst seit etwa 50 Jahren in nennenswerten Mengen in der Atmosphäre vorhanden ist.

Der genaue Ursprung des Gases ist noch nicht bekannt. Die Forscher nehmen jedoch an, dass die Quelle Entladungsprozesse und Schaltvorgänge in Hochspannungsanlagen sind. SF6 findet Verwendung in elektrischen Schaltanlagen, um Funkenbildung zu unterdrücken, als Schutzgas bei Metallschmelzen, in Tennisbällen, Autoreifen oder sogar in Laufschuhen. Aufgrund seiner guten Isolierungseigenschaften wurde es auch in Schallschutzfenstern verwendet. Bei SF6 handelt es sich um ein starkes und sehr widerstandsfähiges Treibhausgas in der Atmosphäre. Die Wissenschaftler weisen darauf hin, dass die natürliche Selbstreinigungskraft der Lufthülle nicht ausreicht, um mit solchen "Supermolekülen" fertig zu werden. Deshalb wurde seine Produktion durch das Kyoto-Protokoll weltweit eingeschränkt. Doch das jetzt entdeckte Molekül SF5CF3 ist ein noch stärkeres Treibhausgas als SF6. Wegen seiner Größe absorbiert es Strahlung sehr effizient, noch dazu in einem bisher noch "offenen Fenster" des Strahlungsspektrums. So zeigt sein Infrarot-Absorptionsquerschnitt mit 0.57 Watt pro Quadratmeter – gemessen auf eine Konzentration von einem Molekül je einer Milliarde Teilchenden – größten Strahlungsantrieb an, bisher bei einem Molekül in der Atmosphäre gemessen wurde.

Trifluormethylschwefelpentafluorid hat, ähnlich wie Schwefelhexafluorid, eine außergewöhnlich lange Lebensdauer von mehr als tausend Jahren. Ein Vergleich veranschaulicht die Folgen: 1994 gab es allein von dem Fluorchlorkohlenwasserstoff CFK-12 mehr als zehn Millionen Tonnen in der Atmosphäre. Diese Menge geht inzwischen langsam zurück, nicht zuletzt, weil die Lebensdauer dieses Gases nur etwa 100 Jahre beträgt. Hingegen werden SF5CF3 und SF6 in absehbarer Zeit praktisch nicht aus der Atmosphäre verschwinden.

"Die Entdeckung dieses bisher unbekannten Treibhausgases zeigt wieder einmal, dass wir vorsichtig mit unserer Atmosphäre umgehen müssen und dass weitere Forschung Not tut. Ohne es zu wissen, haben wir – zwar nur in kleinen Mengen – seit fast 50 Jahren ein starkes und sehr langlebiges Treibhausgas freigesetzt. Wir müssen die Quelle dieses Gases finden und versuchen, seine Zunahme in der Atmosphäre zu bremsen. Wenn auch die Konzentrationen noch sehr gering sind und die Folgen für eine Klimabeeinflussung aus praktischen Gründen noch kein ernstes Problem darstellen, so ist doch diese weltweite Verschmutzung unerwünscht und sehr wahrscheinlich auch unnötig", meint Carl Brenninkmeijer vom Max-Planck-Institut für Chemie. Der Forscher ist außerdem der Ansicht, dass sich die öffentliche Diskussion nicht nur auf die Entdeckung dieses Treibhausgas konzentrieren sollte: "Wir sollten das vielmehr auch als Warnung verstehen, dass menschliches Handeln in vielen Fällen globale Auswirkungen hat."

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