Direkt zum Inhalt

Kommentare - - Seite 90

Ihre Beiträge sind uns willkommen! Schreiben Sie uns Ihre Fragen und Anregungen, Ihre Kritik oder Zustimmung. Wir veröffentlichen hier laufend Ihre aktuellen Zuschriften.
  • Kann man die Lesermeinungen irgendwie liken...!

    05.11.2021, Gerhard Samulat
    Rainer Eisenmann, Paul S (den ich allerdings nur überfolgen habe) und Andreas!
  • Bewährte Technik geht anders

    05.11.2021, Norbert Endres
    Viel mehr Wind und Solarkraft in Bürgerhand, dazu ausreichend dezentrale Kraft Wärme Kopplung als echte Brückentechnologie sind die richtige Lösung. Dabei müssen unverzüglich alle Erzeugungskapazitäten sowie Stromverbräuche selbstverständlich lastabhängig geregelt werden und der Hauptanreiz dafür interessante, variable Tarife für bedarfsgerechte/n Erzeugung/Verbrauch sein!
  • Kalte Winter..

    05.11.2021, Anselm Kiefner
    RICHTIG kalte Winter machen mehr als als nur die Heizungskosten in die Höhe treiben. Dank dem Klimawandel - der durchaus schon Realität ist - gibt es immer mehr Wetter-Extreme, also besonders warme Winter aber auch besonders kalte Winter. Wenn es aber besonders kalt ist, frieren Gewässer zu, auch die, welche das Kühlwasser für Kernkraftwerke liefern. Wenn ein Kernkraftwerk kein Kühlwasser mehr bekommt (was auch in besonders heißen Sommern regelmäßig passiert!) dann kann es nicht mehr arbeiten - das heißt die Leistung fällt nicht ein bisschen ab sondern ganz auf Null.

    Das heißt, Kernkraftwerke sind genau zu den Zeiten wenn man sie am dringendsten bräuchte (zur Kühlung im Hochsommer und Heizung im tiefsten Winter) eher noch ein Klotz am Bein und selbst ein Sicherheitsrisiko für die Gesellschaft weil sie so investitionsintensiv sind (von wegen billiger Strom!) dass sie Investitionen in dezentrale, resilientere Lösungen verhindern.
  • Kernkraft, Windkraft und Wunschdenken

    04.11.2021, Dr. Armin Quentmeier
    Der ganze Artikel von Frau Bischoff enthält so viel Wunschdenken, aber auch so viele Halbwahrheiten und Fehler, dass eine sorgfältige Erwiderung viele Seiten erfordern würde. Fast zu jedem Absatz könnte ich Kritik anbringen, aber dann reicht der Platz nicht. Daher möchte ich in aller Kürze einige Punkte ansprechen. Alle Zahlenangaben zur Stromversorgung stammen von „agora-energiewende“, einer Institution, die sich vehement für die Energiewende einsetzt, als nicht von irgendwelchen finsteren pro-Kohle-Dunkelmännern.
    1. Auch als leidenschaftlicher Fan von Kernkraftwerken muss ich konstatieren: die Kernkraft allein wird uns nicht retten, weil deren Anteil an der deutschen und der globalen Energieversorgung vergleichsweise klein ist (z. Z. 11,3 % der deutschen Stromversorgung). Der überhastete Ausstieg an der Kernenergie in Deutschland im Jahr 2011 hat den Anteil der Kernenergie allerdings unnötig verringert; 2010 waren es noch 22%!
    2. Kernenergie dient allein zur Stromerzeugung. Wärme aller Art, von Prozesswärme >1000°C bis zur Wohnungsheizung und Warmwasserbereitung zu Hause wird meist durch fossile Energieträger (Erdgas, Öl, Kohle) erzeugt.
    3. Ein Blick auf die aktuelle Stromversorgung zeigt, dass auch bei einem Weiterbetrieb der sechs noch verbliebenen Kernkraftwerke der Beitrag von Kohle und Erdgas auf viele Jahre unverzichtbar bleiben wird. Nehmen wir als Beispiel die Nacht vom 3. auf den 4. November 2021: der Löwenanteil der Stromerzeugung entfällt auf fossile Energie¬träger, wie die folgenden Daten um 2°° morgens zeigen (diesen Zeitpunkt habe ich gewählt , weil dann der Stromverbrauch im Tagesverlauf am geringsten ist). Der Stromverbrauch beträgt 57,27 Gigawatt (GW) = 57.270 Megawatt (MW), davon liefert Windkraft onshore 2,78 GW; Windkraft offshore 0,21 GW, Wasserkraft 1,44 GW und Biomasse 4,37 GW. Der Anteil des Solarstroms ist exakt 0 GW, denn bei Dunkelheit funktionieren die besten Solaranlagen nun einmal nicht. Das heißt, die hochgelobten „erneuerbaren Energien“ tragen gerade einmal zusammen 8,8 GW zur Stromversorgung unseres Landes bei; es fehlen also noch 48,47 GW! Noch gibt es Rettung: Strom aus Kernkraftwerken 8,0 GW, Braunkohle 12,50 GE, Steinkohle 11,51 GW, dazu noch 12,24 GW aus Gaskraftwerken. Also 24 GW des benötigten Stroms kommen von den ach so schmutzigen Kohlekraftwerken; das entspricht der dreifachen Leistung der Kern¬kraft¬werke! Auch wenn die Kernkraftwerke länger laufen würden, reicht deren Anteil für eine sichere Stromversorgung überhaupt nicht aus. Und auch die Gaskraftwerke werden noch gebraucht; denn wenn die „erneuerbaren Energien“ schwächeln (und das ist oft der Fall), dann wird vier- bis fünfmal so viel Leistung gebraucht, wie die verbliebenen Kernkraftwerke liefern können.
    4. Solche Nächte, solche Probleme mit der Stromversorgung gibt es häufig, denn der Wind weht nun einmal höchst unberechenbar, unsteuerbar und unplanbar. Auch tagsüber halten die „erneuerbaren Energien oft nicht, was sie versprechen. Ein Blick auf den Tagesverlauf der Stromversorgung z. B. am 3.11.2021 macht es deutlich; die Zahlen mögen sich die geneigten Leser selbst anschauen.
    5. Der Artikel von Frau Bischoff enthält einige zumindest korrekturbedürftige Aussagen; eine davon ist folgende: „Grund für die Gaskrise ist unter anderem der Klimawandel: Extreme Hitze in Brasilien und China ließen Wasserkraftwerke stillstehen, wodurch die Länder auf Gasreserven zur Stromerzeugung zurückgreifen mussten.“ Nein, der Grund ist nicht der Klimawandel, sondern die Unzuverlässigkeit von Wind und Wetter! Ein großes Problem in Europa ist der hohe Anteil an Windrädern, die aber nur bei ausreichend Wind auch liefern können. Großbritannien setzt neben Kernenergie auch auf Wind und Erdgas. Leider war das erste Halbjahr 2021 ein sehr windarmes Jahr, so dass der fehlende Windstrom durch den vermehrten Einsatz von Gaskraftwerken ausgeglichen werden musste. Dadurch stieg der Verbrauch von Erdgas und damit natürlich auch der Preis. Zusätzlich hatten heftige Überschwemmungen in einigen „Kohleprovinzen“ in China zahlreiche Kohlegruben und auch die Transportwege überschwemmt, während gleichzeitig die chinesische Wirtschaft nach dem Abklingen der Corona-Pandemie kräftig gewachsen war. Auch hier wurde zumindest z.T. auf Erdgas zurückgegriffen, was einen zusätzlichen Preisanstieg zur Folge hatte. Quelle: „Die gefährlichen Folgen der Gasflation.“ Welt online 21.9.2021.
    6. Die Flutkatastrophe im Ahrtal ist keine Folge des Klimawandels. Ein kurzer Blick auf die „Flutmarken“ in Städten und Dörfern an Mosel, Ahr, Main etc. zeigen, dass das keine neuen Ereignisse sind. Wirklich erhellend ist folgender Welt- Artikel: „Der unappetitliche Klima-Bluff“ von Axel Bojanowski; Welt online 15.7.2021
    7. Im Artikel wird die Abstandsregel für Windkraftwerke von 1000 m beklagt. Moderne Windkraftanlagen sind über 200 m hoch und werden selten allein, sondern meist in Gruppen gebaut, beschönigend „Windparks“ genannt. Das ist eine Landschafts-verschandelung sondergleichen und eine Zumutung für die Anwohner. Immer mehr liebliche Landschaften, an denen 200 Jahre Industrialisierung fast spurlos vorüber-gegangen sind, werden zu riesigen Industrieparks umgebaut, von der Nordseeküste über die Mittelgebirge bis zum Alpenrand. Ich empfehle jedem Windkraft-Fan, sich einmal die Landschaften an Schleswig-Holsteins Westküste anzuschauen, bei Cuxhaven einen Blick über die Elbmündung zu werfen, die A44 vom Ruhrgebiet nach Kassel oder von Kassel nach Leipzig zu fahren: überall „geopferte Landschaften“, zugespargelte Windkraftwüsten von ausgesuchter Hässlich¬keit! Und dort sollten die Windkraftfans auch wohnen, max. 1000 m entfernt von solchen Monsteranlagen!
    8. Die mangelnden Investitionen in die Energie-Infrastruktur werden beklagt; Zitat: „Ein Beispiel dafür ist die Stromtrasse, die Energie von Nord- nach Süddeutschland transportieren und bis zum Atomausstieg fertig gestellt werden sollte.“ Oft genug weht auch an der Nordseeküste nur ein laues Lüftchen oder gar kein Wind! Wer glaubt, die Windmühlen in der Nordsee würden die Wende bringen, schaue sich diese Zahlen vom 17. Mai 2021 von 14°° bis 15°° an: über 1400 Monster-Windräder mit ca. 200 m Höhe liefern gerade einmal 0,065 GW, obwohl die installierte Leistung ca.7,5 GW beträgt. Bei Flaute gibt es aber fast keinen Strom; gerade einmal 0,87 % der installierten Leistung können erzeugt werden. Das entspricht einem Automotor, der 100 PS auf dem Papier leistet, aber tatsächlich nur 0,87 PS erbringen würde! Kein geistig gesunder Mensch würde ein solches Auto kaufen, aber bei den „erneuerbaren Energien“ wird dieses Prinzip dem ganzen Land aufgezwungen. Nicht immer sind die Zahlen so krass, aber am Morgen des schon erwähnten 4.11.2021 lieferten alle deutschen Nordsee-Windmühlen auch nur 0,21 GW = 2,8 % der installierten Leistung von 7,5 GW. Auch die besten Leitungen helfen nicht, wenn auf See Flaute herrscht – und das kommt relativ oft vor. Da werden auch 10x mehr Nordsee-Windmühlen nicht helfen!
    9. Zitat: „Man bräuchte effiziente Batterien, um die Energie an ergiebigen Tagen über längere Zeiträume zu speichern.“ Wie irreal das ist, zeigt ein Blick auf die E-Autos. Bei Elektro-Autos ist die Speicherung des Stroms in Batterien das größte Problem. 500 kg Batterien ermöglichen eine Reichweite von ca. 500 km; das anschließende Laden kann Stunden dauern, nur mit einem Tesla-Supercharger soll es deutlich schneller gehen. Hier nehme ich als Vergleich gerne meinen zehn Jahre alten Dreier-BMW mit 85 kW-Dieselmotor. Mit einer Tankfüllung von 62 Liter, ca. 55 kg Gewicht, kann ich locker 1000 km fahren und das Auftanken dauert nur wenige Minuten. Für 1000 km Reichweite mit Batterien würde ich ca. 1000 kg = 1 t Batterien brauchen. Wie groß müsste eine Batterie dimensioniert sein, die den Strom speichern soll, den ein modernes Kohlekraftwerk mit 1 GW an nur einem einzigen Tag erzeugt? Ein solches Kraftwerk braucht bei Volllast pro Tag ca. 8000 t Kohle! Und für die Abdeckung der Grundlast brauchen wir rechnerisch 40 solche Kraftwerke! Fazit: Batteriespeicherung von Strom in großen Mengen ist völlig unrealistisch!
    10. Zitat: „Braun- und Steinkohle haben bei Weitem die schlechteste Umweltbilanz: Pro erzeugter Kilowattstunde setzt Erstere etwa 1160 Gramm Kohlenstoffdioxid frei, Zweitere etwa 800 Gramm. Im Vergleich: Bei Erdgas liegt der Verbrauch bei rund 180, bei Heizöl zirka 270 Gramm.“ Der Wert für Braunkohle stimmt, aber der für Erdgas und Heizöl ist schlicht falsch. Für eine mit Heizöl erzeugte kWh werden 860 g CO2 emittiert; für die mit Erdgas erzeugte kWh sind es immer noch 518 g. (Quelle: Forschungsstelle für Energiewirtschaft, ffe.)
    11. „Zitat: Aktuell gibt es etwa 148 aktive Kohlekraftwerke in Deutschland, 2015 stießen sie rund 207 Megatonnen Kohlenstoffdioxid in die Luft.“ Wie unter Punkt 3 geschildert, sind die deutschen Kohlekraftwerke für eine sichere Stromerzeugung unverzichtbar. Die deutschen Kohlekraftwerke gehören zu den modernsten der Welt mit Wirkungsgraden bis zu 46 %. Viel mehr ist technisch gegenwärtig nicht möglich. Wenn wir diese hoch modernen Kohlekraftwerke abschalten, wird der Rest der Welt das vermutlich überhaupt nicht bemerken. Allein China hat 2020 neue Kohlekraftwerke mit 38 GW Gesamtleistung in Betrieb genommen: das dürfte mehr als die gesamte gegenwärtig in Deutschland installierte Kohlekraftwerkskapazität sein. zusätzlich zu den ca. 1000 bereits in Betrieb befindlichen Kohlekraftwerken in China. Und diese Kohlekraftwerke dürfen 30 – 40 Jahre am Netz bleiben!
    12. Zitat: „…laut Greenpeace starben im Jahr 2015 etwa 3100 Menschen in Europa durch deutsche Kohlekraftwerke.“ Die Kohleverstromung ist eine der wichtigsten Säulen der Wirtschaft in unserem Industrieland. Kohleverstromung, Eisen- und Stahlindustrie, chemische Industrie und viele andere energieintensive Industriebetriebe ermöglichen seit Jahrzehnten einen in der Geschichte noch nie zuvor gekannten Massenwohlstand, verbunden mit einer Verdoppelung der Lebenserwartung. Diese lag in der vorin¬dustriellen Zeit bei ca. 40 Jahre, jetzt liegt sie bei über 80 Jahren. Zugleich haben wir eine Bevölkerungsdichte von 230 Menschen pro km². In der vorindustriellen Zeit war das Leben für über 90 % der Bevölkerung knochenhart, es gab immer wieder Hungersnöte. Die meisten Menschen waren kaum mehr als Arbeitstiere, für die Frauen kamen noch zahlreiche Geburten hinzu, von denen jede einzelne mit lebensgefährlichen Komplikationen verbunden sein konnte. „Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis dass du wieder zu Erde werdest, davon du genommen bist…. (1. Mose 3.19)“. Und für die Frauen: „Und zum Weibe sprach er: Ich will dir viel Schmerzen schaffen, wenn du schwanger wirst; du sollst mit Schmerzen Kinder gebären… (1. Mose 3.16). Erst das Industriezeitalter hat, nach hartem und mühevollem Start, unser heutiges bequemes und angenehmes Leben ermöglicht! Und das alles aufzugeben, weil die Kohlekraftwerke angeblich so viele Menschen vergiften, heißt doch nur, das Kind mit dem Bade ausschütten und ist nichts als pure Unvernunft.
    Das waren die wichtigsten Einwände, die ich anbringen möchte. Alle meine Zahlen, Daten und Fakten können leicht anhand meiner Quellen oder durch entsprechende Google-Suchen überprüft werden. Und es handelt sich nicht um Beckmesserei, sondern um Dinge, die bei der Diskussion um Klimawandel und Energiewende gerne leichtfertig übersehen und übergangen werden.
  • Von einem toten Pferd soll man absteigen

    04.11.2021, Andreas
    Nuklearenergie ist tot. Denn wie sie richtig schreiben "eine Endlagerung für hunderttausende Jahre kann keine Lösung sein". Transmutation als einzig mögliche Lösung dagegen ist viel zu teuer und energieineffizient. Und niemand versichert Atomkraftwerke gegen Unfälle, da die Risiken daraus einfach unbezahlbar hoch sind. Das alles macht die Stromerzeugung in Nuklearkraftwerken unwirtschaftlich. Schon heute ist es wesentlich günstiger Strom mit Wind- und Solarkraftwerken zu erzeugen. Und den technischen Herausforderungen der erneuerbaren Energien stehen keine physikalischen Gesetze entgegen wie beim nuklearen Abfall. Mal ganz abgesehen vom Proliferationsrisiko (das Spaltmaterial gelangt in die Hände von Terroristen oder wird von authoritären Regimen für den Bau von Atomwaffen genutzt) der bei Nuklearkraftwerken immer besteht.

    Zudem kommt das ganze viel zu spät. Für eine Übergangszeit sollte man als Grundlastkraftwerke auf Gaskraftwerke setzen. Die kann man auch viel schneller bauen als Nuklearkraftwerke.

    Und wenn man wirklich schnell den CO2 Ausstoß der Stromerzeugung senken will, dann sollte man am besten sofort die Braunkohlekraftwerke abschalten. Es gibt Studien die zeigen, das Deutschland seinen CO2 Ausstoß um 50% senken könnte, wenn es die 5% der meist emittierenden Kraftwerke (z.B. https://de.wikipedia.org/wiki/Kraftwerk_Niederau%C3%9Fem) abschalten würde. Worauf warten wir noch?

    Grant D, Zelinka D, Mitova S. Reducing CO2 emissions by targeting the world’s hyper-polluting power plants. Environ Res Lett. 2021. doi: 10.1088/1748-9326/ac13f1
  • Und ewig grüßt das D'oh...

    04.11.2021, Paul S
    Interessante Denke – weil wir bei Öko-Umstieg versagt haben, war der Atomausstieg ein Fehler? Weil Homer Simpson und Monty Burns es nicht mal gebacken kriegen, sich ein paar Papierwindmühlen zu falten, dürfen sie im Vorgarten mit Kernreaktoren spielen. Der letzte Satz erwähnt zwei Hochrisikofaktoren, die bislang sehr emsig und zuverlässig sichergestellt haben, dass alles, wirklich alles auf der Welt versucht, uns umzubringen, einschließlich der Luft. Können Sie sie finden?

    Ist so eine Sache mit Atomkraftwerken. Dreißig Jahre geht alles gut, doch wenn was schief geht, kriege ich sechzig Jahre Probleme alle am selben Tag. Genau diese Mentalität hat uns erst den Schlamassel eingebrockt: Nicht nur das Klima, siebzig und mehr Jahre unter den Teppich gekehrter, dort groß und mächtig gezüchteter Probleme brechen in einer Kettenreaktion heraus, denn wenn ein überhitzter Druckkochtopf platzt, richtet er so viel Schaden an, dass wir sehr viele Ressourcen auf einmal verbrauchen, um damit fertig zu werden, und die fehlen uns dann, um auf den anderen Hexenkesseln die Deckel draufzuhalten – während wir nicht aufhören, das Feuer drunter zu schüren. Im perfekten Sturm, wo alle einander hassen und kein Geld da ist, Homers zu bezahlen, ist eine schmutzige Bombe im Vorgarten vor allem ein Terrormagnet.

    Das heißt, unsere Mittel werden knapp, lauter Killersäue laufen durchs Dorf Amok und lenken unsere Aufmerksamkeit ab, jeder ist sich selbst der Nächste und bei Massenproduktion gilt Schlampigkeit sowieso schon als Wirtschaftlichkeit, denn wir wollen billig herstellen und billig kaufen, das erzeugt einen Wettbewerb in Qualitätsminderung – auch in der Politik, wie man überall auf der Welt sieht. Die Wirtschaft, die nicht nach China weglaufen kann, findet wegen China keine Aufträge mehr, die letzte Futterquelle ist das Staatseigenfleisch Steuerzahler, so forciert sie eine Energiewende nach dem Prinzip Berliner Flughafen: Möglichst wenig leisten für möglichst viel Geld; man fürchtet nichts mehr als den Erfolg, denn dann kann man den Hut nicht mehr rumgehen lassen. Keine schönen Aussichten. Naja, zwingt uns keiner, es zu überleben, und es sagt auch keiner, dass alle Probleme eine Lösung haben. Aber versuchen kann man's ja, läuft ja eh nix Gescheites im Fernsehen, da können wir die Zeit genauso gut damit verplempern, dem Tod von der Schippe zu springen, auch wenn das totaaaal nervig und langweilig ist und voll der doofe Herdentrieb für die ganz uncoolen Kids und ohgottohgottohgott, was das wieder kostet, und dieser allseits umschwärmte Gentleman namens Jemand Anders, der gefälligst alle Deckel der Welt zu begleichen hat, einen so missmutig aus dem Spiegel anguckt.

    Erst mal – sinnvoll wären wenige große Kraftwerke, die sich leicht kontrollieren und verteidigen lassen, umgeben von unzähligen kleinen, die keine lohnenden Ziele bilden und keinen großen Schaden anrichten, wenn ein paar kaputtgehen. Beide Systeme müssten leistungsfähig genug sein, damit jedes den Ausfall des anderen notdürftig kompensieren kann, bis es wieder online geht. Da könnten Nuklearkraftwerke durchaus eine Rolle spielen, vielleicht Forschungsreaktoren und solche vom Militär. I'll sleep when I'm dead, dann träume ich von so was, und wenn ich strategisches Denken verpenne, bin ich auf jeden Fall bald verrry dead. Bis dahin – was tun?

    Gas? Gleiches Problem wie oben: Wir machen uns von Russland abhängig, dann werden wir erpresst – damit fällt auch Sonnenenergie flach, denn wenn wir so was nicht vorhersehen können, können wir auch weder Sonnenaufgang noch Sonnenuntergang vorhersehen, und zwei Schwarze Schwäne täglich bedeuten auch zweimal Finanzkrise täglich, die Wirtschaft wird das nicht überleben. Russland ist schon ein Weilchen im Geschäft und sein Verhalten so zuverlässig wie Planetenläufe, vielleicht sollten wir ein Fahrraddynamo an den Kreml anschließen. Ist halt nervig, mit einer Gleichung zu rechnen, in der die menschliche Dummheit den größten und wichtigsten Faktor darstellt – könnten wir ihre Allmacht für uns statt gegen uns nützen, wären wir Götter, können wir aber nicht. Auf jeden Fall werden wir etwas sehr Dummes und Kurzsichtiges tun – und das Sinnvolle vermeiden wollen, weil wir es für dumm und kurzsichtig halten.

    Die Technologie schreitet so schnell voran, dass jede Investition sich als Fehlinvestition erweisen wird – jedes neue System ist schon veraltet, bevor es fertig ist. Wer Sitzfleisch hat, wartet ab, damit die Anderen ihr Pulver für die Technologie verschießen, die schon morgen von Gestern sein wird, und er sich als Letzter das Neueste, Effizienteste und Billigste anschaffen kann, sodass er billig produzieren kann und die Konkurrenz von den Weltmärkten fegt. Bis dahin halten wir uns mit einem Flickwerk aus schrottreifer Technologie von Vorgestern und schrottreifem Billigschund aus China über Wasser. Doch so langsam wird der Umweltdruck so hoch, dass wir einfach das nehmen müssen, was gerade das Beste ist, und schlucken, dass wir es bitter bereuen werden. Es nicht zu tun, könnten wir noch bitterer bereuen. Das ist eine völlig normale Wahl, vor der Idioten immer wieder stehen: Wir zählen unsere Zähne, um zu schätzen, ob wir mehr verlieren, wenn wir der riesigen, eisernen Faust, in die wir uns mit Vollgas gestürzt haben, die linke oder die rechte Wange hinhalten. Trotzdem gibt’s Sachen, die wir tun könnten, zum Beispiel, Aufträge nur an Firmen zu vergeben, deren Vorstände bereit sind, für Pfusch und Verzögerungen mit ihrem Privatvermögen zu haften. Wenn's nötig ist, können wir die Atomkraftwerke durchaus noch ein Weilchen laufen lassen, dann aber verstaatlichen – dann klappt's auch mit dem Atomausstieg, denn wenn der Staat eins kann, dann einen prosperierenden Betrieb dem Erdboden gleich zu machen. Aber zumindest geschieht das dann durch schnöde Inkompetenz, ohne dass die Besitzer ein Interesse daran hätten, an anderer Stelle die Öko-Wende zu verzögern.

    Welche Technologie nützen? Viel, schnell, billig, was nicht viel Schaden anrichtet, wenn wir den Bau mittendrin unterbrechen und auf was Besseres umsteigen? All die Windräder, die wir aufstellen, müssen ja nicht für die Ewigkeit gedacht sein, Abriss und Recycling können schon berücksichtigt werden, und wenn Leute ihr Grundstück vorübergehend verpachten dürfen, kann so ein Ding auch im Wohnzimmer durch Boden und Decke gehen, Hauptsache Knete. Privathaushalte werden auch Solarzellen mit Handkuss nehmen, um sich so gut es geht aus der Stromkonzern-Leibeigenschaft freizukaufen, doch wenn ein Stromkonzern in drei Haushalten je einen Cent verliert, winselt er laut genug, um die Preise in dreißig Millionen um je drei Cent erhöhen zu können, muss man aufpassen. Menschen sind ihre Zukunft, ihre Kinder, der Planet, scheißegal, sie wollen hier und jetzt profitieren, so schafft man Motivation – lassen Sie die Hobbybastler von der Leine, machen Sie Preisausschreiben, die Kreativität kann dann die der offiziellen Forschung unterstützen. Der Markt ist ein Elefantenfriedhof, auf dem wenige Leichen mit Plastik-Platzhirschgeweih auf dem Kopf vor sich hin verwesen, die zwar gigantische Ressourcen bündeln können, aber auch alle Konkurrenz erdrücken und gar nicht an etwas Anderes denken dürfen, als mehr Geld zu scheffeln, denn sie gehören Aktionären wie Ihnen und mir, die Verantwortung zwar super finden, aber nur bei anderen Leuten, und die Aktien en masse vom Hof jagen, falls der Renditenzähler zu langsam tickt. Wir brauchen mehr Konkurrenz in anderen Disziplinen, als wer die Welt am schnellsten in billigen Müll verwandeln kann. Die Kleinen brauchen Luft und Spielraum, die Großen Dampf unterm Hintern. Tiefes Loch graben, dort überdüngtes Wasser sammeln, Algen wuchern lassen, in der Sonne trocknen, verbrennen? Klingt nach was für die Tropen, und wenn's eine gute Idee wäre, wäre erstens ich nicht drauf gekommen, zweitens würde es schon jemand machen. Könnte aber auch bei uns für ein paar gelangweilte Rentner und Schrebergärtner interessant sein. Vielleicht sind die Bauern der Zukunft ja überhaupt kleine Stromerzeuger, die hölzerne Windräder und Wassermühlen hüten, wie einst Weizen und Kühe? Die Effizienz einzelner Photovoltaik-Anlagen steigern, indem man Sonnenlicht mit Spiegeln und Linsen darauf bündelt? Reicht natürlich alles nicht.

    Je weniger Betriebskosten ein Kraftwerk verursacht, desto weniger effizient muss es arbeiten, da kann man auf andere Faktoren mehr achten. Tiefes Loch graben, Wasser reinlaufen lassen, verdampft von selber? Ist erstens teuer, zweitens nicht so einfach, wie es klingt, aber eine geothermische Anlage kann so konzipiert werden, dass sie wartungsarm läuft: Heute sehr teuer in der Anschaffung, fünfhundert Jahre nahezu gratis im Betrieb. Kann man über Schulden finanzieren, wir borgen uns einen Haufen Geld und zahlen es per Notenpresse zurück, dann bricht zwar das Wirtschaftssystem zusammen, aber wir haben's schön warm, während wir es neu aufbauen, das passiert ständig, haben wir viel Übung drin, es nervt, stört aber nicht weiter. Man müsste nur vorbeugen, um die sozialen Folgen abzufedern, damit keine populistischen Bauernhorden mit Guillotinen das Land verwüsten. Geld ist Spielzeug für fette, glückliche, behütete Kinder, wenn's ernst wird, kommt's auf die Hardware an. Mehr Mut zum Kollaps?

    Die Welt ist tot, und auch als radioaktiver Zombie kann sie nur noch mehr Chaos stiften. Wir machen hier Schadensbegrenzung, räumen Ground Zero auf, schlachten eine Leiche nach Organen aus, um uns ein neues, hoffentlich besseres Frankenstein-Monster zu bauen. Das ist erstens arbeitsintensiv, zweitens riskant, drittens verwirrend, weil sehr viel Geliebtes und Gewohntes auf den Kompost kommt und die ehemalige Niere plötzlich im Augapfel jobbt, während hinten jemand rumprobiert, ob noch die Flügel irgendwo dran können, die von KFC übrig sind. Da geht sehr, sehr viel schief, und das ist auch gut so, aus Fehlern lernen wir, aus Erfolgen lernen wir, nicht mehr zu lernen. Doch da ist Tschernobyl eher was für Leute, die ein Stromkabel von menschenleerer Sahara nach Europa legen können, und nicht solche, die es verbocken, ein paar Meter durchs eigene Land zu ziehen. Hier und da ein Kolläpschen, gern, aber bitte ohne Krebs und Dauerverseuchung, wir mutieren hier schon genug. Atomkraft sparen wir uns für die Grundschule auf, das hier ist noch Kindergarten auf Crack.

    Wir sind in den Häcksler gesprungen, jetzt müssen wir da durch. War unsere freie, informierte Entscheidung, wir wussten, was wir tun. Also tun wir's. Oder lassen's und gehen dabei drauf. Auch eine freie, informierte Entscheidung. Whatever you like best.
  • Wer sind die Schuldigen?

    04.11.2021, Rainer Eisenmann
    Seit mindestens 50 Jahren weiß man, dass Kohle u d Kernkraft keine Zukunft haben. Vor 10 Jahren wurde der Atomausstieg beschlossen, aber fast genauso lange wurde aktiv verhindert, dass Erneuerbare Energien auf ein ausreichendes Niveau ausgebaut werden. Wenn das jetzt (wahrscheinlich) schiefgeht, ist das doch nicht die Schuld der Regenerativen Energiequellen, sonderm der verantwortlichen Politiker, in deren Köpfen offenbar nur Profitgiwr und Machterhalt eine Rolle spielen.
  • Ungereimtheiten einer grünen Politik

    28.10.2021, Hajo Dasting-Hussner
    Die sehr wohlwollende Rezension des Buches »Die grüne Null« von Katja Maria Engel offenbart eher die sehr einseitige Sicht des TAZ-Journalisten Bernhard Pötter und damit auch die Paradoxien und Ungereimtheiten einer grünen Politik. So ist Artenschutz nur dann gut, wenn er der grünen Sache dient (Beispiel: Hambacher Forst). Bei dem im Buch erwähnten engagierten Vogelschützer reicht bereits der Hinweis auf AfD-nahe »Anti-Windkraft-Aktivisten«, um dieses Engagement zu diskreditieren. Dass es am Ausbau der Windkraft berechtigte Zweifel geben kann (u.a. auch im Hinblick auf den sonst immer so hochgehaltenen Artenschutz), wird offensichtlich überhaupt nicht thematisiert. So wurden bisher in Deutschland etwa 1400 Hektar Wald (das entspricht einer Fläche von 2000 Fussballfeldern) für Windräder gerodet - Tendenz steigend. Abgesehen von der massenhaften Vernichtung von dort lebenden Insekten, seltenen Fledermäusen und Vögeln durch die Rotoren, der dauerhaften Versiegelung von Böden durch die Windrad-Fundamente und der Infraschall-Belastung werden damit auch CO2-Senken vernichtet - für Grüne offenbar überhaupt kein Problem.
  • Stellungnahme zur Rezension

    25.10.2021, Dr. Volker Wrede
    Ausgangspunkt der Rezension von Frau Engel ist die Behauptung, ich verteidige „das Recht des Menschen auf Bergbau“. Abgesehen davon, dass ich ein solches Recht in meinem Buch nirgends fordere oder verteidige, ist mein Ausgangspunkt ein anderer: Die Gewinnung von Bodenschätzen ist für den Menschen unverzichtbar. Ich weiß nicht, wie die Rezensentin denkt, aber für mich ist ein menschliches Leben ohne Metalle, ohne mineralische Baustoffe wie Ziegelsteine oder Beton, ohne Glas und Keramik, ohne Salz und die allermeisten chemischen Produkte und bislang auch ohne fossile Energieträger nicht vorstellbar. Wie soll die Energiewende gelingen, ohne die Rohstoffe, die für den Bau von Windenergieanlagen oder Solarzellen nötig sind, einschließlich der hierfür benötigten Elektronik?
    Es ist das offenkundige Ziel der Autorin, mich in die Ecke eines kritiklosen Bergbau-Lobbyisten zu drängen. Vermutlich bin ich aber nicht das richtige Objekt dafür. Seit Jahrzehnten habe ich in der Landesverwaltung von NRW an der Schnittstelle zwischen Rohstoffwirtschaft und Naturschutz gearbeitet und es ist mir mehrfach gelungen, Naturschutzinteressen z.B. auch gegen Abbauinteressen der Rohstoffindustrie durchzusetzen. Vom Verband Deutscher Höhlen- und Karstforscher konnte ich für das Geologische Landesamt NRW deshalb schon 1999 den renommierten Dr.-Benno-Wolf-Preis entgegennehmen, der u.a. für besondere Leistungen im Höhlenschutz vergeben wird. Gleichermaßen habe ich aber auch die Interessen und die Notwendigkeit der Rohstoffsicherung gegen mitunter überzogene Naturschutzansprüche verteidigt. Ich gehöre zu den Autoren der „Arbeitsanleitung Geotopschutz in Deutschland“ und habe in etlichen Fachaufsätzen zur Thematik des geowissenschaftlichen Naturschutzes und zum Spannungsfeld zwischen Naturschutz und Rohstoffabbau Stellung bezogen. Ich traue mir daher ein abgewogenes Urteil auf diesem Gebiet zu.
    Das Vorhaben der Rezensentin funktioniert nur dadurch, dass sie alles, was nicht in ihr Bild passt, vollständig ignoriert und totschweigt. Dies zeigt sich schon ganz am Anfang ihrer Rezension: „Um dem Bergbau ein positives Image zu verpassen, führt Wrede sogar Beispiele aus dem Alten Testament … an.“ In der Tat eröffne ich mein Buch mit einem längeren Kapitel, in dem ich die Rezeption des Bergbaus in der Geschichte Revue passieren lasse – beginnend mit dem Alten Testament, das den Bergbau positiv sieht (u.a. Buch Hiob), über einen klassischen Schriftsteller wie Ovid, der ein ausgesprochener Bergbaukritiker war, bis zu Agricola (1556), der das Für und Wider des Bergbaus aus der damaligen Sicht sehr umfangreich diskutiert, und dessen Argumentationen ich ausführlich zitiere. Dieser Zusammenhang der historischen Einleitung wird von der Rezensentin vollständig unterschlagen, sondern der Hinweis auf das Alte Testament als „konstruiert“ bezeichnet. Ebenso vollständig unterschlagen werden u.a. die Kapitel „Rohstoffsubstitution“, „Urban Mining“, „Politische Unsicherheiten der Rohstoffversorgung“ und „Emissionen und Altlasten“ oder die ausführlichen Erörterungen zur Bergschadens- und Bergsenkungsproblematik oder die Darlegung des in Finnland entwickelten „Green Mining Concepts“ im Kapitel „Rohstoffgewinnung und Umwelt“. Auf dieses Kapitel, das rund ein Drittel des Buches ausmacht, geht die Rezensentin eigentlich nur mit der süffisanten Bemerkung „Der Geowissenschaftler Volker Wrede singt ein einseitiges Loblied auf den Bergbau – dieser habe sogar positive Folgen für die Natur“ im Vorspann ihres Textes ein. Die Argumentation, warum dies (nicht nur) meiner Meinung nach meist so ist, erwähnt sie mit keiner Silbe. Tatsächlich bilden z.B. aufgelassene Steinbrüche, Sand- und Kiesgruben wichtige Lebensräume, die erheblich zur Biodiversität betragen und daher meist unter Naturschutz gestellt werden. Auch die renaturierten Braunkohletagebaue weisen in der Regel eine um Potenzen höhere Biodiversität auf, als die dort vorher meist existenten Agrarflächen. Die durch jahrhundertelange, anthropogene Schwefel- und Schwermetallimmissonen geprägten Böden in historischen Bergbaugebieten wie dem Harz bilden als Schwermetallrasen sogar einen eigenen geschützten Lebensraumtyp nach der FFH-Richtlinie.
    Die Rezensentin unterstellt mir die Behauptung, ein nicht umweltverträglicher Bergbau läge „nur an den jeweils herrschenden Regierungen der betroffenen Länder. So einfach ist die Welt für Wrede – doch das ist leider etwas kurz gedacht. Denn genau darauf ruhen sich einige internationale Konzerne aus.“ Nein, so einfach ist mein Weltbild nicht. Ich diskutiere (auf den Seiten 168 bis 172 meines Buches) die Frage, warum es sowohl in stark kapitalistisch ausgerichteten Ländern (z.B. den USA) wie auch in den früheren sozialistischen Ländern zu deutlich gravierenderen Umweltschäden beim Rohstoffabbau kommt bzw. kam, als z B. in Deutschland. Die Ursache ist in beiden Fällen das Fehlen einer effektiven, von den Unternehmens- oder den staatlichen Produktionsinteressen unabhängigen staatlichen Aufsichtsinstanz. Wenn sich dann, vor allem in Drittweltstaaten, korrupte Regierende zu Komplizen kriminell agierender Unternehmen machen, ist dies aber ein völliges Staatsversagen und sollte auch so benannt werden.
    Insgesamt ignoriert die Rezensentin den logischen Aufbau des Buches. Sie versucht stattdessen durch die scheinbare Widerlegung zusammenhanglos zitierter Einzelpassagen, die Glaubwürdigkeit meiner Argumentation zu erschüttern. So behauptet sie, ich würde „Windenergie als Alternative zu Öl und Kohle mit allen erdenklichen Nachteilen vorstellen“. Tatsächlich diskutiere ich die Vor- und Nachteile der Windenergie gar nicht – das ist nicht das Thema des Buches. Ich referiere (mit jeweiliger Quellenangabe) die Argumente, die in der öffentlichen Debatte gegen den unbegrenzten Ausbau der Windenergie vorgebracht werden und die zunehmend zu Akzeptanzproblemen für die Windenergie in der Bevölkerung führen. Hier sind Vergleiche der benötigten Flächen für Windenergieanlagen im Verhältnis zu den Flächen der Braukohlentagebaue doch sehr anschaulich und haben nichts mit einer Bewertung der Flächeneffizienz der Braunkohlelagerstätten zu tun (was per se unsinnig wäre). Dass die Flächen von Windparks mit Einschränkungen landwirtschaftlich genutzt werden können, ist keine Erkenntnis der Rezensentin, sondern steht auf Seite 95 meines Buches. Selbstverständlich muss man bei der Beurteilung der Effizienz der Windkraftanlagen den Durchschnittswert zu Grunde legen und kann nicht nur von den Spitzenwerten ausgehen, wie es die Rezensentin fordert. Aus diesen Überlegungen folgt zwangsläufig die Diskussion darüber, ob ein Ersatz der bisher von den fossilen Energieträgern gelieferten Elektrizitätsmengen und die Deckung des durch e-Mobilität, wachsende Digitalisierung und andere Anforderungen zukünftig stark wachsenden Strombedarfs allein durch regenerative Quellen geleistet werden kann. Das ist zu bezweifeln und ein Rückgriff auf fossile Energieträger wird vorläufig notwendig bleiben. Entgegen der Behauptung der Rezensentin favorisiere ich nicht Öl oder Kohle als Alternative der regenerativen Energien, sondern offshore-Windkraftanlagen, Geothermie und (ganz im Einklang mit der Kohlekommission der Bundesregierung) Erdgas. An welcher Stelle meines Buches ich aber „Fracking-Gas aus den USA und Europa kurzerhand für nachhaltiger und klimafreundlicher erklärt habe als Erdgas aus Russland“, ist mir nicht ersichtlich. Was ich allerdings vorschlage (S. 97), ist „eine vorurteilsfreie Neubewertung der Erschließung der einheimischen unkonventionellen Erdgasvorkommen zu erwägen“. Ein Gedanke, der durch die aktuelle Preisentwicklung auf dem Gasmarkt sicherlich nicht konterkariert wird.
    Alle diese Überlegungen basieren natürlich auf dem heutigen Stand der Technik. Die Entwicklung von in großem Maßstab wirtschaftlich arbeitenden, effizienten Energiespeichern könnte z.B. zu einem völligen Paradigmenwechsel führen. Ich bin aber sicher, dass auch diese Energiespeicher wieder Bergbaurohstoffe zu ihrer Realisierung brauchen werden.
    Um die Energieerzeugung geht es mir aber eigentlich gar nicht vorrangig (das Kapitel „Fossile und regenerative Energieerzeugung“, das die Rezensentin so ausführlich diskutiert, macht gerade einmal 7 Seiten von insgesamt 186 Textseiten aus). Aufbauend auf der historischen Einleitung lege ich vielmehr dar, dass die auf Biorohstoffen basierende Versorgung der Menschen in Mitteleuropa mit Energie (Holz bzw. Holzkohle) und Nahrungsmitteln im 17. und 18. Jahrhundert an ihre Grenzen gekommen war mit gravierenden Folgen für die Menschen und die Umwelt: Hungersnöte führten zu den großen Auswanderungswellen z.B. nach Amerika, die Entwaldung z.B. der heutigen Lüneburger Heide hatte eine Versteppung der Landschaft zur Folge. Der Erzbergbau geriet in Gefahr, weil es an Grubenholz für den Ausbau der Bergwerke mangelte. Als eine Antwort darauf forderte der Sächsische Berghauptmann v. Carlowitz 1713 die Einführung einer nachhaltigen Forstwirtschaft, wobei er auf Gedankengut zurückgriff, das im Bergbau schon seit Jahrhunderten als „Posteritätsprinzip“, d.h. dem generationengerechten Wirtschaften, bekannt war. Darüber hinaus schlug er z.B. aber auch den Ersatz des Holzes als Brennmaterial durch Torf und Kohle vor, um die begrenzten Holzmengen zu schonen. Die Krise der Nahrungsversorgung in Europa konnte erst mit der Einführung der bergbaulich gewonnenen mineralischen Düngemittel gelöst werden. Die Umstellung der Wirtschaft von der einseitigen Abhängigkeit von den Bioressourcen zum verstärkten Einsatz von fossilen Rohstoffen erlaubte dann eine Regeneration der Natur.
    Auf diesen historischen Fakten und Erfahrungen basiert meine Skepsis, ob die regenerativen Rohstoffe allein ausreichen können, die wachsende Erdbevölkerung mit Nahrungsmitteln, Energie, Baumaterial und anderem zu versorgen. Die Feststellung, dass die Menge der zu einem bestimmten Zeitpunkt zur Verfügung stehenden Biorohstoffe durch die verfügbaren Anbauflächen limitiert wird, ist doch relativ trivial und keineswegs „konstruiert“. Ebenso wenig „konstruiert“ ist die Feststellung, dass die fossilen Rohstoffe zwar endlich sind, aber die Mengen, die allein in der obersten, dem Menschen zugänglichen Erdkruste verfügbar sind, jedoch so groß sind, dass kaum damit zu rechnen ist, dass sie die Menschheit sie jemals aufzehren wird. Hinzu kommt, dass die meisten Rohstoffe in unterschiedlichem Maße recyclebar sind und sich dadurch die Vorratsmengen gegebenenfalls vervielfachen. Die Darlegung der wirtschaftlichen Mechanismen, wie diese Rohstoffe nutzbar gemacht werden, die Probleme der Reichweitenprognose und die Frage, weshalb bei vielen Rohstoffen die Vorratsmenge schneller wächst als der Verbrauch, machen eigentlich den Hauptteil meines Buches aus. Der Leser der Rezension erfährt hiervon leider nichts.
    Mein Eindruck ist, dass die Rezensentin ein Buch grundsätzlich ablehnt, das nicht „Bergbau-Bashing“ betreibt, sondern sich bemüht, die komplexen Beziehungen zwischen Rohstoffgewinnung und der Nachhaltigkeit faktenbasiert darzustellen. Leider macht sie sich kaum die Mühe ihren Standpunkt argumentativ zu begründen, sondern zeichnet stattdessen ein völlig verzerrtes Bild des Buch-Inhalts. Über den Aufbau des Buches, die Argumentation und das Fazit der angestellten Überlegungen erfährt der Leser fast gar nichts. – Schade!
  • Alter Wein in alten Schläuchen

    23.10.2021, Wolfgang Stegemann
    In der Einleitung schreibt Prinz: "Bewusstsein erklären – im Ernst? Ist das nicht ein Unternehmen, an dem sich schon viele verhoben haben? Soll man es nicht lieber bleiben lassen?"
    Tja... Er versucht eine Synthese aus Philosophie und Neurowissenschaft und ergeht sich in nicht enden wollenden Begriffsdiskussionen, die zu keinem Erkenntnisgewinn führen.
    Um Bewusstsein zu verstehen muss jeglicher Anthropozentrismus über Bord geworfen werden. Wie würden uns Aliens sehen? Als von wem oder was gesteuerte Roboter? Nein. Als selbständige Lebewesen, die eingehenden chaotischen Reizen eine geordnete Struktur verleihen, nämlich das Denken. Das Gehirn exportiert somit Entropie, wie dies der gesamte Organismus ebenso tut. Empfinden und Denken verschlingen sich ineinander und produzieren unser individuelles Bewusstseinstheater. Das Gehirn übt kausale Kraft nicht nur auf unsere Handlungen aus, sondern auch auf unseren Körper - positiv wie negativ. Verantwortlich sind Metastrukturen, die entstehen durch die Kommunikation von neuronalen Mikrohotspots, also die 'Berge' in der virtuellen Gehirntopologie.
    Die elektrochemische Sprache des Gehirns codiert an dieser Stelle soziale Bedeutungen. Es ist ein Navigationssystem durch die (soziale) Aussenwelt, das sich selbst steuert.
    Um dieses komplexe System zu verstehen, braucht es eine neutrale Theorie, die die Begriffe aus allen Bereichen der Wissenschaft synthetisieren kann: eine Systemtheorie.
    Dr-stegemann.de.
  • Zweierlei Brei

    21.10.2021, Paul S
    Mir scheint, wir haben hier ein Definitionsproblem: Mit dem Begriff „Bewusstsein“ bezeichnen wir verschiedene Dinge. Einerseits steht es für die Eigenschaft, die, subjektiv zumindest, das Sein vom Nichtsein unterscheidet. In diesem Sinne kann es nur in Verbindung mit einem Inhalt existieren, Bewusstsein ohne Inhalt, ohne etwas, das ist, erlebt wird, ist von Bewusstlosigkeit nicht zu unterscheiden. Diese Eigenschaft studieren Sie am besten in dem kurzen Augenblick zwischen Tiefschlaf und Aufwachen, wenn Sie merken, dass da etwas ist, aber noch nicht wissen, was – es gibt weder Sie noch ein Universum, ist auch schwer, das Wort „Gefühl“ für diesen Bewusstseinsinhalt zu gebrauchen, da ist einfach etwas, das kein Nichtsein ist und erst nach und nach mit der Welt gefüllt wird.

    Andererseits werden damit bereits die Inhalte des Bewusstseins bezeichnet, die von ihm wahrgenommene Realität. Und weil es so viele Möglichkeiten und Kombinationen gibt, kann sich da jeder Interessierte nach Lust und Laune austoben. Dann gerät man aber schnell in semantische Notlagen, zum Beispiel stolpert man über Argumente, wie: Das Tier registriere die Welt, hätte aber kein Bewusstsein, weil es sich nicht selber wahrnähme oder hinterfragte (anscheinend streifen reichlich Werwölfe durch die Philosophie, die das Tiersein jeden Vollmond aus eigener Erfahrung kennenlernen). Ja, was hat es dann, Zwiebelmett? Ohne Bewusstsein (Typ1) könnte es die Welt gar nicht registrieren, über sein Bewusstsein (Typ2) kann der Mensch nur Schlussfolgerungen aus dem Tier in sich ziehen. Und wenn ich mich da durchlese, scheint es mir, dass da das Tier die Schlussfolgerungen zieht, weil es in seiner Natur liegt, sich für auserwählt und überlegen zu halten.

    Um Bewusstsein zu studieren, gibt’s theoretische Konzepte, wie den philosophischen Zombie – man kann sich ja ein Wesen vorstellen, das eine leblose Puppe ohne Bewusstsein ist, doch so verschaltet, dass sie genauso handelt und Gefühle äußert, wie ein Mensch. Problem dabei: Machen Sie mal – stellen Sie es sich vor. Geht nicht, oder? Eine solche Puppe wäre ohne Puppenspieler nicht denkbar, der die Fäden zieht, ohne Beobachter, der sie von Außen wahrnimmt, und solch eine Puppe mit integriertem Puppenspieler und Beobachter sind Sie selber. Wenn im Wald ein Baum umfällt und keiner es mitkriegt, ist er dann wirklich umgefallen? Um das zu untersuchen, entferne ich alles, was den Baum eventuell wahrnehmen könnte, inklusive Wald und Baum – klappt auch nicht. Ich find's sehr interessant, dass wir über Dinge nachdenken und Konzepte entwickeln können, die in der Wirklichkeit unmöglich sind, aber das ist ein Thema für sich.

    Hier hilft einem die Realität gern auf die Sprünge. Die meisten Dinge auf der Welt sind dazu da, genau das zu tun, was sie auch ständig tun; dass das Bewusstsein eine Funktion hat und welche das ist, ergibt sich aus der Beobachtung. Ohne Bewusstsein sind Sie nicht handlungsfähig – Sie existieren nicht, Ihr Körper ist nur ein Klumpen Materie, er bewegt sich nicht, er wird bewegt. Man könnte Sie anzünden, Ihr Fleisch reagiert, ein paar Muskeln zucken, doch Sie existieren nicht und erfahren von all dem erst, wenn Ihr Bewusstsein wieder online geht. Bewusstsein ist ein Ermöglicher, völlig neutral, passiv, teilnahmslos gegenüber seinen Inhalten, doch unverzichtbar: Ohne es keine Wahrnehmung, kein Fühlen, keine Reaktion. Zielgerichtete Aktivität ist nur auf Ebenen festzustellen, die nicht von der Bewusstlosigkeit betroffen sind: Um den Körper herum und bei niederen Körperfunktionen. Ich weiß nicht, ob Ihre Zellen im Schlaf ein eigenes Bewusstsein entwickeln, es liegt aber nahe. Muss ja bei weitem nicht so reich gefüllt sein, wie das kollektive Bewusstsein, das Sie Ich nennen.

    Beobachtung zeigt: Dinge, die nicht bewusst beobachtet werden, lösen sich auf, funktionieren aber immer noch. Wenn die Lehrerin die Schüler anschaut, haben wir eine organisierte Klasse, dreht sie sich zur Tafel, zerfällt diese in lauter tuschelnde Kindergruppen. Verminderte Beobachtung führt zu verminderter Organisation, doch die Lehrerin kann ja immer noch hören, und die Kinder wissen, dass sie von anderen Kontrollinstanzen überwacht werden, wenn auch nicht kontinuierlich. Sobald die Glocke klingelt, löst sich die Klasse vollends auf, existiert nur noch als Erinnerung und fügt sich nur dadurch wieder zusammen, weil Eltern, Lehrer, Staat, Gesellschaft, die Kinder mit Millionen Augen beobachten. Die stärkste Kraftquelle macht die Regeln und bestimmt das System, in dem alle anderen funktionieren – schließt sie die Augen, erwachen andere Systeme mit anderen Kraftquellen, die Kinder werden zu völlig anderen Wesen. Verglichen mit der Quantenwelt, ist der Physiker so was wie die Andromeda-Galaxie, die sich hinter einem Holunderbusch versteckt und glaubt, dass sie keiner bemerkt – das Energiegefälle ist so groß, dass der Effekt auch bei kleinsten Teilchen merkliche Veränderungen auslöst. Umgekehrt sind wir der Staub, der die echte Andromeda-Galaxie anguckt, und würden sicherlich reagieren, wenn sie zurückschaut – ihr ist unser Voyeurismus hingegen völlig egal.

    Das Bewusstsein (Typ1) scheint also eine physikalische Kraft zu sein, auf die der Mensch beileibe keinen Exklusivanspruch hat. Was bewusstlos erscheint, dürfte eine chaotische Masse von Objekten sein, die als Ganzes nur höchst eingeschränkt auf die Umwelt reagieren kann, weil jedes der Objekte sich als Individuum begreift, dessen Umwelt aus anderen Individuen seiner Art besteht: Das große, gemeinsame Ding, das sie zusammen bilden, existiert zu dem Zeitpunkt nicht. Ihre Firma lebt tagsüber, wenn sie von gemeinsamen Zielen, gemeinsamem Willen, gemeinsamen Kraftquellen kontrolliert wird. Nach Feierabend löst sie sich auf und übersteht die Nacht nur als Traum, während Sie die stärkste Kraftquelle in Ihrer Wohnung spielen. Schätze mal, die Bewusstlosigkeit des Schlafes könnte man als Feierabend für die Körperzellen werten. Würden Sie in der Firma bleiben, würde ihr Ich durch die Firma unterdrückt, Sie würden sich nicht um sich selbst kümmern, kaputtgehen und damit auch die Firma schwächen. Für Ihre Zellen ist halt der Körper die Firma.

    Das Problem bei solchen Spekulationen ist: Wenn ich davon ausgehe, dass es wahr ist, passt alles Geschehen im Universum ins Muster, von Donald Trump über die Evolution bis zu dem, was Sie gerade machen, wenn Sie diesen Text lesen. Doch ich kann Bewusstsein nur bei mir selbst wahrnehmen. Die Welt besteht aus Indizien und sonst gar nichts – und doch fehlt der ultimative Beweis. Wenn's aber so gut passt, dürften wir damit dem heißen Brei ziemlich nahe gekommen sein.
  • Fertig gelesen

    11.10.2021, Martin Piehslinger
    Nachdem ich das Buch fertig gelesen habe, folgt Teil 2 meiner Reflexionen.

    Ein Kandidat für die Vereinheitlichung von Quantenphysik und Relativitätstheorie, an der sich TheroretikerInnen seit Jahrzehnten die Zähne ausbeißen, ist die Stringtheorie. Hier ist Schluss mit den anschaulichen Erklärungen, das versucht der Autor gar nicht. Was er hier ausführt muss man einfach so glauben. Ich glaube es ihm gerne, denn das ist sein Spezialgebiet. Hier liest sich das Buch leicht, ich habe einiges erfahren was ich trotz langjähriger Lektüre des Spektrum der Wissenschaften nicht gewusst habe. Stringtheorie für Dummies, eben.

    Die Stringtheorie funktioniert nur in mindestens 10 Dimensionen und das Problem der überzähligen Dimensionen beherrscht die Ausführungen. Möglichkeiten, diese überzähligen Dimensionen los zu werden, gibt es unendlich viele. Anderswo liest man nicht "unendlich", sondern 10 hoch 500, auch keine überschaubare Menge. Jede beschreibt ein mögliches Universum. Die meisten davon funktionieren in unserem Sinn nicht, es könnten sich keine Sterne und erst recht keine lebensfreundlichen Planeten bilden, oft nicht einmal Atome. Der Frage, warum wir ausgerechnet in einem funktionierenden Universum leben und ob da zwingend ein lenkender Gott dahinter stehen müsse, hält der Autor das anthropische Prinzip entgegen. Demnach existierten wir nicht und könnten uns nicht diese Frage stellen wenn es nicht so wäre, also erübrigt sich die Frage.

    Trotzdem bleibt die Frage, wie man unter dieser Vielzahl der Möglichkeiten die Beschreibung unseres Universums heraus findet. Bei der Beseitigung von Unendlichkeiten, wie sie sich aus der Relativitätstheorie im Fall von Urknall und schwarzen Löchern ergeben, deretwegen die Stringtheorie ja entwickelt wird, ergibt sich das Problem dass man sich neue Unendlichkeiten einhandelt, die man auch wieder los werden muss. Das bekannte Verfahren der Renormierung, das in anderen Fällen geholfen hat, lässt sich hier nicht anwenden. Die Stringtheorie ist nicht renormierbar.

    Eine der Versprechungen der Stringtheorie ist, zu ergründen, was vor dem Urknall geschehen ist. Also wie und warum unser Universum entstanden ist. Hier vermutet der Agnostiker Michio Kaku, noch zu findende Ergebnisse der Stringtheorie vorwegnehmend, Gott. Das nimmt er zum Anlass, sich mit den Gottesbeweisen von Thomas von Aquin aus dem 13. Jahrhundert herumzuschlagen. Gottesbeweise, die ich, ebenfalls Agnostiker, sowieso nicht für überzeugend halte, nicht einmal für erwähnenswert.

    Kaku erwähnt dass das Higgs-Boson auch Gottesteilchen genannt wird, verschweigt aber, warum und von wem es so genannt wird: Das "gottverdammte Teilchen" wurde von einem übermotivierten Buchverleger kurzerhand zum "Gottesteilchen" umbenannt, hat also mit Gott überhaupt nichts zu tun. Kaku scheint zu versuchen, dem - aus meiner Sicht unglücklich gewählten - Buchtitel gerecht zu werden.

    Nicht nur der Anfang des Universums beschäftigt uns, sondern auch sein Ende. Kaku betont dass nicht weniger als das Schicksal des Universums davon abhängt, welche Lösung der Stringtheorie wir finden. Ein Big Crunch, ein Big Freeze, ein Big Bounce bei dem gleich wieder ein neuer Urknall eintritt, oder es entstehen und vergehen ständig große und kleine Universen, oder was sonst noch bei der Rechnung heraus kommen könnte. Eine der vielen sprachlichen Ungenauigkeiten: Nicht das Schicksal des Universums hängt davon ab, sondern unsere Beschreibung dieses Schicksals. Don't try to eat the menu.

    Gegen Ende verliert sich das Buch in Metaphysik und Science Fiction. Ob es doch mehr Dimensionen geben könnte und wie sich die Menschheit vor dem Ende des Universums mit Hilfe dieser Extradimensionen in ein (zum heutigen Wissensstand völlig hypothetisches) Parallel-Universum retten könnte. Hier ist dem Autor definitiv die Phantasie durchgegangen.

    Trotz meiner Einwände habe ich das Buch gerne gelesen, würde es aber nur unter Vorbehalten empfehlen und würde empfehlen, einige Kapitel auszulassen.
  • All und Lineal

    23.09.2021, Paul S
    Mathe funktioniert, weil sie das Grundmuster des Universums widerspiegelt: Die Explosion, die aus Explosionen besteht und neue Explosionen bildet, das Fraktal aus Blasen/Linsen. Genau wie die Schwerkraft vor Newton, oder die allgegenwärtige Relativität vor Einstein, hat sich die Schaumbad-Natur des Universums nie vor uns versteckt, und so machten schon Höhlenmenschen Physik auf einem Niveau, das unseres übersteigt, indem sie ganz einfach alle Vorgänge der Umgebung auf ein und demselben Blatt Papier abpausten, nachdem sie festgestellt hatten, dass sie dann weniger oft von Säbelzahntigern gefressen werden. So ließ sich die gesamte Welt auf ein einziges Lineal quetschen, ein Frequenzband, ein Schweizer Taschenmesser, das zwar ständig durch Mehrdeutigkeiten nervt, man weiß auch nie, ob ein großes Rätsel der Mathematik durch ungelöste Geheimnisse der Physik entsteht, oder Mathe einfach aufgrund eines Konstruktionsfehlers zu sabbern beginnt, das aber immer und auf alles passt, solange der Mathematiker nicht Nagelfeile mit Korkenzieher verwechselt. Anders gesagt, ein Taschenmesser ist eine bessere Keule, die passt auch immer, solange der User passt.

    Mathe ist Zahlen nach Malen – es spiegelt Grafik wieder. Das Zentrum der Explosion sind 1 und 0, im echten Leben gibt’s die sowohl getrennt, als Enden eines Spektrums (wobei sie oft für Unendlichkeit stehen), wie auch überblendet, als Teile ein und derselben Linie, die auf Sie zukommt: on/off, true/false, als Zustände eines Punktes (unsere Computer sind binär, weil unsere Chip-Produktionstechnologie so primitiv ist, dass sie nur die zwei gröbsten, deutlichsten, elementarsten Zustände des Universums unterscheiden können). Dividieren ist Verkleinern, Zeugs entfernt sich von Ihnen. Multiplizieren ist Vergrößern, Zeugs nähert sich. Addieren und Dividieren heißt entweder, Zeugs fliegt nach links und rechts, oder es fliegt Ihnen in einem bestimmten Winkel um beide Ohren. Auch diverse andere Zahlenreihen entsprechen perspektivischer Verkürzung, Zeugs, das in einem bestimmten Winkel auf Sie zukommt, wobei es Welle spielt und Sprünge macht: In jeder Explosionsblase/Linse wird es gestreut, dann wieder gebündelt.

    Hier sieht man auch schon den ersten Konstruktionsfehler: In der Wirklichkeit fliegt Zeugs nach links und rechts gleichberechtigt, in der Mathe musste „Minus mal Minus gleich Minus“ nachgerüstet werden. Dass man Zahlen, die näher an der Realität liegen, als „irreal“ bezeichnet, ist wohl Mathematiker-Humor.

    Wenn Sie 6000 Würfelwürfe zu einem einzigen Ereignis zusammenfassen, haben Sie einen Würfel, der zuverlässig sechs Zustände gleichzeitig einnimmt. Sein weiteres Verhalten hängt von der Umwelt ab: Wenn die Spielregeln heißen, „bei 1 saufen, bei 3 fressen, bei 5 vögeln“, bekommen Sie an einem Bierfass Leute, die emsig würfeln und gelegentlich trinken, bietet aber die Umwelt Ressourcen für alle drei Ereignisse, bekommen Sie eine Party – zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Genetiker, noch mehr empfehle ich den Selbstversuch. Weil auch die Ressourcen von Würfeln und Wahrscheinlichkeiten bestimmt werden, bekommen Sie lauter neue Zahlenreihen: Sind die Lieferketten stabil, ist die Wahrscheinlichkeit in der Wirklichkeit stabilisiert worden, können wir sie mit dem Lineal vermessen – sind sie instabil (vergleiche das Gesetz der Serie im Alltag), erscheinen sie uns chaotisch. Die wirklich stabilen Zahlenreihen, solche, die Naturgesetze geworden sind, sieht man auf dem Lineal selbst. Um ihre Entstehung zu verstehen, müsste man es mehrdimensional auflösen, sich ansehen, wie es aussieht, wenn mehrere Lineale, oder besser noch, Reihen von Einsen und Nullen aus verschiedenen Richtungen zusammentreffen. Am Ende sind es nur Wellenmuster, Kreisläufe, Spiralen, einfach, weil die Physik so funktioniert.

    Die Lotto-Trommel bietet eine vorherbestimmte, eingeschränkte Zahl von Möglichkeiten, die Frage ist aber, ob wir die Trommel erkennen, wenn wir nur das Chaos darin sehen. Wenn Sie Auto fahren, hat das Auto für Sie eine Bewegungsrichtung, für die Ameise auf dem Rückspiegel nicht, die wird bei jeder Bodenwelle woanders hingeschleudert. Ein anderes Beispiel sind Extinktionsmuster: Angeblich gibt’s alle zig Millionen Jahre eine Naturkatastrophe mit Wetterchaos, tektonischen Aktivitäten und Asteroid-Regen, die zu Massenaussterben führt, das deutet auf ein wiederkehrendes kosmisches Ereignis hin. Wenn aber, wie bei den Dinosauriern, Vulkanausbrüche und Asteroideinschlag im Einzelfall achthundert Jahrtausende auseinander liegen können, fällt es uns schwer zu sagen, ob dieses Muster überhaupt existiert. Was für ein kosmisches Ereignis bedeutungslose Schwankungen sind, ein leichtes Flimmern, sind für uns völlig unzusammenhängende Vorgänge.

    Ein Schachspiel erscheint uns chaotisch, obwohl die Zahl der möglichen Schachpartien beschränkt ist – es sind einfach zu viele, als dass wir sie erfassen könnten, und selbst wenn man es könnte, man weiß nie, welche von ihnen gerade läuft. Schließlich gibt es für jeden Zug eine große Zahl von möglichen Gegenzügen. Feste Zahlenreihen verraten uns die Spielregeln: Wir können die Felder zählen und aus dem Verhalten der Figuren auf ihre Möglichkeiten schließen. Wir können erkennen, dass es nur fünf mögliche Ergebnisse gibt: Ich gewinne, du gewinnst, Patt, Mutation, Abbruch (Mutation heißt, die Regeln ändern sich mittendrin). Vereinfacht: Matt, Patt, Eingreifen überschachlicher Mächte, die das Spiel höchstens dadurch andeutet, dass es auf dem Schachbrett nichts gibt, was die Figuren bewegen, das Schachspiel schaffen oder die Regeln durchsetzen könnte, und auch da könnte man streiten, ob die Schachspieler nicht bereits Teil des Spiels geworden sind, indem sie sich auf ihre Funktion als Schachspieler reduzieren ließen: Die Lottotrommel, die die Lottotrommel umgibt. Ein dynamisches System lässt sich halt nur anhand seiner Brennpunkte erfassen, einer Serie von Schnappschüssen der Momente, in denen die Wahrscheinlichkeit ausreichend reduziert ist, dass wir sie handhaben können.

    Dass Leute, die dieselbe Welt mit demselben Lineal vermessen, früher oder später Gemeinsamkeiten finden werden, ist zu erwarten. Ob sie selbst es erwartet haben oder nicht, ist ein bedeutungsloses Flimmern im System.
  • Joseph Silvermans „große Vermutungen“

    23.09.2021, Peter Angermann
    Wie schon die Formulierung „eine Art Oberfläche“ oder gar „eine Art dreidimensionaler Oberfläche“ für den Graphen der Jacobi-Varietät nahe legt, handelt es sich bei dem Produkt zweier elliptischer Kurven sicher weniger um „hohle Donuts mit zwei Löchern“, sondern eher um die definitiv zweidimensionale Kleinsche Flasche, eingebettet in den vierdimensionalen Raum.
    Denn solche geschlossene Kurven entsprechen im Prinzip Schleifen rekursiver Prozesse, genauer Iterationen komplexzahliger Gleichungen, die auch die beschriebenen fraktalen Strukturen hervorbringen. Ihre Zusammenlegung (der Torsionspunkte) spannt eine geschlossene Fläche im vierdimensionalen Raum auf: eben die Kleinsche Flasche. Sie ist alles andere als eine Oberfläche, schließt Volumen weder ein noch aus und stellt nichts anderes dar als das Produkt zweier elliptischer Kurven.
    In dieser Hinsicht bildet die Kleinsche Flasche buchstäblich die bedeutungsvolle Schnittfläche zwischen Arithmetik und Komplexer Dynamik, was auch schon in Ihrem früheren Artikel „Geometrie, Rechtecke im Kreis“ angesprochen wurde (spektrum.de/artikel/1783520).

    Mit freundlichen Grüßen
    Peter Angermann
  • Zu kurz

    20.09.2021, Anonymer Kritiker
    Fehlt da eine zweite Seite im Artikel? Wie hat der Computer das gemacht? Was ist denn nun kondensierte Mathematik? Wie sieht diese Vision aus? Wie geht's jetzt weiter? Der Artikel endet abrupt.
    Stellungnahme der Redaktion

    Vielen Dank für Ihre Zuschrift.
    Ich verstehe Ihren Einwand durchaus, nur leider lässt sich auf so kurze Art und Weise das Konzept der „Kondensierten Mathematik“ leider nicht erläutern. Ziel dieses Artikels war es, den Fortschritt bei den Computerprogrammen hervor zu heben.

    Zu diesem Thema hatten wir auch schon ausführlichere Artikel, etwa:

    Mathematiker aus Silizium

    Hilbert und Isabelle

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.