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Angemerkt!: Folgerichtige Entscheidung

Tanja Krämer
Eine Mischung aus Mensch und Tier – was sich für viele von uns wie ein Stoff für Horrorfilme anhört, wird in Großbritannien in zwei Forschungslaboren Realität. Denn die britische Regulierungsbehörde Human Fertilisation and Embryology Authority (HFEA) will den Anträgen zweier Universitätsinstitute stattgeben, mit Hilfe von Zellkerntransfers menschliches Erbgut in tierische Eizellen einzusetzen, um aus den so entstehenden Embryonen Stammzellen zur Erforschung von Alzheimer- und Parkinson-Krankheit zu gewinnen. Bislang wurden ähnliche Versuche weltweit nur in zwei Studien unternommen.

Eine Entscheidung, die hierzulande undenkbar wäre. Das Embryonenschutzgesetz ist viel restriktiver als die britische Gesetzgebung, und auch die Debatten in deutschen Leserbriefspalten und Plenarsälen sind mit denen Großbritanniens nicht zu vergleichen. Denn wenn es um Embryonen- oder Stammzellforschung geht, herrscht auf der Insel ein sehr liberales Klima. Die Forscher dort genießen weit reichende Freiheiten, von denen deutsche Wissenschaftler nur träumen können. Anders als in Deutschland ist etwa die Verwendung von überzähligen Eizellen aus In-Vitro-Fertilisationen oder gespendeten Eizellen erlaubt, auch Klonierung zu Forschungszwecken ist legal.

Mangel an menschlichen Eizellen

Dennoch fürchten die englischen Wissenschaftler um ihre Vorreiterstellung auf dem Gebiet der Stammzellforschung: Es herrscht schlicht ein Mangel an Rohmaterial. Die künstliche Reifung von Eizellen ist für die Spenderinnen eine schmerzhafte und gesundheitlich riskante Prozedur, entsprechend lange Wartelisten gibt es für die begehrten Eizellen, mit denen dann die Embryonen für die Stammzellforschung produziert werden. Die Verwendung von tierischen Eizellen gilt vielen Forschern daher als akzeptable Alternative.

Mittels Zellkerntransfers soll die DNA von Menschen mit degenerativen Erkrankungen in die entkernte Eizelle von Tieren übertragen werden. Die so entstehenden Embryonen wären zu 99 Prozent menschlich. Und doch enthielten sie einen kleinen Teil tierischen Erbguts, das in der Zellflüssigkeit der entkernten Eizelle enthalten ist. Doch dieser minimale Anteil der so genannten zytoplastischen DNA der Spendertiere, die bei dieser Form der Klonierung übrig bliebe, ist nach Ansicht von Experten für die aktuelle Forschung vernachlässigbar. Bereits im vergangenen Jahr beantragten Forschungsteams des Kings College London und der Universität Newcastle darum die bis dato in Großbritannien einmaligen Klonierungsgesuche.

Mit ihren Anträgen gossen sie jedoch Öl in das Feuer einer Debatte, die sowieso schon hitzig war. Denn die Entwicklungen auf dem Gebiet der Stammzellforschung haben längst die bestehenden Gesetze in Großbritannien überholt. Der Fertilisation and Embryology Act, der unter anderem die Embryonenforschung regelt, ist bereits 17 Jahre alt, die Gesetzgeber debattieren gerade eine Überarbeitung des Paragraphenwerkes.

Hitzige Debatte

Im Laufe des vergangenen halben Jahres entfachte unbeachtet von hiesigen Medien eine kontroverse Diskussion um das Für und Wider der Mensch-Tier-Embryonen: So erklärten einzelne Regierungsvertreter etwa Anfang Januar, sie wollten die Herstellung von so genannten zytoplastischen hybriden Embryonen wenn nötig per Gesetz verbieten lassen. Zu groß war die Angst vor gruseligen Chimären wie dem Minotaurus aus der griechischen Sage – obwohl schon die bestehenden Gesetze in Großbritannien verbieten, einen Chimären-Embryo in den Körper einer Frau einzupflanzen. Eine öffentliche Umfrage zu möglichen Änderungen des Fertility and Embryology Acts hatte zudem ergeben, dass auch die Bürger der Technik ablehnend gegenüber stünden. Solche Bürgerbefragungen werden in Großbritannien regelmäßig von der HFEA durchgeführt und genießen hohes Ansehen – gelten sie doch europaweit als vorbildliche Einbindung der Bürger bei strittigen ethischen Problemen.

Die Forschergemeinde jedoch reagierte empört und wandte sich mit einem offenen Brief an die Öffentlichkeit und die Parlamentarier: Die Ablehnung der hybriden Embryonen sei wissenschaftlich nicht begründbar, und die Umfrage habe zudem keine ausreichenden Informationen über die umstrittene Technik und ihre Anwendungsmöglichkeiten gegeben.

Im April erhielten die Wissenschaftler dann erstmals Unterstützung durch das Wissenschaftskommittees des Parlamentes. In einer Studie bekräftigte dieses, dass einzelne Bereiche der britischen Stammzellforschung auf die Verwendung von tierischen Eizellen angewiesen seien. Die Angst vor Chimären wie dem Minotaurus aus der griechischen Sage sei zudem unbegründet: Die Hybriden würden gemäß geltender Gesetze bereits nach wenigen Tagen zerstört, ihre Zellen lediglich zu Forschungszwecken eingesetzt. Die Regierung verfasste daraufhin einen Gesetzentwurf, der die Erschaffung von Mensch-Tier-Embryonen zu Forschungszwecken legitimieren soll. Bis dieser allerdings in Kraft tritt, werden noch Jahre ins Land gehen. Die letztliche Entscheidung obliegt bis dahin der Regulierungsbehörde HFEA.

Was denken die Bürger?

Diese startete darum im April eine erneute Umfrage, um auch die Öffentlichkeit in die Diskussion mit einzubeziehen. In einem zehnseitigen Dokument konnten die Engländer sich in die Klonierungstechnik, die Erfolgsaussichten und Anwendungsmöglichkeiten sowie gesetzliche und ethische Problematiken einlesen und anschließend für oder gegen die Nutzung der umstrittenen Technik plädieren. Knapp 61 Prozent der Teilnehmer sprachen sich für die zytoplastischen Hybride aus. Die Regulierungsbehörde hat hieraus nun ihre Schlüsse gezogen: Im Prinzip können so genannte zytoplastisch hybride Embryonen in Zukunft zu Forschungszwecken hergestellt werden. Dennoch wird jeder Antrag einzeln überprüft und je nach Falllage genehmigt.

Mit dieser Entscheidung stärkt die HFEA den Einfluss der Bürger – und zeigt das Ergebnis einer vorbildlichen Streitkultur. Denn die ethischen Schwierigkeiten jeder Art von Embryonenforschung – ob nun mit oder ohne Chimärenbildung – sind in widerstreitenden Interessen begründet: dem des Embryonenschutzes und der Menschenwürde auf der einen und dem der Forschungsfreiheit und Hoffnungen der Kranken auf der anderen Seite. Jede gesetzliche oder behördliche Regelung kann hier nur ein Kompromiss zwischen diesen unversöhnlichen Positionen sein, der nur durch eine möglichst umfangreiche Beteiligung aller Interessenvertreter legitimiert werden kann. Genau dies ist bei der Debatte um die zytoplastisch hybriden Embryonen gelungen – auch wenn das Ergebnis nach hiesigen Vorstellungen liberaler ausgefallen ist, als vielen lieb sein wird.

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