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Angemerkt!: Warum so mutlos?

Tanja Krämer
Deutsche Stammzellforscher können vorerst aufatmen. Mit der Verschiebung des Stichtages haben die Abgeordneten erst einmal in ihrem Sinne entschieden. Dennoch ist die aktuelle Gesetzesänderung mutlos. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch die nun legalen, frischen Stammzelllinien veraltet sein werden, bis die Forscher eine neuerliche Verschiebung des Stichtages fordern. Die Bundestagsabgeordneten haben das Grundproblem nicht gelöst, sondern nur auf die Zukunft verschoben. Sollen sich doch die Nachfolger an dem aufgeheizten Reizthema die Finger verbrennen.

Hitzige Debatten und Grabenkämpfe

Wirklich in keinem anderen Land wird die Debatte um Embryonenforschung emotionaler geführt als hierzulande. Das Wort Stammzelle muss nur ausgesprochen werden, schon melden sich aus allen Winkeln der Republik Kirchenvertreter, Ethiker und Lebensschützer zu Wort, um den umfassenden Schutz des aufkeimenden Lebens einzufordern. Kurz vor der gestrigen Entscheidung des Bundestags sprach sich denn auch der oberste katholische Bischof Robert Zollitsch für ein totales Verbot der embryonalen Stammzellforschung aus.

Dabei gelten in Deutschland sehr rigide Regelungen für Stammzellforscher. So müssen die Wissenschaftler etwa nachweisen, dass ihre Studien absolut notwendig sind. Zudem müssen sie hehre Ziele verfolgen und etwa der Erforschung von Krankheiten wie Morbus Parkinson oder der Alzheimer-Demenz dienen. Embryonenverbrauch für kosmetische Studien beispielsweise ist in Deutschland also grundsätzlich nicht möglich. Warum also die viele Aufregung?

Wie wollen wir mit Leben umgehen?

Weil es um weltanschauliche Machtkämpfe geht – um die Schlacht zwischen dem humanistischen Menschenbild der Kirche und dem vermeintlich rein funktionalen der Wissenschaft. Diese Grabenkämpfe führen zu einer heillosen Überfrachtung der Debatte. Und sie verschleiern, worum es eigentlich geht. Denn anders als die Kirchen propagieren, ist nicht entscheidend, wo das menschliche Leben beginnt, sondern wie wir mit ihm umgehen. Und es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir auch beim Thema Stammzellforschung eine grundsätzliche Richtungsentscheidung fällen müssen.

Wohin die Reise vermutlich gehen wird, zeigt ein Blick auf die deutsche Abtreibungsregelung: Etwa 100 000 Frauen entscheiden sich jedes Jahr aus sozialen Gründen für einen Schwangerschaftsabbruch. Ihr Recht über den eigenen Körper erhält dabei höhere Priorität als das Leben ihres ungeborenen Kindes. Gesellschaftlich wird dies akzeptiert – weil wir davon ausgehen, dass die Frauen die jeweilige Entscheidung nicht leichtfertig treffen.

Bei der verbrauchenden Embryonenforschung finden sich im Grunde ähnliche widerstreitende Interessen. Hier jedoch führt jede Forderung einer Liberalisierung zu einem Aufschrei aus den altbekannten Reihen: Für deutsche Forscher dürfe kein Embryo getötet werden! Selbst dann nicht, wenn er etwa nach einer künstlichen Befruchtung übrig bliebe – was in Deutschland zwar durch das Embryonenschutzgesetz verhindert wird, das eine Kultivierung von mehr als drei Embryonen verbietet. Andernorts jedoch gibt es diese Beschränkung nicht und dort wandern überzählige, bereits mehrzellige Embryonen durchaus in den Mülleimer. Warum können sie nicht der Forschung dienen?

Diese Frage stellte auch die SPD-Politikerin Margot von Renesse in einem Interview der Süddeutschen Zeitung. Doch ihre Überlegungen wurden von den Abgeordneten ignoriert. Zu heikel schienen die Konsequenzen.

Und doch müssen wir uns genau diesen Folgen eines Tages stellen. Es hilft nichts, die Entscheidung immer wieder aufzuschieben – auch wenn sie einiges an Mut erfordert.

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