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Anthropologie: Späte Großeltern

Großeltern können überaus hilfreich sein für eine Familie, indem sie beispielsweise die Betreuung der Kinder mit übernehmen oder schlicht gute, weil lebenserfahrene Ratschläge geben. Doch seit wann profitiert der Mensch überhaupt von der Unterstützung der Älteren?
Cro-Magnon-Schädel
Die Oma backte den weltbesten Apfelkuchen, der Opa brachte das Schiffchenschnitzen bei – für die meisten von uns ist es ganz normal, dass eine Familie noch eine Großelterngeneration umfasst, die, wenn irgend möglich, nicht nur hilfreich zur Seite steht, sondern meist die lieben Enkel auch nach Strich und Faden verwöhnt. Dabei ist es aus biologischer Sicht nicht direkt einleuchtend, warum sich eine Lebensgemeinschaft ältere Mitglieder erlaubt, die sich nicht mehr fortpflanzen und dafür durch ein höheres Erkrankungsrisiko oder nachlassende Leistungsfähigkeit den Gesamthaushalt doch eher belasten – hart formuliert.

Eine häufig zitierte Erklärung ist die Großmütter-Hypothese, wonach zumindest die Omas den Fortpflanzungserfolg ihrer Töchter steigern, indem sie sich mit um den Nachwuchs kümmern und so wieder einmal die eigenen Gene fördern. Dies sollte gleichzeitig den Zusammenhalt sozialer Gruppen und damit auch die Kulturentwicklung des Menschen erheblich beeinflusst haben – je nachdem, wann Großeltern begannen, zur Familie zu gehören.

Dieser Frage nach dem Zeitpunkt fühlten nun Rachel Caspari und Sang-Hee Lee im wahrsten Sinne des Wortes auf den Zahn – sie analysierten die Abnutzungserscheinungen von über 700 Zähnen aus vier Entwicklungsstufen der menschlichen Evolution: Von späten Vertretern des Australopithecus über Homo-Angehörigen aus dem frühen und mittleren Pleistozän sowie Neandertalern aus Europa und Asien bis hin zu 30 000 Jahre alten Homo-Individuen aus der Altsteinzeit.

Für jede Gruppe ermittelten die Forscher das Verhältnis von alten zu jungen Individuen, wobei sie als Kriterium für das Erwachsensein das Auftreten des dritten Molars, also des Weisheitszahns, verwendeten, der etwa zeitgleich mit der Fortpflanzungsfähigkeit auftaucht – also um das 15. Lebensjahr. "Alte" Clanmitglieder waren dann solche, deren Zähne mindestens das doppelte Alter, also 30, anzeigten.

Den Zahnsammlungen zufolge stieg im Laufe der Jahrtausende der Anteil der Älteren an der Gesamtpopulation kontinuierlich an, wobei der durchschnittliche Quotient alt zu jung 0,28 betrug. In den Proben der oberen Altsteinzeit zeigte sich dann jedoch plötzlich ein markanter Zuwachs: Die Zahl der alten Clanmitglieder hatte sich verfünffacht, und erstmals fanden sich deutlich mehr "alte" Zähne als "junge".

Zu jener Zeit also hielten die Großeltern beim Menschen Einzug in die Familie, und halfen sicher nicht nur beim Kinder beaufsichtigen, sondern standen auch mit aus Erfahrung gutem Rat und Tat zur Seite für alltägliche Überlebensfragen. Ihre Aktivitäten dürften auch Familienbande gestärkt haben, betonen die Wissenschaftler, und das Populationswachstum angekurbelt haben, denn mit dem großelterlich geführten Kindergarten konnten sich potenzielle Mütter schneller wieder neuen Nachwuchs erlauben. Und wenn auch heute bei vielen die Abhängigkeit von der älteren Generation nicht mehr so groß ist wie früher – was wären wir ohne Oma-Apfelkuchen und Opa-Korkenschnellboot.

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