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Bemannte Raumfahrt: Mission Blue Dot – ein dicht gepacktes Arbeitsprogramm

Ende Mai 2014 soll der deutsche Astronaut Alexander Gerst mit einem russischen Sojus-Raumschiff zur Internationalen Raumstation ISS aufbrechen. Während der auf rund 160 Tage geplanten Mission wartet auf ihn ein umfangreiches und vielseitiges Arbeitsprogramm, darunter auch ein Ausstieg in den freien Weltraum.
Alexander Gerst mit Kollegen vor Sojus-Rakete
Das "Blue Dot"-Missionslogo | Das Emblem der Mission "Blue Dot" zeigt unsere Erde von Händen beschützt und umrundet von der Internationalen Raumstation ISS vor dem Hintergrund aus Sternen und einer Galaxie. Es ist laut ESA inspiriert von der Bezeichnung "pale blue dot" des US-Astronomen Carl Sagan (1934–1996) für die Erde auf einer Aufnahme von Voyager 1. Die Sonde war damals schon 6,4 Mil­liarden Kilometer (42,8 Astronomische Einheiten) von der Erde entfernt, die auf der Aufnahme nur als kleiner bläulicher Punkt erschien.

Alexander Gerst fliegt mit seinen Kollegen Maxim Surajew aus Russland und Reid Wiseman aus den USA zur ISS. Der Flug ist die Expedition 40/41, die in Anlehnung an Carl Sagans populäre Beschreibung der Erde aus dem All als "pale blue dot" – fahler blauer Punkt – genannt wurde (Sagans bekannte Fernsehreihe "Kosmos" erfährt in den USA gerade eine Neuauflage). Offiziell bezeichnet die Europäische Raumfahrtbehörde ESA diese Mission als »Blue Dot – Shaping the Future« (deutsch: blauer Punkt – die Zukunft gestalten).

Etwa fünf Monate, etwa bis zum 10. November 2014, soll Gerst als Flug­in­ge­nieur an Bord der ISS verbringen und sich dabei an rund 100 unterschiedlichen Experimenten aller ISS-Partner beteiligen. Für die Europäer stehen 8,3 Prozent der Crewzeit, also zirka 160 Stunden, plus Aktivitäten in der Freizeit zur Verfügung. Den Schwerpunkt bilden rund 35 ESA-Experimente, wobei die Anzahl noch nach oben hin offen ist. Für 25 von ihnen sind deutsche Projektwissenschaftler verantwortlich oder arbeiten mit deutscher In­dus­trie­be­tei­li­gung.

Die Verteilung auf die einzelnen Forschungskomplexe sieht pauschal so aus: Humanwissenschaften (8), Biologie (5), Flüssigkeitsphysik (3), externe Nutzlasten (2), Strahlungsdosimetrie (2) und Technologie-Demonstration (5). Dazu kommen drei nationale Experimente, zwei davon sind kommerzieller Natur. Und schließlich stehen noch als ein besonderer Schwerpunkt für Alexander Gerst sieben Bildungsprogramme vorwiegend für Schulen auf dem Programm.

Die Crew um Alexander Gerst vor einer Sojus-Trägerrakete | Die Crew 40/41 zur ISS, Maxim Surajew (Russland, Mitte), Gregory R. Wiseman (USA, rechts) und Alexander Gerst, posiert vor den Triebwerken derjenigen Sojus-Rakete, die drei Tage später, am 6. November 2013, startete und die Crew 38/39 in den Orbit brachte.

Greifen wir einige interessante Vorhaben heraus: So untersucht das DLR in Zusammenarbeit mit Airbus Space & Defence in Bremen die Wechselwirkung eines bewegten Magnetfelds mit einem elektrischen Leiter hoher Geschwindigkeit. Das bewegte Magnetfeld ist dabei das Erd­mag­net­feld, durch das sich die ISS als elektrischer Leiter mit hoher Geschwindigkeit hindurchbewegt. Dabei wird erstmals die Veränderung der Magnetfeldstruktur auf der Stau- und der Nachlaufseite eines elektrischen Leiters gemessen. Die beteiligten Forscher erwarten von diesem Magnetic Field Experiment (MFX) auch grundlegende Erkenntnisse über die Wechselwirkungen von Himmelskörpern im Sonnensystem mit dem interplanetaren Mag­net­feld. Parallel dazu wird Alexander Gerst die mag­ne­ti­schen Eigenschaften der ISS detailliert vermessen. Die Technik für das MFX wird Ende Juli 2014 mit dem letzten europäischen Versorgungsraumschiff (ATV-5) "Georges Lemaître" in die Umlaufbahn transportiert. Mitte August wird Alexander Gerst das ATV-5 in Empfang nehmen.

Drahtlose Netzwerke

Airbus untersucht in Kooperation mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in einem kommerziellen Experiment mit der Bezeichnung WISE-Net den Einsatz leistungsfähiger drahtloser Netzwerke und Messtechniken. Dazu werden im Forschungsmodul Columbus, dem größten Beitrag der ESA zur ISS, Sensoren genutzt, die wichtige Umweltparameter wie Druck, Luftfeuchte, Tem­pe­ra­tur­gra­dien­ten, Lichtquellen oder Beschleunigungen messen. Da Columbus praktisch ein faradayscher Käfig ist, muss ein solches Netzwerk unanfällig gegen Reflexionen und Interfenzen sein. Neben WISE-Net sollen im Rahmen dieses Technologie-Demonstrators auch Verfahren wie zum Beispiel "Energy Harvesting", die Gewinnung von Energie aus dem Umgebungslicht, getestet werden.

Alexander Gerst beim Training | Im russischen Sternenstädtchen absolvierte Alexander Gerst Trainingseinheiten zum Überleben. Die Szenerie vom Februar 2014 zeigt das eigenhändige Einklinken an ein Trageseil, wie es beim Einsatz eines Rettungshubschraubers zur Bergung aus dem Wasser vorkommen könnte.

Der auf der externen Plattform des Columbus-Moduls installierte In­stru­men­ten­komplex SOLAR/SOLACES soll den spektralen Strahlungsstrom der Sonne im extremen und nahen Ultravioletten bei Wellenlängen von 17 bis 220 Nanometern messen. Dabei wird je nach Wellenlänge eine spektrale Auflösung von 0,5 bis 2 Nanometern erreicht.

Materialschmelzen

Mit großem Interesse erwarten nicht nur Materialwissenschaftler den Elec­tro Magnetic Levitator (EML), der ebenfalls mit ATV-5 zur ISS gelangt. In diesem Schmelzofen können Proben von Metalllegierungen unter Schwerelosigkeit mittels elek­tro­mag­ne­ti­scher Felder in einer Spule kontaktfrei positioniert und aufgeschmolzen werden. In flüssigem Zustand lassen sie sich dann unter den Erstarrungspunkt unterkühlen, wodurch sie fest werden. Die Forscher erwarten dabei die Bestimmung von thermophysikalischen Parametern wie Viskosität, Oberflächenspannung, ther­mi­sche Ausdehnung und Ähnliches auch von chemisch aggressiven Metallschmelzen mit hoher Genauigkeit. Sie hoffen, so auch Einblicke in die frühen Phasen der Ausbildung des Werkstoffgefüges zu erhalten. Alexander Gerst wird die Anlage installieren und in Betrieb nehmen.

Spezifisch auf den ESA-Astronauten zugeschnitten sind eine Reihe von Aktivitäten – auch mit wissenschaftlichem Anspruch – im Bereich Bildung. So nehmen im Schulprojekt "Columbus Eye" vier HD-Videokameras der NASA von der ISS aus die Erde auf, die dann annähernd in Echtzeit auf einer Internetseite zu sehen sein wird. Das Angebot richtet sich an die Klassen 5 bis 13. Geografen der Universität Bonn entwickeln dazu Unterrichtsmaterialien etwa für die Themenkomplexe Meteorologie, Meere, Vulkanismus und Polarlichter. Schwerpunktländer werden Deutschland und – in der Verknüpfung mit der dort ausgetragenen Fußball-Weltmeisterschaft 2014 – Brasilien sein.

Ein anderes Projekt, Aktion 42, ging aus einem Schülerwettbewerb hervor, den das DLR, die Stiftung "Jugend forscht" und die ESA im Sommer 2013 veranstaltet hatten. Für 42 an Bord der ISS befindliche Alltagsgegenstände sollten Experimente vorgeschlagen werden. Alexander Gerst wird auf der ISS das Siegerprojekt durchführen: "Seifenblasen – ihre Lebensdauer und der Einfluss von Schall (Musik)". Dahinter steckt sehr viel mehr an spannender Physik, als es der nüchterne Titel vermuten lässt. Im Projekt "Flying Classroom" wird der Astronaut versuchen, mit einfachen Bordmitteln interessante Phänomene in der Schwerelosigkeit darzustellen. Unter anderem will Gerst der Frage nachgehen, wie sich Schokolinsen im Raum verteilen, wenn man diese aus der Tüte schüttet. Ob dieses Experiment wohl durch den Film "Mission to Mars" inspiriert ist? Lassen sich dabei Analogien zur Entstehung von Planeten erkennen?

Mit diesen so genannten Taschenexperimenten wird sich Gerst vorwiegend in seiner Freizeit beschäftigen müssen, denn neben einem für Mitte August geplanten Außenbordeinsatz warten auf ihn wichtige Aufgaben als Bordingenieur. Unter anderem wird er den Greifarm zum Abdocken des unbemannten Frachttransporters SpaceX-4 einsetzen und das An- und Abdocken von SpaceX-5 und Cygnus-3 kontrollieren.

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