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Biochemie: Zerschneide dich selbst!

Was war zuerst da? Die DNA oder das Protein? Evolutionsbiologen suchen die Antwort in der Mitte: RNA-Moleküle mit katalytischen Eigenschaften - Ribozyme genannt - könnten am Beginn des Lebens gestanden sein. Jetzt offenbarten sich neue Details dieser biochemischen Zwitter.
Ribozym
Alle Biokatalysatoren sind Proteine. Alle? Nein! Eine Gruppe kleiner Moleküle hört nicht auf, diesem biochemischen Dogma Widerstand zu leisten. Noch bis in die 1980er Jahre waren Molekularbiologen fest davon überzeugt, dass Eiweißenzyme die einzigen Moleküle des Lebens sind, die biochemische Reaktionen beschleunigen, also katalytisch wirken können.

Doch damit ergab sich ein evolutionsbiologisches Problem: Die Bauvorschrift der Enzyme liegt, wie der von allen Proteinen eines Organismus, in der DNA verschlüsselt. Die Erbsubstanz benötigt aber wiederum Enzyme, um die Proteinbotschaft und sich selbst zu verbreiten. Was war dann in der Ursuppe des Lebens zuerst da? DNA oder Protein?

Ribozym | Wirkungsweise von Ribozymen: Ein Ribozym bindet per Basenpaarung an einen RNA-Strang und katalysiert damit die Spaltung an einer bestimmten Stelle des Strangs. Auf ähnliche Weise kann sich ein Ribozym auch selbst zerschneiden.
Der amerikanische Biochemiker Robert Cech präsentierte 1981 eine Lösung für dieses klassische Henne-Ei-Problem. Bei dem Ciliaten Tetrahymena pyriformis fand er Ribonukleinsäuren, die sich selbst – also ohne Beteiligung von Proteinen – zerschneiden können. Sein kanadischer Kollege Sidney Altman entdeckte zwei Jahre später Enzyme, die aus einem Protein- sowie einem RNA-Anteil bestehen. Katalytisch wirkte jedoch nicht die Protein-Komponente, sondern – die RNA. Diese RNA-Enzyme, kurz Ribozyme, widerlegten das biochemische Dogma und bescherten den beiden Entdeckern den Nobelpreis für Chemie 1989.

Jetzt erschien alles so einfach: Weder Henne (sprich: DNA) noch Ei (Protein) standen am Anfang, sondern der Vermittler zwischen beiden. In einer "RNA-Welt" waberten zunächst die kleinen Moleküle, die sich ohne fremde Hilfe selbst reproduzierten und dann irgendwann erste Proteine herstellten.

Ribozyme begnügten sich natürlich nicht mit der Rolle eines Geburtshelfers des Lebens, sondern erfüllen auch heute noch wertvolle Dienste. Besonders interessant sind die sich selbst zerschneidenden RNA-Fäden, die zwar streng genommen die chemische Definition eines Katalysators verletzen – da sie ja verändert aus der Reaktion hervorgehen –, die aber an wichtigen Schaltwegen des Stoffwechsels sitzen. Einer dieser "Riboschalter" hört auf das Kürzel glmS und kontrolliert bei Bakterien das für den Aufbau der Zellwand benötigte Enzym Glukosamin-6-Phosphat-Synthase.

Wie er das tut, klärten jetzt Daniel Klein und Adrian Ferré-D'Amaré genauer auf [1]. Die beiden Wissenschaftler vom Fred-Hutchinson-Krebsforschungszentrum in Seattle kristallisierten hierzu drei Zustandsformen des glmS-Ribozyms aus dem Bakterium Thermoanaerobacter tengcongensis. Dadurch konnten sie die Struktur des Ribozyms vor und nach der Spaltung sowie des Zwischenstadiums mit einem gebundenen Glukosamin-6-Phosphat-Analogon aufklären.

glmS-Ribozym | Struktur des glmS-Ribozyms: In der Mitte des RNA-Strangs bindet der Zucker Glukosamin-6-Phosphat (grün) und aktiviert damit die Selbstzerschneidung des Ribozyms. Damit wird gleichzeitig die mRNA für das Enzym Glukosamin-6-Phosphat-Synthase deaktiviert.
Wie funktioniert nun der Schalter? Das Ribozym enthält den mRNA-Strang, der für die Glukosamin-6-Phosphat- Synthase kodiert. Dieses Enzym produziert den Zucker Glukosamin-6-Phosphat, mit dem das Bakterium seine Zellwand aufbaut. Liegt nun der Baustein im Überschuss vor, dann bindet er an das Ribozym, das sich daraufhin selbst nebst anhängender mRNA zerschnippelt. Damit kann kein neues Enzym mehr hergestellt werden – Glukosamin-6-Phosphat hemmt somit über den Riboschalter seine eigene Produktion.

Während solche Riboschalter bei Bakterien gang und gäbe zu sein scheinen, kennt die Wissenschaft davon nur wenige bei höheren Organismen, einschließlich des Menschen. Haben wir im Laufe unsere Evolution auf die vielleicht noch aus der RNA-Welt geerbten kleinen Helfer verzichtet?

Die Forscher um Jack Szostak vom Massachusetts General Hospital in Boston durchforsteten jetzt das menschliche Erbgut systematisch nach Ribozymen [2]. Dazu fertigen sie eine DNA-Bibliothek mit ringförmigen, nur etwa 150 Basenpaaren langen Schnipseln an, produzierten hiervon RNA-Stränge und überprüften diese auf ihre Selbstzerschneidungskünste.

Insgesamt vier dieser Selbstzerschnippler konnten die Forscher so aufspüren. Eines davon sitzt im ersten Intron des Gens CPEB3, also in einem Abschnitt des Erbfaktors, der nach dem Ablesen wieder herausgeschnitten wird. Überraschenderweise gleicht der hier verborgene Schnipsel einem Ribozym des Hepatitis-Delta-Virus (HDV).

Wie sich weiter zeigte, saß das Ribozym bei allen Säugern, einschließlich der Beuteltiere, innerhalb dieses Gens – nicht jedoch bei anderen Wirbeltieren. Demnach sollte es irgendwann vor 200 bis 130 Millionen Jahren entstanden sein, als die letzten gemeinsamen Vorfahren von Beutel- und höheren Säugetieren auf Erden wandelten. Seitdem hat es sich praktisch nicht verändert, muss also eine wichtige Funktion erfüllen.

Welche, bleibt rätselhaft. Das von dem Gen produzierte Protein CPEB3 (cytoplasmic polyadenylation element-binding protein 3) reguliert die Genablesung in verschiedenen Geweben, wie Herz, Skelettmuskulatur und Gehirn, und könnte bei Lernvorgängen beteiligt sein. Ob das Ribozym hier als Schalter wirkt, wissen die Forscher noch nicht.

Spannender ist vielleicht die Tatsache, dass HDV ausschließlich Menschen befällt. Daher vermuten die Forscher, dass das Ribozym kein virales Erbe ist, sondern umgekehrt: Das Virus hat es sich vom Menschen eingefangen. Dieses Ribozym wäre demnach kein Überbleibsel aus der Zeit der RNA-Welt, sondern eine neu kreierte Errungenschaft der Säugetiere.

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