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Die Garagen-Genforscher

Das eigene Genom nach Mutationen durchsuchen, den Erzeuger des Hundehaufens vor der Haustür ausfindig machen, die Identität des mittäglichen Sushi-Fischs überprüfen – mit genetischen Tests wendet man sich üblicherweise an das molekularbiologische Labor seines Vertrauens. Doch lassen sich manche Experimente überraschend leicht auch in Eigenregie bewerkstelligen – und das sogar ohne Studium. Ist Gentechnik wirklich so einfach, wie selber Joghurt herzustellen? Können auch Laien zur aktuellen Forschung beitragen? Und darf man das überhaupt?

Die drei Wissenschaftsjournalisten Hanno Charisius, Sascha Karberg und Richard Friebe tragen in ihrem Buch "Biohacking – Gentechnik aus der Garage" die Möglichkeiten und Gefahren der aufkeimenden Do-it-Yourself-Biologie zusammen. Auf ihrer Recherchereise besuchen sie so genannte Biohacker: Hobbyforscher, die sich Labore in ihrer Garage oder ihrem Kleiderschrank eingerichtet haben und ihr eigenes Erbgut auf Mutationen untersuchen. Profis, die in relativ gut ausgestatteten Gemeinschaftslaboren Projekte verwirklichen, für die sie nicht bezahlt werden. Schulabbrecher ohne Zugang zur Akademie, die Pflanzen zum Fluoreszieren bringen wollen, weil sie es einfach cool finden. Künstler, die wissenschaftliche Ergebnisse kreativ aufbereiten. Manche von ihnen wollen auf eigene Faust sogar Krebs heilen.

Die Autoren verlassen sich aber nicht allein auf Interviews, sondern führen nach klassischer Forschermanier den Selbstversuch durch. Eine Ecke der Redaktion in Berlin-Schöneberg wird zum Labor umfunktioniert und unter den verwunderten Blicken der Kollegen wird die eigene DNA – oder die des Mittagessens – isoliert und untersucht. Mit ein paar Reagenzien aus der Drogerie, ausgemusterten Laborgeräten aus dem Internet und Enzymen vom Laborbedarf kochen sie die Schritt-für-Schritt-Anleitungen aus dem Netz nach. Knapp drei Jahre später bleibt ihnen neben Kartons mit Laborausrüstung und einigen Rechnungen vor allem die Erkenntnis, dass Laborarbeit sowohl spannend als auch unglaublich mühsam ist.

Darüber hinaus entstanden ein 60minütiger Dokumentarfilm ("Die Gen-Köche"; Regie: Sascha Karberg, Alexander Schlichter; Erstausstrahlung: ARD / BR 2013) und dieses Buch (lesen Sie dazu auch den Artikel "Unser kleines Genlabor"). Es beleuchtet etwa die Frage, ob es tatsächlich einen nennenswerten Beitrag zur Forschung leisten kann, ja ob in einem der Heimlabore gar ein zukünftiger Nobelpreisträger werkelt. Schließlich haben auch die Computerpioniere der 1970er und 1980er Jahre die Technologie von ihrer Garage aus revolutioniert. Der Schwerpunkt des Buches liegt aber beim so genannten Dual Use, also dem möglichen Missbrauch der Technologie für biologische Waffen.

Das Thema Biosicherheit wird auch in Medien und Fachkreisen momentan oft diskutiert. Wie hoch das Risiko ist, dass unter den Hobbygenetikern jemand absichtlich oder unabsichtlich gefährliche Organismen oder Stoffe herstellt, können die Autoren zwar nicht abschließend beantworten, im Moment sei die Gefahr aber sehr gering. Sie kommen zu dem Schluss, dass mehr Zugang zu Technologie nicht unbedingt zu mehr Missbrauch der Technologie führt, und dass Biohacking den Laien interessieren und informieren kann. Anhand der im Buch gelieferten Einblicke aus der Biohacker-Szene kann man diese Einschätzung durchaus nachvollziehen.

Tatsächlich steht die DIY-Biologie in Gemeinschaftslabors heute dort, wo sich der Frauenfußball in der Bundesrepublik Anfang der 70er Jahre befand (...). Möglich ist vieles, die Herausforderungen aber sind nicht rein sportlicher Natur. (S.59)

Reportageartig und unterhaltsam schildern die Wissenschaftsjournalisten ihre Erlebnisse mit Pipette und Elektrophorese. Schmunzeln muss besonders der fachvertraute Leser, wenn sie feststellen müssen, dass die meisten Experimente zunächst eben nicht funktionieren. Man möchte ihnen zurufen: "Willkommen im Laboralltag!" Jeder Experimentator weiß, dass dieses eiserne Durchhaltevermögen und der Galgenhumor einen erst zum wahren Forscher machen. Genau wie die überschwängliche Euphorie, wenn man schließlich etwas herausgefunden hat.

Das Sarkasmus-Niveau steigt von Tag zu Tag. Und die Kreativität bei den Durchhalteparolen. Laborarbeit besteht offenbar vor allem darin, verschiedene Rezepturen von Chemikalien und Zellextrakten auszuprobieren, Fehlschläge zu akzeptieren und 'Morgen ist ein neuer Tag' zu murmeln, bis ein Experiment endlich funktioniert. (S. 132)

Man merkt sofort, dass die Autoren Profis darin sind, Forschungsabläufe anschaulich, präzise und inhaltlich korrekt zu beschreiben. Sogar bei komplizierteren Experimenten bleiben so keine Verständnisfragen offen. Damit ist das Buch sowohl für Fachleute als auch für Leser ohne biologische Vorkenntnis geeignet. Nebenbei erfährt man, welche Rolle Zufallsfunde und naives Ausprobieren in Wissenschaft spielen, etwa als beschrieben wird, wie unspektakulär die Pipette erfunden wurde. Am Anfang jedes Kapitels veranschaulicht eine Illustration den Experimentaufbau und eine anekdotenhafte Zusammenfassung pickt die zu erwartenden Höhepunkte heraus.

Einziger Kritikpunkt ist, besonders für die Zielgruppe mit naturwissenschaftlichem Hintergrund, die etwas pauschale Beschreibung der "Profi-Biologen" mit viel Geld und Spitzenausrüstung in ihren "Million-Dollar-Labs" gegenüber den idealistischen "Biopunks", die sich mit wenig Mitteln und viel Kreativität alles Notwendige zusammensuchen. Die Biohacker probieren Dinge um ihrer selbst willen aus und hoffen, die Welt damit ein kleines Stückchen besser zu machen. Doch die allermeisten akademischen Forscher – die Rezensentin eingeschlossen – haben weder die neuesten Geräte noch einen Millionenetat. Sie besitzen genau diese Mischung aus Kreativität, Nerd-Kultur und einer jeden rationalen Rahmen sprengenden kindlichen Begeisterung. Vielleicht haben sich die Autoren hier ein wenig zu sehr von gutfinanzierten außeruniversitären Instituten, Pharmafirmen und amerikanischen Ivy-League-Hochschulen mit horrenden Studiengebühren beeindrucken lassen. Ein vorurteilsfreier Blick ins Uni-Labor hätte dem Buch jedenfalls nicht geschadet.

Die originelle und persönliche Herangehensweise des Buches an das Thema Gentechnik zeugt von eben dem Forschergeist, der auch einen Wissenschaftler antreibt. "Biohacking" ist im Moment die wahrscheinlich beste Informationsquelle zum Thema DIY-Biologie und wird alle überraschen, die gerne selber experimentieren oder als Forscher arbeiten und bezweifeln, dass eine DNA-Isolation auch zu Hause funktioniert. Außerdem ist es für jeden interessant, der sich für Biosicherheit, Demokratisierung oder Crowdsourcing interessiert. Nicht auszuschließen ist, dass man nach der Lektüre selbst ein kleines Experiment ausprobieren möchte.

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