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Biopatente: TRIPS und die Folgen: Wer darf wo was warum?

Ob Leben patentierbar sein darf, ist offenbar nicht im Konsens zu beantworten - ebensowenig wie die Frage, ob internationale Vorgaben zum Schutz der Lebenspatente zu schnell, zu langsam oder gar nicht umgesetzt werden.
Genmais
In der vergangen Woche war es soweit. Nach schier endlosem Streit – bei dem es nicht immer nur um die Sache selbst ging – werden international verpflichtende Vorgaben zu einer Patenschutz-Richtlinie auch in Deutschland in nationales Recht gegossen. Die europäischen Vorgaben hätten eigentlich auch hierzulande schon im Jahr 2000 bindend justiziabel sein sollen – ein Terminversäumnis, wegen dem die EU-Kommision Deutschland bereits vor den europäischen Kadi gezerrt hatte. Nun – endlich – einigte sich die rot-grüne Bundesregierung auf die Umsetzung der EU-Biopatentrichtlinie.

Endlich? Und bindend justiziabel? Da sind die Meinungen weiter ziemlich gespalten.

Ob "Leben" überhaupt patentierbar sein soll, wird ohnehin wohl auf absehbare Zeit kaum einvernehmlich zu klären sein – die lautesten Diskussionspartner arbeiten dabei offenbar kaum an konstruktiven Konsensbemühungen, sie positionieren sich lieber drastisch vor einer zunehmend überdrüssigen Öffentlichkeit. Immer wird da beispielsweise eine Pharmamarketingabteilung ein Kind präsentieren können, welches ohne die Hilfe eines wirksamen, innovativen Medikaments nicht mehr leben würde. Eines Medikaments, welches nur mit Hilfe gentechnischer Veränderung extrem teuer entwickelt und daher patentrechtlich geschützt wurde, um zumindest die Forschungskosten wieder einzufahren. Und immer werden dann dagegen Stimmen laut, die darauf hinweisen, dass nicht der Patenschutz das Kind gerettet hat – sondern ein Medikament, das vielleicht auch billiger hätte entwickelt werden können, sicherlich ohne Patenhindernisse aber nun billiger wäre. Möglicherweise sogar erschwinglich für Länder der Dritten Welt, die sich teure Arzneien kaum leisten können, weil dies der Finanzhunger der Herstellerfirmen gesetzlich zu verhindern weiß.

Derartiger Streit, bei dem beide Seiten sich alles zutrauen und jedes Vertrauen auf den guten Willen des Gegenübers fehlt, zieht sich oft hin, bis die äußeren Umstände ihn zwangsweise ad acta legen. Irgendwann fallen dann lange überfällige Entscheidung eben ohne breiten gesellschaftlichen Konsens. Wie nun bei der Biopatentrichtlinie. Nach eher unkonstruktivem Streit können dazu nun eben nicht alle "endlich" sagen.

Internationale Interpretationen

Und ob mit nationalem Recht Biopatente global "bindend justiziabel" sein werden, ist auch nicht ganz klar, wie eine nun veröffentlichte zusammenfassende Studie verdeutlicht. Bonwoo Koo vom International Food Policy Research Institute in Washington und Kollegen schlagen mit ihrem Überblicksartikel eine Schneise durch das Dickicht verschiedener und verschiedenster Ansätze, mit denen weltweit auf die Frage nach Biopatenten geantwortet wird. Ein Fazit gleich zu Beginn: Vereinbar sind die Konzepte nicht. Und in den ärmsten Ländern der Welt fehlt eine nationale Gesetzgebung zum Thema Biopatentschutz – kein Wunder, fehlt ihnen doch schlicht eine verlässliche nationale Gesetzgebung.

Diese globale Ungleichgewicht auszubalancieren und Patentschutz auf ein solides Fundament zu stellen, war ursprünglich einmal das Ziel des TRIPS-Abkommens. TRIPS, das "Abkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums" (Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights) ist eine von der Welthandelsorganisation WTO im Jahr 1994 ins Leben gerufenen internationale Vereinbarung, die minimale Anforderungen für nationale Rechtssysteme zum Schutz geistigen Eigentums festlegt. Jedes Mitglied der WTO musste es unterzeichnen, ein Verstoß kann mit empfindlichen Handelssanktionen bestraft werden.

Koo und Kollegen beschäftigen sich mit den weltweiten Bemühungen zur gesetzlichen Umsetzung des Vertragswerkes. Exemplarisch beleuchten sie dabei die Handhabung von Patenten auf Pflanzen – genauer, die unterschiedlichen Schlussfolgerungen, die Staaten und Staatenbünde aus Artikel 27 gezogen haben, in dem der Schutz von Biopatenten geregelt wird. Zwei mögliche Wege der Implementierung sieht das TRIPS-Abkommen für die Unterzeichnerstaaten vor: Entweder, nationale Patentbestimmungen auf Biopatente auszuweiten oder eine gleichwertige Sonderregelung zu finden durch "ein wirksames System sui generis".

Beide Möglickeiten, so Koo und Co, lassen viel Spielraum, der auch genutzt wird. In den USA, unter jeder Regierung starker Befürworter von Systemen zum Schutz "geistigen Eigentums", wurden Biopatente schon lange, bevor es die Gentechnik gab, freizügig vergeben – wie 1873 für eine von Louis Pasteur hergestellte, bakterienfreie Hefe. Kanada ist sich da offenbar nicht ganz so sicher. Das dortige Patentrecht erlaubte grundsätzlich nicht die Patentierung "höherer Lebensformen" – der oberste Gerichthof gab aber dann dem Pharmariesen Monsanto recht, der in einem öffentlich vieldiskutierten Rechtstreit mit dem Farmer Percy Schmeiser Patentrechte auf veränderten Raps eingeklagt hatte. Damit, so die vorläufige Rechtsinterpretationen, ist nun offenbar die Patentierung von Pflanzen erlaubt, die patentierte Gene beinhalten.

Spielraum schafft Verwirrung

Komplexer noch wird es bei den verschiedenartigen Konstuktionen, welche unterschiedliche Länder als "sui-generis"-Alternative einführten, um dem TRIPS-Abkommen zu genügen. Eigentlich sollte als gemeinsame Basis solcher Sonderrechtsformen ein Entwurf des Internationalen Verbandes zum Schutz von Pflanzenzüchtungen (UPOV) darstellen. An diese nicht bindenden Vorgaben lehnt sich mehr oder weniger auch die EU-Richtlinie zum Biopatentschutz an. Nicht nur Deutschland tat sich allerdings schwer, diese Vorgaben auch umzusetzten – hierzulande war daher bis zur politisch-parlamentarischen Entscheidung das Europäische Patentamt in München, ein Organ das keiner demokratisch gewählten Kontrolle untersteht, nationaler De-facto-Gesetzgeber: Dessen Verwaltungsrat hatte vor fünf Jahren gentechnisch veränderte Tiere und Pflanzen als Patente zugelassen und damit Vorgaben der EU-Richtlinie umgesetzt. Dauerhaft war die Lösung nicht, wie das von der EU angestrebte Verfahren verdeutlichte.

Ganz anders wieder die Situation in Indien: Die Vorgaben der UPOV werden hier kaum aufgenommen. Stattdessen wird ein Modell angestrebt, in dem Farmer gegenüber den Patentinhabern deutlich gestärkt werden – er kann etwa aus patentiertem Saatgut erwachsene Produkte gewinnbringend verkaufen, ohne Lizenzgebühren bezahlen zu müssen. Lokale Verwaltungseinheiten kommten als Verteilstation von Saatgut besondere Rechte zu – insgesamt, so Koo, ein Ansatz, der öffentliches Interesse gegenüber privatem stark bevorzugt. Außerdem ein Modell, das den TRIPS-Vorgaben womöglich nicht im Sinne der TRIPS-Grundidee umsetzt.

Zu viel Wirrwar also in der Umsetzung der Biopatent-TRIPS-Vorgaben? Vielleicht auch schlicht zu wenig Umsetzung: Im Augenblick finden sich bei ohnehin nur 91 der 191 UNO-Mitglieder Rechtsysteme für den Schutz geistigen Eigentums, 29 Staaten denken noch darüber nach, Gesetze zu erlassen. Dabei haben Industriestaaten meist wirksame Patenschutzverfahren unterschiedlichster Coleur, ärmere Länder eher nicht. Und eben dieses Ungleichgewicht könnte weitreichende Folgen haben – auch unabhängig davon, ob strafbewehrte Schutzmechanismen für geistiges Eigentum per se für gut oder schlecht gehalten werden.

Umsetzen nur für Umsätze?

So wie die Situation sich derzeit darstellt, entsteht ein kaum einholbarer Vorsprung von Patentgenehmigungen für die reicheren Industriestaaten – werden doch seit längerem schon die Mehrzahl aller Patentanträge weltweit von reichen Interessenten in den USA und der EU eingereicht. In Nationen mit niedrigen mittleren Einkommendurchschitten und von Angehörigen aus ärmeren Nationen dagegen vernachlässigbar wenige – und in vielen der ärmsten Staaten kaum welche, selbst wenn in diesen Ländern die Möglichkeiten einer international anerkannten Beantragung existiert.

Kassandra könnte unken, dass Patente, die flächendeckend beantragt wurden, die Forschung in Ländern behindern, die sich Lizenzgebüren für das Patent nicht leisten können – während die Patentinhaber kein Interesse an dieser Forschung haben, weil sie sich für sie finanziell nicht lohnt. Andersherum, so geben Koo und Kollegen zu bedenken, könnten arme Staaten bei dem derzeit global nicht flächendeckenden Flickwerk einklagbaren Patentschutzes von patengeschützten Technologien illegitim profitieren. Kurz: Der TRIPS-Prozess und die daraus abgeleiteten Bemühungen zur Implementierung von Patenten auf geistiges Eigentum funktionieren nicht wie geplant – und das gilt nicht nur für das Feld der Biopatente.

Fragt sich, welche Schlussfolgerungen daraus zu ziehen sind. Klar bleibt, dass ein abrupter Abbruch des ins Rollen gebrachten TRIPS-Prozesses wohl ebensowenig konsensfähig sein kann, wie ein kompromissloses Durchpeitschen seiner schwammig interpretierbaren Inhalte. Offenbar fehlen nach Jahren intensiver Diskussion auch immer noch Alternativen, mit denen das ursprüngliche Ziel des Vertragswerkes global besser umzusetzten ist. Ganz sicher bräuchten auch solche Alternativen eines, um Erfolg sein zu können: Das Vertrauen aller Beteiligten. Dazu sind Transparenz und Kontrolle dringend notwendig sind – wo sich Institutionen oder Staaten solcher Kontrolle entziehen, darf dann Mißtrauen durchaus weiter angebracht sein.

Ohne fundierte Sachkenntniss endet das allerdings zuweilen leicht in Verschwörungstheorien und unbegründetem Generalverdacht für alle, welche auch Geld verdienen wollen. Vielleicht sollte hier ein wenig weniger Abneigung vorherrschen, moralisch und ethisch hohe Ziele – die Entwicklung eines Medikaments oder die Bekämpfung des Welthungers – mit Hilfe ökonomischer Mechanismen zu erreichen. Ängstlich überwachen sollte man eher, ob diejenigen, die diese Ziele erreichen könnten, sie auch wirklich anstreben – das steht ebenso auf einem anderen Blatt wie die gesellschaftlich immer schon ungeklärte Frage, ob Leben mit Leben gerettet werden darf.

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