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Botanik: Genetischer Steckbrief eines Pflanzenschädlings

Brasilianische Forscher haben jetzt das Genom von Xylella fastidiosa entziffert – einem Bakterium, das große Schäden in Orangenplantagen anrichtet. Die Genkarte des Krankheitserregers bietet überraschende Einblicke in seinen Stoffwechsel.


Die Genkarte des Menschen ist fertig, diejenige seines Darmbewohners Escherichia coli seit längerem bekannt. Scheint es da überhaupt noch erwähnenswert, dass mit Xylella fastidiosa nun erstmals auch das Erbgut eines Bakteriums entziffert wurde, das Pflanzen befällt? Zweifellos – denn in den vergangenen Jahren entwickelte sich der Mikroorganismus zu einer ernsten Bedrohung für Orangenplantagen, der wichtigsten Einkommensquelle des brasilianischen Bundesstaates São Paulo, wo er jährlich mehrere Millionen US-Dollar Verluste verursacht. Durch systematischen Vergleich seines Genoms mit denjenigen von Bakterien, die Menschen oder Tiere befallen, lassen sich Besonderheiten im Stoffwechsel aufspüren, die als Achillesfersen zur Bekämpfung solcher Pflanzenschädlinge dienen oder Ansatzpunkte für die Züchtung von resistenten Zitrusfrüchten bieten könnten.

Das Bakterium X. fastidiosa ist weltweit verbreitet; einige Stämme schädigen Weinstöcke, Kaffeesträucher, Ulmen, Mandel- oder Pflaumenbäume. Im Jahre 1987 wurde erstmals berichtet, dass der Mikroorganismus auch Orangenbäume befällt: Mit einer zuckrigen Masse (aus Polysacchariden) kleben sich die Bakterienkolonien an die Gefäßwand der Leitbündel, die das Wasser aus den Wurzeln in die Blätter transportieren, und erzeugen dadurch die schwer zu bekämpfende Citrus Variegated Chlorosis (CVC). Bei dieser Krankheit verlieren die Blätter Chlorophyll und erscheinen gelb-grün gescheckt; die Früchte bleiben klein und hart, sodass sie ungenießbar sind.

Durch die Verwendung infizierter Zweige als Pfropfreiser gelangte der Erreger in fast alle Orangenplantagen Brasiliens und Argentiniens. Seine Ausbreitung ließ sich bisher nur durch die Anlage neuer Haine mit bakterienfreien Pfropfreisern eindämmen. Zudem versuchen die Plantagenbesitzer, die Zwergzikaden, die als natürliche Überträger der Krankheit fungieren, chemisch zu bekämpfen. Die Insekten stechen – ähnlich wie Blattläuse – den Pflanzenstängel an und saugen den Saft aus den Leitungsbahnen. Dabei gelangen die Bakterien aus ihrem Vorderdarm in das Wasserleitungssystem der Pflanze. Wie sie sich dort ausbreiten, weiß man noch nicht. Auch der eigent-liche Schädigungsmechanismus des Krankheitserregers ist bislang nicht eindeutig geklärt; vermutlich wird die Wasserversorgung der Pflanze beeinträchtigt.

Um Informationen zur besseren Bekämpfung des Schädlings zu erhalten, identifizierten Wissenschaftler der Organisation für Nucleotid-Sequenzierung und -Analyse (ONSA) in São Paulo jetzt in einem Mammutprojekt die 2,7 Millionen Basenpaare ("Buchstaben") im Erbgut von X. fastidiosa und verglichen sie mit dem bereits bekannten genetischen Text anderer Bakterien. Weil jedes Genom auch die Lebensweise und die Anpassungsleistungen des betreffenden Organismus an seine Umgebung reflektiert, eröffnete sich so die Möglichkeit, in relativ kurzer Zeit vielerlei neue Informationen über das bislang relativ unbekannte Bakterium zu erhalten.

Für die Bekämpfung eines Pflanzenschädlings ist es von großer Bedeutung, die spezifischen Wechselwirkungen zwischen ihm und seinem Wirt zu kennen. Üblicherweise besiedeln schmarotzende Mikroorganismen nur Pflanzen einer Gattung oder gar Art. Diese Wirtsspezifität wird durch Interaktionen so genannter Avirulenz-Faktoren des Krankheitserregers mit den Resistenzfaktoren des Wirtes gesteuert. X. fastidiosa befällt allerdings viele verschiedene Pflanzenarten. Im Einklang damit fanden sich in seinem Genom weder Gene für Avirulenz-Faktoren noch ein System zum Einschleusen solcher Stoffe in die Wirtszelle. Offenbar benötigt X. fastidiosa diese Substanzen nicht, weil die Zwergzikaden die Bakterien direkt und ausschließlich in die toten Zellen der Leitbündel injizieren.

Versorgung mit Mineralstoffen


Mit dem Wasserleitungssystem der Pflanze besiedeln die Bakterien ausgerechnet die nährstoffärmsten Zellen. Deshalb verfügen sie über spezielle Ionenpumpen, um die für sie lebenswichtigen Substanzen – mit erheblichem Energieaufwand – entgegen dem Konzentrationsgefälle aufzunehmen. So fanden sich allein 140 Gene für Transportproteine. Damit versorgen sich die Bakterien sowohl mit Mineralstoffen wie Sulfat, Nitrat und Phosphat als auch mit organischen Substanzen wie Kohlenhydraten, Aminosäuren, Peptiden und Vitamin B12. Allein fünf Rezeptoren auf der Außenmembran dienen dem Transport von Eisen in die Zelle, während 67 Gene weitere Proteine des Eisen-Stoffwechsels codieren.

Das verwundert nicht; denn Spurenelemente wie Eisen, Kupfer, Zink, Molybdän oder Mangan sind als Bestandteile vieler Enzyme für den Stoffwechsel der Bakterien unentbehrlich. Obwohl nicht Eisen, sondern Magnesium das Zentralatom des Chlorophylls ist, führt auch Ei-senmangel bei Pflanzen zum Abbau des grünen Blattfarbstoffes. Eventuell dient die von den Bakterien gebildete Polysaccharid-Matrix als Ionenaustauscher, denn sie vermag geladene Teilchen aus dem Wasser zu binden. Diesen Befunden zufolge trägt der Mangel an Mineralstoffen möglicherweise mit zum Ausbleichen der Blätter bei.

Die Analyse des Genoms von X. fastidiosa lieferte zudem Aufschlüsse über den Energiestoffwechsel des Bakteriums. Er ist offenbar recht effizient: Der Winzling verfügt über alle Gene, um Traubenzucker (Glucose) und andere Kohlenhydrate verwerten zu können. Selbst den Abbau der für die meisten Organismen unverdaulichen Zellulose beherrscht es. Dagegen kann es mit Glyzerin nichts anfangen, das üblicherweise beim Fettabbau freigesetzt wird. Da ihm für diese Reaktionskette einige Enzyme fehlen, kommen Fette als Kohlenstoff- und Energiequelle wohl nicht in Frage. Auch der Satz an Enzymen für den Umbau von Aminosäuren in Traubenzucker scheint nicht komplett. Doch ob diese Stoffwechselwege wirklich ungenutzt bleiben, ist nicht ganz sicher: Vielleicht üben einige der vielen noch nicht identifizierten Gene die nötigen Funktionen aus.

Insgesamt hat es jedoch den Anschein, dass X. fastidiosa weitgehend auf Kohlenhydrate als Energiequelle und Rohstoff angewiesen ist. Es kann daraus sowohl DNA-Bausteine als auch Fettsäuren herstellen. Andererseits fehlen wiederum Enzyme für die Synthese einiger Aminosäuren. Entweder braucht das Bakterium die entsprechenden Proteinbausteine nicht, oder es benutzt zu ihrem Aufbau bislang unbekannte Enzyme.

Zu ihrem großen Erstaunen stießen die Wissenschaftler auch auf Gene für Substanzen, die bisher Krankheitserregern bei Menschen und Tieren vorbehalten schienen. Dazu gehören Proteine für das Anheften an Gewebeoberflächen. Sie ähneln denen von Haemophilus influenzae oder Moraxella catharralis – zwei Bakterien, welche die menschliche Schleimhaut besiedeln. Desgleichen fanden sich drei Gene für Substanzen, die beim Menschen an der Blutgerinnung beteiligt sind. Wozu Pflanzenschädlinge solche Stoffe benötigen, ist vorerst rätselhaft. Am wahrscheinlichsten scheint, dass sie für das Überleben in der Zwergzikade als Zwischenwirt benötigt werden.

In Brasilien wird etwa ein Drittel der Weltproduktion an Orangen angebaut und fast die Hälfte des Orangensaftkonzentrats hergestellt. Dennoch hatte die Entzifferung des Genoms eines Schädlings von Zitrusfrüchten nicht nur wirtschaftliche Bedeutung für das Land, es war auch ein wissenschaftliches Prestigeprojekt. Bis dahin stammten alle öffentlich zugänglichen Gen-Sequenzen von Laboratorien aus Nordamerika, Europa, Australien oder Japan. Brasilien ging es daher auch darum, Anschluss an die internationale Forschung auf diesem wichtigen Gebiet zu finden.

High-Tech im Schwellenland


Das ließ sich das Land einiges kosten: Insgesamt flossen über elf Millionen US-Dollar in das Projekt, das fast vollständig von der FAPESP (Fundação de Amparo a Pesquisa do Estado de São Paulo, Stiftung des Staates São Paulo zur Förderung der Wissenschaft) finanziert wurde; diese staatliche Stiftung erhält ein Prozent der Steuergelder, die sie nach eigenem Gutdünken für Forschungsvorhaben vergeben kann. Statt ein großes Genlabor neu einzurichten, beschloss die ONSA, 34 bereits existierende kleine Laboratorien mit den nötigen Geräten und Reagenzien für molekularbiologische Untersuchungen auszustatten und umfassend technisch zu unterstützen.

Der Erfolg spricht für sich: Mit Laboratorien, in denen nie zuvor Genome sequenziert worden waren, schafften es die brasilianischen Forscher, in weniger als einem Jahr über 90 Prozent des genetischen Codes von X. fastidiosa zu entziffern. Koordinatoren des Projekts waren zwei Wissenschaftler aus São Paulo sowie drei Experten aus Großbritannien und Belgien. Auch das Deutsche Krebsforschungszentrum in Heidelberg beteiligte sich. Die Daten wurden über das Internet zusammengeführt und am Zentrum für Bioinformatik der Universität Campinas ausgewertet.

Inzwischen hat sich die ONSA einem neuen Objekt zugewandt: Xanthomonas citri. Das ist der Verursacher einer Krebserkrankung bei Zitrusbäumen, der weltweit ähnlich hohe Ernteverluste wie X. fastidiosa verursacht.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 6 / 2001, Seite 12
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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