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News: Älteste Stadt der Neuen Welt

Eigentlich hatten Archäologen die Ruinen an der peruanischen Küste frühestens in das 15. Jahrhundert vor Christus eingeordnet, wenngleich seit lange Zeit niemand erklären konnte, warum unter den zahlreichen Fundstücken keine einzige Keramikscherbe auftauchte. Jetzt konnte dieses Rätsel gelöst werden, und zwar mithilfe der radiometrischen Altersbestimmung. Demnach ist die Siedlung von Caral viel älter als gedacht, ja sogar die älteste der Neuen Welt.
1905 stießen Forscher an der pazifischen Küste Perus auf zahlreiche Siedlungen einer hochstehenden Kultur, die hier - so dachte man bisher - seit dem 15. Jahrhundert vor Christus blühte. Wenngleich eines die Archäologen immer schon verwunderte: Unter den zahlreichen Funden aus dem täglichen Leben jener Menschen fand sich kein einziger zerbrochener Krug oder Teller. Warum nur war die Kunst der Keramikherstellung niemals bis zu diesem Volk vorgedrungen?

Die Antwort ist einfach und überraschend zugleich, die Stätten sind schlichtweg älter als gedacht. Viel älter sogar, denn neue Radiokarbon-Datierungen verrieten nun, dass die komplexen Gebäude in Caral - einer von 18 historischen Siedlungen im Supe-Tal - vor mehr als 4600 Jahren entstanden. Zu dieser Zeit schichteten in Ägypten Heerscharen von Sklaven Stein um Stein die Pyramiden auf, während sich die jungsteinzeitlichen, bäuerlichen Sippen Mittel- und Nordeuropas gerade erst zusammenfanden, um Ackerbau und Viehzucht zu betreiben. Damit ist das rund 200 Kilometer nördlich von Lima gelegene Caral die älteste Stadt der Neuen Welt. Die Herrschaft der Inkas erreichte erst 4000 Jahre später - und vor der Ankunft der ersten Europäer im 16. Jahrhundert - ihren Höhepunkt.

Das Rätsel um die fehlenden Keramiken hat eine Gruppe von Archäologen um Jonathan Haas vom Field Museum in Chicago gelöst. Die Forscher hatten aus Schilfgras gewobene Körbe, die Shicras, geborgen und konnten an ihnen mithilfe der 14C-Methode das genaue Alter bestimmen. Da es sich um einjährige Gräser handelt, sind die Ergebnisse überaus genau. Die Körbe wurden überwiegend für den Transport von Steinen und anderem Baumaterial für großen Gebäude und Pyramiden benötigt, die nicht nur religiösen Zwecken dienten, sondern auch das Zuhause der oberen Zehntausend jener Gesellschaft waren - zu dem Schluss kamen die Forscher jedenfalls, nachdem sie in den Abfällen der einstigen Bewohner gekramt hatten.

In Caral reihen sich sechs hügelförmige Plateaus um einen großen Platz. Auf einem dieser Hügel findet sich das größte Gebäude: die Piramide Mayor. Sie misst an der Basis etwa 140 mal 150 Meter und ist über 18 Meter hoch. Die terassenförmig angeordneten Gebäude und Pyramiden der anderen Hügel dienten vor allem administrativen Zwecken, möglicherweise sind hier sogar noch alte Grabmäler zu finden. Vermutlich gab es weitläufige Kultstätten, und sowohl die Größe als auch die vielfältige Architektur der Gebäude zeugt von einer hochentwickelten Gesellschaft mit komplexen Machtstrukturen.

Auch die Landwirtschaft war bereits hoch entwickelt, und die umfangreichen Bewässerungssysteme zeugen von einer ausgeklügelten administrativen Struktur. Die Menschen bauten bereits eine ganze Reihe von Kulturpflanzen an, obwohl jegliches Getreide - insbesondere Mais - auf dem Speiseplan völlig fehlte. Ein Rätsel, über das die Forscher nur spekulieren können, denn Getreide kann in großen Mengen gelagert werden, ist Ausdruck für Reichtum und wurde oft als Zahlungsmittel genutzt. Viele komplexe Gesellschaften entstanden mit der Kultivierung von Getreide, und Winifred Creamer von der Northern Illinois University könnte sich vorstellen, dass es noch einige hundert Jahre gedauert hatte, bis die Bauern im Supe-Tal den ersten Mais anbauten. Bis dahin beglichen die Menschen ihre Rechnungen vermutlich mit Trockenfisch.

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  • Quellen
Science 292: 723–726 (2001)

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