Direkt zum Inhalt

News: Amors Liebespfeil im Schneckenreich

Stellvertretend für Amor feuert die werbende Schnecke selbst einen 'Liebespfeil' auf ihren Partner ab. Dieses bizarre sexuelle Ritual hat zahlreiche Theorien über die Funktion der Liebespfeile hervorgerufen. Nun scheint das Rätsel gelöst. Der Pfeil bewirkt, daß die weiblichen Fortpflanzungsorgane empfänglicher für die Spermien des Partners werden.
In der Ausgabe vom 14. Juli 1998 des Journal of Experimental Biology zeigen Joris Koene und Ronald Chase von der McGill University in Montreal, daß die Pfeile Schleim übertragen, deren aktive Bestandteile Veränderungen in den weiblichen Fortpflanzungsorganen hervorrufen (Abstract). Dadurch erhöht sich die Chance, daß das Sperma des Bogenschützen die Eier befruchtet.

Da Schnecken Zwitter sind – sie besitzen sowohl männliche als auch weibliche Fortpflanzungsorgane –, ist es noch schwieriger, die Funktion der Pfeile genau zu erkennen. Es gibt Vermutungen, daß die Liebespfeile zum Beispiel die Bereitschaft des Schützen signalisieren, Eier zu legen oder sich zu paaren, oder daß der Pfeil das Eierlegen auslösen könnte. Denn erst nachdem der Pfeil abgeschossen wurde, paaren sich die beiden Schnecken miteinander.

Die Paarung kann jedoch auch dann vollkommen erfolgreich verlaufen, wenn der Pfeil sein Ziel verfehlt oder wenn gar keine Pfeile abgefeuert wurden. Schnecken paaren sich oft, können aber nur ungefähr einen Pfeil pro Woche erzeugen. Aus diesem Grunde bleiben einige Begegnungen pfeilfrei. Es gibt keine offensichtlichen Auswirkungen auf die Erregung oder das Paarungsverhalten. Deshalb erscheint eine grundlegende Rolle beim Sexualverhalten unwahrscheinlich.

Da der Pfeil aus Calcium besteht, haben einige Wissenschaftler vermutet, es könne sich um ein Hochzeitsgeschenk handeln, das eine zusätzliche Calciumquelle für die Eiproduktion darstellt. Koene und Chase fanden jedoch, daß der Pfeil vom Empfänger selten aufgenommen wird und auf diese Weise wenig Calcium in den Körper eindringen kann. Wozu dient er dann also? Beide glauben, daß der Schlüssel zur Funktion der Liebespfeile in der Neigung der Schnecken liegt, sich oft zu paaren, bevor die Eier befruchtet werden. Wie Insekten besitzen sie eine spezielle Kammer in den weiblichen Geschlechtsorganen, in welcher Sperma vor der Befruchtung gesammelt und gespeichert wird. Der Wettbewerb, Vater zu werden, findet also nicht nur zwischen Schnecken statt, die auf der Suche nach einem geeigneten Partner sind, sondern auch zwischen den Spermien nach der Paarung. Vielleicht, so meinen die Forscher, könnte der Pfeil in diesem Wettbewerb der Spermien eine Rolle spielen.

Wird der Pfeil aus seinem Speichersack abgeschossen, so ist er von einer Schleimschicht bedeckt, die von einem Drüsenpaar erzeugt wird. Der Pfeil scheint als eine Art Spritze zu dienen, mit der Schleim in den Empfänger injiziert wird. Deshalb untersuchten die Forscher, welche Auswirkungen er auf verschiedene innere Organe der Schnecken hat. Sie fanden heraus, daß der Schleim eine Muskelkontraktion im Fortpflanzungssystem auslöst. Die meisten Kontraktionen waren kurzlebig, es gab jedoch zwei wichtigere und länger anhaltende Auswirkungen auf die weiblichen Geschlechtsorgane: eine auf den Kopulationskanal und die andere auf den Bursa(lat. Beutel)-Trakt, welcher zu der Kammer führt, in der viele der Spermien, die versagt haben, schließlich verdaut werden.

Die Kontraktionen verschlossen den Eingang zum Bursa-Trakt und öffneten den Weg zum Bereich, indem der fertige Spermatophor gelagert wird. Von da kann das Sperma in den weiblichen Bereich gelangen. Nach einer kurzen Verzögerung beginnt dort eine Welle von Kontraktionen, die dazu beitragen könnten, daß mehr Spermien die Beutel erreichen, in denen die Befruchtung stattfindet.

Es ist nicht klar, welche Bestandteile im Schleim die Muskelaktivität auslösen. Es scheint jedoch, daß die Schnecken nicht allzu wählerisch darin sind, auf welche Art von Schleim sie reagieren. Der Schleim, der dazu dient, den Fuß zu schmieren, ist nämlich ebenfalls in der Lage, Kontraktionen auszulösen. Demnach ist die aktive Substanz ein allgemeiner Bestandteil in Schneckenschleim.

Der Injektion von Schleim fehlt die Romantik der Geschichte von Amors Pfeil. Anscheinend benötigen die Schnecken keine Romantik, um ihre Chancen für eine Vaterschaft zu verbessern.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

  • Quellen

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.