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Das autonome Auto

Heidelberg. Autofahren könnte so schön sein – wenn nur die anderen Autofahrer nicht wären. Vor allem diejenigen, die gar nicht fahren, sondern mit ihren Blechkisten jeden verfügbaren Platz blockieren.
Automobil der Zukunft auf Scientific American 1918 Cover

Die Lösung des Problems klingt heute noch utopisch, ist aber eigentlich ganz einfach: Verzichte darauf, ein Auto für dich zu besitzen, sondern miete dir immer nur dann eins, wenn du es brauchst. Zu jedem Zeitpunkt ist von allen vorhandenen Autos nur ein relativ kleiner Bruchteil tatsächlich unterwegs; ein Fünftel von ihnen würde – großzügig geschätzt – ausreichen, um jederzeit alle Fahrbedürfnisse zu befriedigen.

Aber dann steht das Auto doch nie da zur Verfügung, wo ich es gerade brauche? Doch. Du rufst – zum Beispiel mit dem Handy – eines herbei, und schon kommt es vollautomatisch um die nächste Ecke gebogen, wie ein Taxi, aber ohne Fahrer. Ebenso trollt es sich nach getaner Arbeit selbsttätig, ohne dass du dich um einen Parkplatz kümmern müsstest.

Das selbstfahrende Auto würde nicht nur das Problem des ruhenden Verkehrs lösen. Es könnte auch seine Insassen selbsttätig zum Ziel chauffieren, und zwar sicherer und komfortabler als ein menschlicher Fahrer. Denn die Messvorrichtungen, mit denen es seine Umgebung wahrnimmt, und der Computer, der es steuert, sind in ihren Fähigkeiten dem Menschen weit überlegen – im Prinzip.

Im Detail ist noch viel Kleinarbeit zu erledigen. Raúl Rojas, Professor für Informatik an der Freien Universität Berlin, und seine Gruppe veredeln seit mehreren Jahren einen VW Passat zu einem autonomen Auto namens "MadeInGermany". Mittlerweile fährt es mit Ausnahmegenehmigung vom TÜV durch Berlin. Noch muss ein Sicherheitsfahrer stets eingreifbereit hinter dem Lenkrad sitzen.

Was muss ein Auto können, um selbsttätig und ohne Gefahr für sich und andere von A nach B zu kommen? Rojas beschreibt das detailliert in einem Artikel in der aktuellen Ausgabe von "Spektrum der Wissenschaft". Der theoretische Fahrunterricht ist kein ernsthaftes Problem. Die elementaren Verkehrsregeln sind rasch in den Bordcomputer einprogrammiert. Seinen Weg findet er wie ein Mensch: mit dem Navi; das erzählt ihm auch, wo er sich gerade befindet – aber nicht genau genug. Die übliche Ortung über die GPS-Satelliten erkennt nicht immer zuverlässig den Unterschied von "auf der Straße" und "fünf Meter daneben", was dem Fahrverhalten abträglich wäre.

Etliche Hilfsmaßnahmen ("differential GPS") helfen der Präzision auf, und die letzten Zentimeter korrigiert der Bordcomputer mit Hilfe einer Kamera hinter der Windschutzscheibe, die sich auf nichts anderes konzentriert als die Markierungen für Straßenrand und Fahrspuren. Mit zwei weiteren Kameras beobachtet das Auto die Szene vor sich – und könnte wie unsereins aus dem Vergleich der beiden Kamerabilder die Entfernung aller Objekte im Blickfeld erschließen. Aber dafür gibt es ein konzeptuell primitiveres, dafür zuverlässigeres Mittel: Radar oder dessen Infrarotversion Lidar. Das Auto misst die Laufzeit der selbst ausgesendeten und reflektierten Strahlen und kennt daraufhin die Position der Hauswand, des Laternenpfahls oder des verirrten Fußgängers auf den Zentimeter genau.

Aus den aktuellen Daten berechnet das System ein Sortiment von Fahrwegen für die jeweils nächsten 200 Meter und wählt dann denjenigen, der nach einer Reihe von Kriterien – vor allem Fahrzeit und Komfort, das heißt möglichst wenig ruckartige Bewegungen – am besten abschneidet.

Eines der schwierigsten Probleme ist seltsamerweise zu erkennen, welches die zuständige Ampel ist und ob sie rot oder grün zeigt. Natürlich wäre es hilfreich, wenn jede Ampel ihren Zustand per Funk in die unmittelbare Umgebung verbreiten würde. Aber dafür müsste der Staat in Vorleistung gehen, womit vorläufig nicht zu rechnen ist. Noch schöner wäre es, alle Autos der Stadt wären von Computern gesteuert. Dann würden die nämlich untereinander per Funk ein Bewegungsmuster aushandeln, das für alle optimal ist ("Schwarmintelligenz"), und der Verkehr würde wie von Geisterhand gesteuert glatt und störungsarm durch die Stadt strömen.

Bis auf Weiteres müssen jedoch die autonomen Fahrzeuge sich mit den menschlichen Fahrern der anderen Autos verständigen. Und genau daran hapert es im Moment noch gewaltig. Zu erkennen, dass der andere einem durch freundliches Winken den Vortritt lässt, oder zu merken, dass das Kind gleich auf die Fahrbahn rennen wird, ohne hinzuschauen: Das treibt die Wissenschaft von der künstlichen Intelligenz an ihre Grenzen.

Übrigens: Das Thema "autonomes Auto" liegt in der Luft. Erst im Oktoberheft von "Spektrum der Wissenschaft" hat Gerd Hirzinger, der langjährige Chef des DLR-Instituts für Robotik und Mechatronik, unter vielen Projekten seines Instituts auch ein selbstfahrendes Elektroauto namens RoBoMobil beschrieben.

Abdruck honorarfrei bei Quellenangabe: Spektrum der Wissenschaft, Dezember 2013
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