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News: Die Entdeckung des Augenblicks

Eine Flut optischer Sinneseindrücken prasselt permanent auf uns ein und muss einen Filter passieren: das visuelle Kurzzeitgedächtnis. Bisher glaubten Neurobiologen, dass verschiedene Hirnareale diesen Arbeitsspeicher bilden. Doch dem scheint nicht so zu sein.
Bereits im Jahre 1890 erkannte der amerikanische Neuropsychologe William James, dass sich das Gedächtnis aus zwei Ebenen zusammensetzt: ein primäres, das nur kurze Zeit anhält, und ein sekundäres als längerfristigen Speicher. Inzwischen hat sich immer weiter herauskristallisiert, dass Kurz- und Langzeitgedächtnis grundsätzlich verschieden arbeiten. Während letzteres nach und nach aufgefüllt werden muss, dafür aber über Jahre oder gar Jahrzehnte anhält, dient das Kurzzeitgedächtnis wie der Arbeitsspeicher eines Computers als Zwischenlager, in der die gerade einlaufende Information für einige Sekunden bis maximal wenige Minuten aufbewahrt werden kann. Wird die Information gebraucht, dann hat sie eine Chance, im Langzeitgedächtnis zu landen – wenn nicht, dann geht sie für immer verloren.

Das Kurzzeitgedächtnis dient somit als unerlässlicher Filter, um der Flut der einprasselnden Informationsvielfalt Herr zu werden. Und auch hierbei gibt es wieder mehrere Formen, wie beispielsweise einen phonologischen Notizblock, der verbale Informationen speichert, sowie das visuelle Kurzzeitgedächtnis, das die visuell-räumliche Wahrnehmung verarbeitet.

Wo sitzt nun dieser Arbeitsspeicher? Vieles deutet darauf hin, dass zumindest das Langzeitgedächtnis nicht fest lokalisiert ist, vielmehr scheint das gesamte Großhirn daran beteiligt zu sein. Genauso wurde bisher auch das Kurzzeitgedächtnis nicht einer bestimmten, eng umgrenzten Hirnregion zugewiesen. Doch zwei Arbeitsgruppen haben jetzt unabhängig voneinander versucht herauszufinden, wo das Gehirn den Eindruck eines Augenblicks festhält.

Edward Vogel und Maro Machizawa von der Universität von Oregon maßen hierzu die Hirnströme ihrer Probanden, während sich diese auf Muster bunter Punkte konzentrierten. Die Versuchspersonen sollten sich die nur 100 Millisekunden aufleuchtenden Muster einprägen und knapp eine Sekunde später entscheiden, ob ein zweites Muster mit dem ersten identisch war. Erwartungsgemäß fiel ihnen das leicht, so lange sie sich nur ein oder zwei Punkte merken mussten. Bestand das Testmuster dagegen aus vier oder mehr Punkten, dann stieg die Fehlerrate drastisch an.

Und diese Kapazitätsgrenze des Kurzzeitgedächtnisses, die bei etwa vier Objekten lag, zeigte sich auch im Elektroencephalogramm (EEG): Unmittelbar nach dem Reiz traten so genannte ereigniskorrelierte Potenziale auf, die sich mit wachsender Objektzahl verstärkten. War der Arbeitsspeicher jedoch ausgelastet, veränderten sich die Potenziale nicht mehr [1].

Diese ereigniskorrelierten Potenziale lassen sich nicht streng lokalisieren, die Messungen von Vogel und Machizawa deuteten jedoch bereits auf den hinteren Teil des Großhirns. Die genaue Ortung gelang dafür Jay Todd und René Marois von der Vanderbilt-Universität. Auch bei ihnen mussten sich die Versuchspersonen die Anordnung von Lichtpunkten merken, und auch hier zeigte sich eine Kapazitätsgrenze von etwa vier Objekten. Im Gegensatz zu den Kollegen aus Oregon nutzten Todd und Marois allerdings das hochauflösende Verfahren der funktionellen Magnetresonanztomografie.

Und das Ergebnis: Das visuelle Kurzzeitgedächtnis sitzt im Scheitellappen, und zwar genauer im posterioren Parietalcortex – eine kleine Hirnregion, die vor allem mit der Verarbeitung räumlicher Wahrnehmung betraut ist [2].

"Es ist erstaunlich, dass sich beide Gruppen schließlich dem gleichen Areal annäherten", meint der Kognitionsforscher John Duncan aus Cambridge. Denn mit solch einer genauen Lokalisation des Kurzzeitgedächtnisses hatte niemand gerechnet. Aber offensichtlich sitzt im hinteren Teil unserer grauen Zellen ein kleines Gebiet, wo sich die Eindrücke eines jeden Augenblicks durch einen Flaschenhals zwängen.

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