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News: Die ersten Europäer

Wer sind wir? Woher kommen wir? Kaum eine Frage ist so faszinierend wie die nach unserem Ursprung. Genetiker haben jetzt versucht, die Spur der Europäer zurückzuverfolgen. Demnach stammen achtzig Prozent von uns Europäern von zwei Gruppen steinzeitlicher Jäger und Sammler ab.
Vor etwa 8000 Jahren geriet die Welt in Europa aus den Fugen. Das Wanderleben der Jäger und Sammler, die seit Jahrtausenden durch die Wälder streiften, wurde völlig durcheinander gebracht. Eine umwälzende Erfindung aus dem Vorderen Orient breitete sich über Griechenland in ganz Europa aus: Ackerbau und Viehzucht. Die Neolithische Revolution erfasste den Kontinent. "Die Konsequenzen der Umwälzung waren fundamental: dörfliche Siedlungen, neuer Glauben, unterschiedliche Sozialstrukturen", betont der Archäologe Colin Renfrew von der University of Cambridge, "eine Verhaltensrevolution fand statt."

Was war mit den alten Jägern und Sammlern passiert? Wurden sie von neuen Einwanderern verdrängt, oder übernahmen sie die neuen Errungenschaften? Diese Frage beschäftigt Archäologen schon seit langem. Jetzt erhalten sie Unterstützung von Genetikern.

Zwei Linien können bei der Suche nach dem genetischen Ursprung des Menschen zurückverfolgt werden: die mütterliche und die väterliche. Die weibliche Linie rekonstruieren Genetiker aus der DNA der Mitochondrien. Diese Organellen, die als "Kraftwerke" die Energieversorgung der Zelle sicherstellen, werden mit ihrem Genom von der mütterlichen Eizelle auf den Nachwuchs vererbt. Diesen Weg verfolgten Genetiker unter der Leitung von Martin Richards von der University of Oxford (American Journal of Human Genetics vom November 2000, Abstract).

Will man die männliche Linie zurückverfolgen, bietet sich das nur väterlich vererbte Y-Chromosom an. Diesen Weg ging eine Arbeitsgruppe, die von Ornella Semino von der Università di Pavia geleitet wurde (Science vom 10. November 2000). Unabhängig voneinander entwickelten beide Forschergruppen ein ähnliches Szenario.

Die Y-Chromosomem von insgesamt 1007 europäischen Männern konnten die Genetiker in zehn Gruppen, den so genannten Haplotypen, unterteilen, wobei vier Haplotypen bei 80 Prozent der Männer auftraten. Diese vier Typen führten die Wissenschaftler auf zwei inzwischen verschwundene Haplotypen zurück. Der erste tauchte in Europa vermutlich vor mehr als 40 000 Jahre auf. Wahrscheinlich wanderten zu dieser Zeit Menschen aus Zentralasien nach Europa ein und bildeten hier einen Kulturkreis mit typischen Höhlenmalereien, der unter den Archäologen als Aurignacien bekannt ist.

Die zweite Einwanderungswelle erfolgte nach Ansicht der Genetiker vor etwa 22 000 Jahren aus dem Mittleren Osten. Zu dieser Zeit entstand in Ost- und Mitteleuropa die so genannte Gravettien-Kultur. Sie löste die Aurignacien-Kultur ab, die sich nach West- und Südeuropa zurückzog. Beide Populationen vermehrten sich nach dem Rückgang der Gletscher am Ende der Eiszeit vor etwa 16 000 Jahre stark, sodass heute der Großteil der Europäer von ihnen abstammt.

Die dritte Einwanderungswelle nach Europa, die hier die Neolithische Revolution auslöste, erfolgte vor etwa 9000 Jahre aus dem Mittleren Osten. Die neuen Einwanderer brachten auf ihrem Y-Chromosom vier neue Haplotypen mit, die heute nur bei etwa 20 Prozent der Männer nachweisbar sind. Das bedeutet, die älteren Bewohner wurden von den Neuankömmlingen nicht verdrängt, sondern übernahmen von ihnen die neuen technischen Errungenschaften. Die Daten aus den Untersuchungen der mitochondrialen DNA liefern ein ähnliches Bild: 80 Prozent der europäischen Frauen tragen in ihren Mitochondrien einen alten Marker aus der Altsteinzeit, während 20 Prozent einen neolithischen Marker aufweisen.

Trotz der hohen Übereinstimmungen bleiben viele Wissenschaftler skeptisch. "Ich halte nichts davon, die Genetik mit archäologischen Ereignissen zu verknüpfen", meint der Genetiker Mark Jobling von der University of Leicester. "Es spricht zwar die Phantasie an, aber die Mutationsraten des Y-Chromosoms haben einen großen Spielraum." Der Genetiker Luca Cavalli-Sforza stimmt grundsätzlich zu, dass genetische Daten mit hohen Fehlerquellen behaftet sein können. "Die genetische Datierung steckt noch in den Kinderschuhen", meint er, "aber wir müssen mit irgendetwas anfangen. Die Zukunft wird neue Hinweise bringen."

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