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Durchbruch in der Stammzellforschung

Detlef Ganten, Leiter der Berliner Charité, entschlüpfte im Spiegel-Interview das Wort "sensationell". Ähnlich euphorisch äußerte sich Hans Schöler vom Max-Planck-Institut für Molekulare Biomedizin in Münster gegenüber der Fachzeitschrift Nature. "Es ist unglaublich, einfach fantastisch", schwärmte er, "für mich ist es wie Dolly, das gleiche Kaliber".

Der Grund der Begeisterung: Drei Forschergruppen in Japan und den USA konnten jetzt fast gleichzeitig nachweisen, dass sich Bindegewebszellen erwachsener Mäuse direkt in pluripotente Stammzellen umwandeln lassen, die sonst nur in ganz jungen Embryonen vorkommen. Dazu schleusten die Wissenschaftler über ein Virus Gene mit der Bauanleitung für vier Transkriptionsfaktoren ein – genetische Steuerelemente, die an der Genregulation beteiligt sind. Durch ihre Aktivität bewirkten sie, dass die spezialisierten Bindegewebszellen alle für sie typischen Festlegungen und Einschränkungen verloren. Sie kehrten quasi in einen jungfräulichen Urzustand zurück, in dem sie sich wieder zu jeder Art von Zelltyp entwickeln konnten.

Genau aus diesem Grund gelten embryonale Stammzellen, die dazu von Natur aus fähig sind, als Hoffnungsträger der modernen Medizin: Aus ihnen lassen sich nach Bedarf die verschiedensten Ersatzgewebe oder -organe züchten. Allerdings muss zu ihrer Gewinnung ein sehr früher Embryo zerstört werden, was ethisch problematisch ist – auch wenn dafür nur überzählige Embryonen aus künstlichen Befruchtungen dienen – und in Deutschland aus diesem Grund unter Strafe steht. Sollen die Stammzellen mit dem Empfänger genetisch identisch sein, um Gewebeunverträglichkeiten auszuschließen, müssen sie zudem geklont sein – ein weiteres Tabuthema.

Als moralisch einwandfreie Alternative standen bisher ausschließlich adulte Stammzellen zur Verfügung, die zwar auch recht vielseitig sind, aber doch jeweils nur ein beschränktes Spektrum von Gewebetypen hervorbringen können. Die neue Entdeckung ändert das auf einen Schlag. Sie weist einen Weg, wie sich auf ethisch unbedenkliche Weise pluripotente Stammzellen erzeugen lassen, die denen aus Embryonen gleichwertig und noch dazu mit dem Empfänger genetisch identisch sind.

Allerdings bleiben noch einige, teils gravierende Fragezeichen. Das erste und größte ist, ob sich die Ergebnisse von der Maus auf den Menschen übertragen lassen. Das steht keineswegs fest. Bisher ist auch das Klonen zwar bei vielen Säugetieren – darunter Mäusen – gelungen, aber noch nicht beim Menschen.
Zweitens schließt die Methode eine drastische Genmanipulation ein, die beim Menschen gleichfalls umstritten ist. Im vorliegenden Fall wäre sie sogar unvertretbar. Nicht nur die zum Einschleusen verwendeten Retroviren bergen ein Krebsrisiko, auch zwei der vier übertragenen Gene für Transkriptionsfaktoren gehören zu einem Typ, der bei Mutation oder übermäßiger Aktivierung Krebs auslösen kann. Dass diese Gefahr real ist, zeigen die jetzt veröffentlichten Versuche. Zum Beweis der Pluripotenz wurden die durch Genmanipulation reprogrammierten Bindegewebszellen in sehr frühe Embryonen injiziert, wo sie sich in den heranwachsenden Organismus integrierten und am Aufbau der verschiedensten Organe – ja sogar der Keimdrüsen – beteiligten. Immerhin ein Fünftel der so entstandenen Tiere entwickelte Krebs.

Die Wissenschaftler hoffen, Möglichkeiten zu finden, diese nicht tolerierbaren Nebeneffekte zu umgehen. Stammzellforscher in Deutschland zeigen sich derweil verbittert, dass sie bei dem nun einsetzenden Wettlauf um die Übertragung der Ergebnisse auf den Menschen ausgeschlossen bleiben. Um zu beweisen, dass reprogrammierte pluripotente Stammzellen mit embryonalen identisch sind, bräuchten sie Zugang zu neueren solchen Zelllinien vom Menschen. Heftiger denn je fordern sie deshalb eine Änderung des rigiden deutschen Embryonenschutzgesetzes. Doch selbst wenn sie die Politiker überzeugen könnten, käme die Lockerung vermutlich zu spät. Bis dahin dürfte die Entdeckung im Ausland gelungen sein.

Gerhard Trageser

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