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Geige im Laserlicht

Moderne Meßtechnik hilft, alte Rätsel des Instrumentenbaus zu lösen.


Handwerkliches Geschick und ein hervorragendes musikalisches Empfinden sind Grundvoraussetzungen im Geigenbau. Moderne Technik kann mitunter ebenfalls recht nützlich sein: Optische Meßsysteme helfen beispielsweise, die Resonanz- und Abstrahlungseigenschaften der Instrumente zu analysieren und so zu verbessern.

Bislang gab es nämlich relativ wenig Möglichkeiten zu ergründen, warum eine Geige etwa einen weit tragenden Ton erzeugt, eine andere hingegen dünn und leise erklingt, obwohl beide vielleicht maßstabsgetreue Nachbauten des gleichen Meisterinstruments von Stradivari sind. Nur die Schwingungsmuster (Moden) noch unverleimter Decken und Böden ließen sich relativ einfach sichtbar machen: Mit Pulver bestreut und mit einem Lautsprecher angeregt, vibrieren die Hölzer bei ihren Resonanzfrequenzen besonders stark. Die Teilchen sammeln sich dann dort, wo das Holz in Ruhe ist, also in den sogenannten Schwingungsknoten beziehungsweise Knotenlinien. Diese Methode gibt aber leider keinen Aufschluß über das Verhalten eines kompletten Instruments.

Eine Lösung bietet das Laser-Doppler-Verfahren. Ein Helium-Neon-Laser sendet einen Lichtstrahl, der in einen Meß- und einen Referenzstrahl geteilt wird. Ersterer fällt auf die Geigenoberfläche und wird dort reflektiert. Bei Überlagerung treffen Meß- und Referenzstrahl demzufolge mit verschiedenen Phasen aufeinander, und es entsteht Interferenz. Eine Photozelle mißt dies als Modulation der Lichtintensität.

Um zu unterscheiden, ob die Geigenoberfläche gerade auf den Detektor zu oder von ihm weg schwang, eignet sich die Auswertung des Dopplereffekts: Wie bei einem vorbeifahrenden Auto wächst die Frequenz des Meßsignals, wenn sich die Quelle auf den Detektor zu bewegt, und sie nimmt im umgekehrten Fall ab. Um einen definierten Nullpunkt zu erhalten, verschiebt eine sogenannte Braggzelle zunächst die Frequenz des Meßstrahls um 40 Megahertz; je nach der Schwingungsrichtung mißt ein Detektor dann eine Frequenz größer oder kleiner 40 Megahertz. Mit einem solchen System aus kommerziell erhältlichen Komponenten läßt sich dann beispielsweise die Decke eines kompletten Instruments – mittels Lautsprecher angeregt – abscannen und seine Moden sichtbar machen.

Den praktischen Wert demonstrieren die Beispiele. Im oberen Bild eine Geige, die bei 406 Hertz recht dünn klingt. Die Analyse zeigt den Grund: Während sich die linke Seite der Decke in ihrem Schwingungszentrum etwa 1,5 Mikrometer nach außen bewegt, schwingt die rechte um fast denselben Betrag in Gegenrichtung. Bei der verhältnismäßig großen Wellenlänge von 84 Zentimeter gleichen sich demzufolge die Luftdruckschwankungen zwischen den beiden Schwingungszentren aus; man spricht vom hydrodynamischen Kurzschluß.

Eine insgesamt kräftige Klangabstrahlung weist das Instrument im unteren Bild auf. Hier schwingen die linke und rechte untere Backe der Decke bei einer Resonanzfrequenz von 469 Hertz großflächig mit 0,4 bis 0,7 Mikrometer Amplitude, während der obere, gegenphasig oszillierende Deckenteil schwächer oszilliert. Diese Dominanz des unteren Bereichs wird noch durch das Griffbrett verstärkt, das die Klangabstrahlung seiner Umgebung abfängt.

Nach wie vor greifen Geigenbauer vor allem auf althergebrachte Methoden zurück, um ihre Instrumente möglichst optimal zu gestalten. Das Klopfen und Biegen von Decken und Böden zur Ermittlung der Resonanzeigenschaften wird durch moderne Meßmethoden keineswegs obsolet werden, und kein Laser-Doppler-Vibrometer kann Erfahrung und handwerkliche Kunst ersetzen. Doch die Gründe für das Klangverhalten einer Geige zu bestimmen, noch dazu mit großer Präzision, wird helfen, bessere Instrumente zu bauen.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 2 / 2000, Seite 85
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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