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News: Indizienprozess

Vor über 90 Jahren entlud sich über der sibirischen Tunguska irgendetwas mit gewaltiger Energie und verwüstete ein paar Tausend Quadratkilometer Wald. War hier ein Asteroid oder Komet niedergegangen? Ein Krater war nicht aufzufinden, auch Reste eines Himmelskörpers wurden nie gefunden, doch jetzt könnten Forscher das lange währende Rätsel anhand von Indizien gelöst haben.
Tunguska
In jedem Jahr sind rund 20 000 kosmische Gesteinsbrocken groß genug, die glühende Abbremsung in der Erdatmosphäre zu überstehen und irgendwo auf der Erdoberfläche niederzugehen. Die meisten Meteorite - so heißen Asteroiden oder Kometen, wenn sie einmal die Erdoberfläche erreichen - sind dann kaum größer als Kieselsteine, eine Vielzahl von erdgeschichtlich erhaltenen Kratern, wie beispielsweise dem Nördlinger Ries, zeigen aber, dass sie bisweilen katastrophale Folgen haben können.

Einen kleinen Eindruck davon bekamen am 30. Juni 1908 Zeugen in Sibirien, als sie in den frühen Morgenstunden am Himmel über der Tunguska-Region sahen, wie einen blass-blauer Feuerball in einer gigantischen Explosion die Nacht zum Tag werden ließ. Die Druckwelle machte rund 2000 Quadratkilometer Wald dem Erdboden gleich, selbst im fernen England war sie noch zu messen.

Unzählige Forscher haben sich seitdem auf den Weg in das unwegsame und sumpfige Gebiet gemacht, doch einen Krater fanden sie nicht. Auch keine Gesteinsfragmente, die von einem Asteroiden oder Kometen zeugen - einzig einige Tausend Quadratkilometer verwüsteter Landschaft ließen die ungeheure Energie jenes Ereignisses erahnen.

Berechnungen ergaben, dass seinerzeit ein vielleicht 50 Meter großer Himmelskörper in die Erdatmosphäre eingetreten war, wo er in rund 8000 Metern Höhe mit einer Sprengkraft von 1000 Hiroshima-Bomben explodierte. Doch dass ein solches Objekt lediglich umgeknickte Bäume hinterließ, konnte sich niemand recht vorstellen.

Einer, der sich seit langem mit dem Tunguska-Ereignis beschäftigt, ist Luigi Foschini vom Consiglio Nazionale delle Ricerche, der zusammen mit seinen Kollegen nun zu dem Schluss kommt, dass die zerstörerische Druckwelle aller Wahrscheinlichkeit nach von einem Asteroiden stammt - und nicht, wie weithin angenommen, von einem wasserreichen Kometen geringer Dichte. Während erstere aus dem Asteroidengürtel zwischen Mars und Jupiter stammen, kreisen die eisreichen Gesteinstrümmer der Kometen jenseits des Pluto um die Sonne.

Die Forscher hatten alles ausgewertet, was ihnen in die Finger geriet: alte und bisher noch nie übersetzte Augenzeugenberichte, seismische Aufzeichungen zahlreicher Messstationen und die Lage von über 60 000 umgeknickten Bäumen. Sie gaben Aufschluss über die Richtung, aus der die Druckwelle kam, und zusammen mit den anderen Daten konnten die Forscher 886 unterschiedliche Bahnen berechnen, auf denen der Brocken einst auf die Erde schlug.

Über 80 Prozent dieser Bahnen konnten nur die von Asteroiden sein, auf nur wenigen hätten Kometen auf die Erde stürzen können. Dabei passten Kometen viel besser in das Bild, denn sie bestehen vornehmlich aus Eis, haben also eine geringe Dichte. Allerdings gibt es auch Asteroiden, deren Dichte kaum über der von Wasser liegt. Sie bestehen nicht aus einem Stück, sondern aus Myriaden kleiner Bruchstücke. Der Asteroid 253 Mathilde, der 1997 von der Raumsonde NEAR Shoemaker passiert wurde, entspricht genau dieser Vorstellung. Ein solcher Brocken könnte in einigen Kilometern Höhe vollständig explodieren. Auf der Erdoberfläche würden weder Krater noch Gesteinsfragmente davon zeugen - was bliebe, wäre eine verwüstete Landschaft.

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