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News: Leergefischter Genpool

Jahr für Jahr feilschen die fischfangenden Nationen um neue Fangquoten und geben zusammengebrochenen Fischpopulationen damit die Chance, sich wieder zu erholen. Auch wenn dies meist nach wenigen Jahren gelingt - der genetische Verlust der Überfischung kann unwiederbringlich sein.
Noch im 19. Jahrhundert erschien es unvorstellbar, dass die Fischbestände des Meeres durch menschliche Aktivitäten bedroht sein könnten. Dafür waren die Ozeane einfach zu groß und die Möglichkeiten der Fischer zu klein. Doch die Technik schritt immer weiter fort, und spätestens seit den fünfziger Jahren spürten industriell geprägte Fangflotten jeden entlegenen Fischbestand auf. Der Zusammenbruch vieler Fischpopulationen ließ nicht lange auf sich warten.

Aus Schaden klug geworden sollen heutzutage strikt festgelegte Fangquoten verhindern, dass in den Meeren zukünftig nichts mehr zu holen ist. Und tatsächlich regenerieren sich geschonte Fischpopulationen erstaunlich schnell und erreichen bald wieder ihre alten Bestandsgrößen. Also alles in Butter?

Lorenz Hauser ist sich da nicht so sicher. Zusammen mit Kollegen aus Neuseeland hat der Fischereibiologe von der britischen University of Hull den Genpool der neuseeländischen Seebrasse Pagrus auratus analysiert. Den Forschern standen hierfür zwei Populationen zur Verfügung: Die erste im Golf von Hauraki nördlich der Nordinsel von Neuseeland wird bereits seit Mitte des 19. Jahrhunderts intensiv befischt. Auf die zweite Population in der Tasman-Bucht an der Nordspitze der Südinsel greifen Fischer erst seit den fünfziger Jahren zurück.

Beide Populationen leben fast vollständig isoliert voneinander. Die Wissenschaftler konnten daher die genetische Diversität der Fischbestände gut miteinander vergleichen. Sie stützten sich hierbei auf die so genannte Mikrosatelliten-DNA – nicht-codierende Genomabschnitte, die eine hohe Variabilität zeigen.

Beide Bestände zeigten in den achtziger Jahren eine starke Überfischung, wobei die Populationen Verluste von über 80 Prozent hinnehmen mussten. Mit über drei Millionen Tieren in der Tasman-Bucht und fast 40 Millionen im Golf von Hauraki blieben jedoch genug Individuen übrig, sodass sich die Populationen wieder erholt haben.

Ganz anders sieht es dagegen mit dem Genpool aus: Die Tiere aus der Tasman-Bucht zeigten in den fünfziger Jahren eine hohe Diversität, die im Laufe der nachfolgenden 50 Jahre stark abnahm. Im Golf von Hauraki, der bereits seit 150 Jahren befischt wurde, konnten die Forscher einen derartigen Rückgang der genetischen Diversität nicht feststellen. Allerdings lag die Diversität bereits 1952 relativ niedrig.

Die Forscher sehen hier ein Werk des Menschen: Die Seebrassen der Tasman-Bucht blieben bis 1950 von den Fischern verschont und konnten sich eine hohe genetische Diversität bewahren. Durch die dann einsetzende Fischerei nahm nicht nur die Zahl der Individuen ab, auch der Genpool wurde leergefischt. Auch wenn sich die Bestände später wieder erholten, blieben sie genetisch verarmt – viele Genvariationen waren für immer verschwunden. Diese genetische Armut lag bei den traditionell befischten Beständen des Golfs von Hauraki bereits vor, sodass die Wissenschaftler hier keinen weiteren Rückgang seit den fünfziger Jahren messen konnten.

Hier offenbart sich eine Diskrepanz zwischen der Populationsgröße – gemessen in der Individuenzahl – und der genetisch effektiven Populationsgröße, die nach Schätzungen der Wissenschaftler um den Faktor 10 000 niedriger liegen kann. Eine hohe Individuenzahl garantiert also nicht eine hohe genetische Variabilität.

Und dies kann ernsthafte Konsequenzen haben, erklärt Greg Adcock von der University of Melbourne: "Eine große effektive Population enthält viele seltene genetische Variationen. Diese seltenen Varianten spielen in der bestehenden Umwelt keine große Rolle, sobald eine Fischpopulation jedoch sehr viele dieser Gene verliert, dann verliert sie auch die Fähigkeit, sich an verändernde Umweltbedingungen anzupassen, wie globale Erwärmung, Umweltverschmutzung oder menschliche Eingriffe in das Räuber-Beute-Spektrum." Seine Schlussfolgerung ist klar: "Die genetische Diversität muss beim Management der genutzten marinen Arten mit berücksichtigt werden. Vermutlich haben viele genutzte oder überfischte Bestände ihre Diversität bereits verloren."

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