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News: Linkslastig

Das Herz sitzt links und die Leber rechts. Doch wie kommt die uns so selbstverständlich erscheinende Asymmetrie unseres Körpers zustande? Ein mathematisches Modell bestätigt jetzt einen lang gehegten Verdacht.
Symmetrie bestimmt auf den ersten Blick unseren Körper: Die linke Körperseite ist – zumindest äußerlich – ein Spiegelbild der rechten. In der Tat zählt diese Bilateralsymmetrie, im Gegensatz etwa zu den radiärsymmetrischen Stachelhäutern, zu einem wesentlichen Kriterium der Wirbeltiere.

Doch bekanntermaßen endet diese Bilateralsymmetrie, sobald wir in unser Körperinneres schauen: Das Herz sitzt links, die Leber dagegen hauptsächlich auf der rechten Seite, die Lunge hat links zwei, rechts drei Lappen, und der Dickdarm windet sich von rechts nach links. Warum die Evolution diese Links-Rechts-Asymmetrie bevorzugt, darüber kann nur spekuliert werden. Vermutlich ist es schlicht und einfach Platz sparender, beispielsweise den Darm mit seinen vielen Schlingen und Schleifen asymmetrisch in der Leibeshöhle zu verstauen.

Mindestens genauso rätselhaft wie das Warum ist das Wie. Denn alle Wirbeltiere starten ihre Existenz in der frühen Embyronalentwicklung als vollständig bilateralsymmetrische Wesen. Doch sobald die ersten Anlagen des Herzens auftauchen, ist es mit der exakten Spiegelbildsymmetrie vorbei.

Im Jahr 1998 konnten japanische Forscher eine mögliche Ursache dieses Asymmetrie aufspüren. Sie arbeiteten mit einem Mäusestamm, bei dem die Hälfte der Tiere spiegelbildlich aufgebaut waren: Das Herz saß rechts und die Leber links. Dieser "Situs inversus" tritt als Kuriosum der Natur auch bei einem von etwa 10 000 Menschen auf; die Betroffenen merken normalerweise nichts von ihrem seitenverkehrten Körperaufbau.

Bei dem inversen Mäusestamm zeigte sich nun, dass einer bestimmten Struktur des Embryos, dem so genannten Primitivknoten – nach seinem Entdecker auch Hensen'scher Knoten genannt –, die übliche Ausstattung mit Flimmerhärchen oder Zilien fehlte. Von dem Primitivknoten, der am Ende der die Symmetrieachse festlegenden Primitivrinne sitzt, war bereits bekannt, dass es sich um ein wichtiges Organisationszentrum des Embryos handeln muss, das die Entwicklung der späteren Organe beeinflusst. Die Idee war nun folgende: Die Zilien des Primitivknotens sorgen durch ihr stetiges Schlagen für eine ungleichmäßige Verteilung unbekannter Signalstoffe. Ist der Primitivknoten seiner Haarpracht beraubt, verteilen sich die Substanzen wahllos, und entsprechend bestimmt dann nur noch der Zufall, ob das Herz am rechten Fleck sitzen wird.

Und tatsächlich schlagen die Zilien des Primitvknotens normalerweise immer im Uhrzeigersinn. Dieser Drehsinn liegt wiederum in ihrem molekularen Aufbau begründet. Denn im Gegensatz zu normalen Zilien, die aus neun randständig sitzenden und zwei zentralen Mikrotubuli bestehen – die bekannte "9 + 2"-Anordnung – fehlen den Härchen des Primitivknoten die zentralen Bausteine. Und diese "9 + 0"-Struktur sorgt dafür, dass die Zilien gebogen sind – sie rotieren beim Schlagen, und zwar rechts herum.

Kann dieser rotierende Zilienschlag wirklich dafür sorgen, Substanzen des Embryos asymmetrisch zu verteilen? Julyan Cartwright, Oreste Piro und Idan Tuval vom spanischen Obersten Forschungs- und Wissenschaftsrat haben nun versucht, der Sache theoretisch auf den Grund zu gehen. Unter Berücksichtigung von Zilienlänge, Schlagfrequenz und Viskosität des Mediums berechneten die Forscher, wie eine Flüssigkeit durch die kreisenden Härchen verteilt werden kann.

Und das Modell bestätigt die Vermutung: Die Zilien können tatsächlich unter den gegebenen Bedingungen Stoffe auf der linken Seite anreichern. Die Forscher vermuten, dass bestimmte Chemorezeptoren auf diese Substanzen – als heiße Kandidaten gelten die Proteine Nodal und Lefty – reagieren und damit die Asymmetrie des Körpers auslösen.

Eine ältere Vermutung, nach der die Asymmetrie eines Signalstoffes die Asymmetrie des Körpers auslösen könnte, träfe demnach vermutlich nicht zu. Vielmehr sorgt ein asymmetrisch arbeitender molekularer Motor für die körperliche Schieflage. Doch dieser Motor selbst besteht wiederum aus asymmetrischen Bauteilen, nämlich L-Aminosäuren. Zilien aus spiegelbildlich aufgebauten D-Aminosäuren würden sich gegen den Uhrzeigersinn drehen und damit letztendlich für ein rechts sitzendes Herz sorgen. Es sieht fast so aus, als hätte die Natur, als sie sich zu Beginn des Lebens für die L-Form der Aminosäuren entschied, den Grundstein dafür gelegt, dass unser Herz links schlagen wird.

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