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Planet der Viren

Reinhard Breuer
„Wenn ich die Lage deuten soll, dann würde ich sagen: Die Vorzeichen sind ideal für eine Pandemie“, sagte kürzlich Albert Osterhaus im Heidelberg-Forum, das mit den Biomedizinern vor Ort Vorträge über Lebenswissenschaften veranstaltet. Und auf Nachfrage gestand der Virologe aus Rotterdam: „Wenn sie käme, dann würden wir mit leeren Händen dastehen.“

Das klang nicht gut, gerade von einem Forscher, der so gar nicht zum Alarmismus neigt. Selten habe ich den Boden unter mir derart beben gespürt: jederzeit bedroht von einem Massensterben vom Ausmaß vielleicht der spanischen Grippe 1918. Damals, so schätzt auch Osterhaus, starben womöglich 55 Millionen an einem aggressiven Influenza-Virus, dem Typ H1N1. Spätere Grippepandemien – Asien 1957 mit H2N2 und Hongkong 1968 mit H3N2 – kosteten auch noch einige Millionen Opfer. Schließlich, 1997, starben die ersten Menschen an H5N1, einem hochgefährlichen Typ mit dem Potenzial zum Pandemiestamm.

Wenn eine Pandemie, eine weltumspannende Epidemie, kommt, dann wären es wahrscheinlich Vogelgrippeviren dieses Typs. Es war schon Stephen Jay Gould, der darauf hinwies, wir lebten im Zeitalter der Bakterien – und, so möchte man hinzufügen, ihrer minderen Geschwister, der Viren. Leben ohne beide ist undenkbar, mit ihnen ist aber auch eine Plage, und häufig mit tödlichen Dimensionen.

Albert Osterhaus kennt Viren, sein Labor entschlüsselt laufend den genetischen Code dieser Kampfwesen, bei ihm wurde der H5N1-Stamm entziffert, den eine Ärztin 1997 in Hongkong gefunden hatte, damit aber nicht klar kam. Mit anderen Labors setzen sie derzeit Massenscreenings in den Zugvögelpopulationen durch. Die globalen Alarmnetzwerke sind seit der plötzlich aufgetretenen Lungenseuche Sars viel enger gestrickt. Das ist kein Luxus: „Da draußen gibt es noch viel mehr.“

Neue Viren lösen Seuchen aus. 13 von 14 Virusepidemien der letzten Jahre sind „zoonotisch“– von Tieren auf den Menschen übergesprungen. Unser Lebensstil mit hoher Mobilität und Tiertransporten um die Erde mischen das Reservoir eben auch weltweit. In den 1980er Jahren starben plötzlich in New York einige Menschen am West-Nil-Virus, der vorher nur im östlichen Afrika und in Israel beobachtet wurde. Wie war er nach New York geraten? „Womöglich mit Moskitos in einem Flugzeug.“ Bis 2001 hatte sich der West-Nil-Virus über die ganzen USA verbreitet, 200 Menschen starben ebenso wie Pferde und ganze Vogelpopulationen. Jetzt bewege er sich südwärts.

Uns näher rücken andere Tierkrankheiten. Die Blauzungenkrankheit befällt Schafe und wird von kleinen Stechmücken übertragen. Im letzten Sommer erfasste sie halb Europa. „Die ist vorher noch nie hier beobachtet worden“, sagt Osterhaus. Und der warme Winter würde ihre Verbreitungswege weiter befördern. Die Klimaerwärmung würde uns künftig noch ganz anderen Erreger-Invasionen bescheren, prophezeit der Niederländer.

Auch von Mensch zu Tier können Viren (zurück)springen. In Afrika hat derzeit Ebola bereits Tausende von Menschaffen ausgerottet – ihre Arten sind akut gefährdet, nicht nur durch Landwirtschaft und Wilderer. Die USA haben im letzten Jahr zwei Milliarden Dollar zum Schutz vor Bioterrorismus ausgegeben. Aber: „Natur ist der wahre Bioterrorist“, sagt der Virologe trocken. Und erwähnt noch einmal H5N1. Es greife in Wellen an. Gerade attackiere das Virus in einer dritten Welle, in den letzten Monaten seien bereits wieder Menschen in Kairo und Rumänien gestorben. Und vergangenen Sonntag kommt die Meldung aus Moskau: Auch dort wurde gerade der Virus wieder in Vogelkadavern nachgewiesen, die in den vergangenen Tagen eingesammelt wurden.

Unser Lebensstil lässt sich natürlich nicht zurückdrehen, die Welt ist ein einziger Pool mit noch ungeahnten Virenreservoirs in den Wildpopulationen. Irgendwann einmal schafft es wieder eines, die Barriere zum Menschen zu durchbrechen und sich über ihn auch weiter zu verbreiten. Und irgendwann, vielleicht eher als wir befürchten, stehen wir da – „mit leeren Händen“.

Reinhard Breuer

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