Direkt zum Inhalt

Quantenspuk und Realität



Die Welt der Quantenphysik ist bizarr und sie wird, so zeigen es laufend neue Experimente, noch bizarrer. Um solche Zeichen als Krise zu fassen, sprechen manche bereits von einer „zweiten Quantenrevolution“. Niels Bohr sagte einmal: „Wenn es Ihnen beim Studium der Quantenmechanik nicht schwindelig wird, dann haben Sie sie nicht wirklich verstanden.“

Aber selbst unser vermeintliches Verständnis der Quantenwelten wird in den letzten Jahren zunehmend gefährdet, etwa beim legendären Welle-Teilchen-Dualismus. Seit Mitte der 1980er Jahre experimentiert der französische Forscher Alain Aspect am berühmten Doppelspaltversuch mit „verzögerter Wahl“. In diesem Versuch werden wie üblich Photonen durch zwei Löcher geschickt. Doch brauchen sich die Lichtpartikel hier erst – per Messvorrichtung – für „Teilchen“ oder „Welle“ zu entscheiden, nachdem sie den Apparat durchflogen haben.

Als der französische Experimentator kürzlich in einem Vortrag darüber berichtete, schien mir, als würde auch er diese Ungeheuerlichkeit fast als ein Mysterium hinnehmen, das man zwar untersuchen, aber mit dem Menschenverstand nicht wirklich begreifen könne. Auch die Debatte um die Realität der Mikrowelt kocht seit einigen Jahren wieder kräftig auf.

Diesmal ist es hauptsächlich der Wiener Quantenphysiker Anton Zeilinger, der immer wieder Rekorde mit so genannten „verschränkten Photonenpaaren“ aufstellt. Photonenpaare bilden, wenn sie einmal zusammen erzeugt sind, ein gemeinsames Quantensystem, selbst wenn sie danach weit voneinander getrennt werden. Wird dann eines der beiden Photonen vermessen, fixiert dies wie durch einen telepathischen Befehl augenblicklich auch die Eigenschaft des Geschwisterteilchens.

Das ist die „spukhafte Fernwirkung“, über die 1935 erstmals Einstein, Podolsky und Rosen nachdachten. Zeilinger, dem ich dafür einen Nobelpreis wünsche, hat bewiesen, dass die Fernwirkung zwischen den Quantenpartikeln über viele Kilometer reichen kann. Derartige Nichtlokalität widerspricht Konzepten vom lokalen Realismus, wie sie einst Einstein in seinem Dauerdisput mit Niels Bohr verfocht. In Einsteins Sicht sollten Messergebnisse lokalisierter Systeme vollständig durch deren physikalische Realität am Ort der Beobachtung festgelegt sein – und nicht zusätzlich durch ferne Ereignisse.

Doch neue Experimente speziell aus diesem Jahr scheinen zu zeigen, dass selbst ein nichtlokaler Realismus dem Quantenverhalten nicht gerecht wird (Nature, 446, S. 871, siehe Link auf der linken Seite) – was auch Alain Aspect beunruhigt. Diese Resultate würden bedeuten, kommentierte er kürzlich, dass man „auf die Art von Realität verzichten muss“, die er gerne gehabt hätte (Nature, 446, S. 866). Aber zugleich könnte sich diese „zweite Quantenrevolution aus ihrem jetzigen Zustand der Grundlagenforschung in eine vollwertige technologische Revolution“ verwandeln.

Anton Zeilinger ist davon überzeugt, dass Quantenphysik – „wenn wir sie eines Tages wirklich verstanden haben“ – noch revolutionärer sein wird als die Leistungen etwa von Kolumbus oder Kopernikus. „Es wird schlichtweg um die Frage gehen, was Wirklichkeit ist.“ Wenn Sie Lust haben, sich selbst mit dem Quantenrätsel des Welle-Teilchen-Dualismus etwas näher zu befassen, dann hilft Ihnen unser Beitrag auf Seite 68 im Juliheft (als kostenlose Leseprobe, siehe Link auf der linken Seite) sicher weiter – mit einem „Quantenradierer“ zum selbst Basteln.

Reinhard Breuer

Schreiben Sie uns!

1 Beitrag anzeigen

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.