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News: Stoßen statt werfen

Der Speer war im Neandertal eine beliebte Waffe. Mit dem Werfen haperte es allerdings.
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Lautlos schleicht er sich heran. Nur noch ein paar Meter, dann kann er das Weiße im Auge seines Opfers sehen. Ruhig hält er in seiner rechten Hand einen fast zwei Meter langen Speer, der sich in wenigen Augenblicken in eine tödliche Waffe verwandeln soll. Geduldig wartet er noch den passenden Moment ab, holt dann langsam aus und schleudert schließlich seinen Speer mit voller Wucht auf seine Beute. Mit Erfolg. Tödlich getroffen bricht der Bison zusammen.

So stellt man sich landläufig eine Jagdszene vor, wie sie sich vor 40 000 Jahren im Neandertal zugetragen haben könnte. Völlig falsch, sagt Daniel Schmitt. Der Anthropologe von der Duke University glaubt nicht an die sportlich-jagdtechnischen Begabungen des Neandertalers. Zwar bezweifelt er nicht, dass Homo sapiens neanderthalensis durchaus in der Lage war, einen Speer als Mordwerkzeug erfolgreich einzusetzen – nur eben nicht als eleganter Speerwerfer.

Wie denn dann? Die Frage lässt sich gar nicht so leicht beantworten. Denn erst mit den als Atlatl bezeichneten Speerschleudern, welche die Indianer Amerikas nicht nur auf ihrer Jagd, sondern auch gegen aufdringliche Spanier einsetzten, lässt sich der Gebrauch von Speeren als Wurfgeschosse sicher nachweisen. Die ältesten dieser auch in Europa zum Zuge gekommenen Wunderwaffen blicken jedoch gerade einmal auf eine 20 000-jährige Vergangenheit zurück. Der Neandertaler streifte aber schon vor 100 000 Jahren durch die Wälder. Und vermutlich hielt er dabei einen Speer in der Hand.

Bisher hielten es Anthropologen für selbstverständlich, dass sich auch die damalige Menschheit ihr täglich Brot durch einen geschickten Speerwurf erwarb. Schließlich sprechen ihre kräftigen Oberarmknochen eine deutliche Sprache: Sind sie doch erheblich dicker als ihr linkes Pendant – jeder durchtrainierte Tennisspieler kennt das Phänomen.

Doch dieser anatomische Befund überzeugt Schmitt in keinster Weise. Er vermutet vielmehr, dass der Neandertaler bevorzugte, mit beiden Händen zu töten: Er setzte den Speer als Stichwaffe ein.

Doch in der Wissenschaft ist es Usus, Behauptungen zu beweisen. Da lebende Neandertaler als Forschungsobjekt nicht mehr zur Verfügung stehen, setzte er zusammen mit seinen Kollegen Steven Churchill und William Hylander die Methode der experimentellen Archäologie ein. Als Versuchskaninchen bewährten sich ihre Studenten.

Diese waren, neben einem Speer, mit reflektierenden Aluminiummarkierungen bewaffnet – jeweils an der rechten Schulter, am Ellbogen und am Handgelenk. Derart präpariert sollten sich die modernen Neandertaler auf ihr vermeintliches Opfer stürzen: eine Matratze. Die kräftigen Stöße ihrer Probanden hielten die Forscher mit einer Videokamera fest und maßen gleichzeitig die aufgetretenen Kräfte.

Die Analyse des Kampfeinsatzes zeigte ein deutliches Bild: Auch beim beidhändigen Gebrauch des Speers als Stichwaffe wird vor allem der rechte Arm beansprucht. Im Gegensatz zum Speerwurf liegt die Belastung jedoch vor allem auf dem Oberarm, der durch fleißiges Trainieren im vorderen Bereich zunehmend dicker werden wird. Und genau diese ungleichmäßige Verdickung fanden die Anthropologen auch bei alten Neandertalerknochen.

Nach Ansicht von Churchill genügt es, die Neandertal-Variante nur einmal pro Woche einzusetzen, um die die typischen Knochendeformationen entstehen zu lassen. Doch ein wöchentliches Fittnessprogramm wird dem Neandertaler wohl nicht genügt haben. Um sich und seine Familie zu ernähren, musste er seinen Speer vermutlich etwas häufiger einsetzen.

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