Direkt zum Inhalt

News: Verlorene Worte

Das drohende Artensterben unter Tieren und Pflanzen sorgt immer wieder für Schlagzeilen. Auf weitaus leiseren Sohlen verliert die Welt gerade noch einen anderen Schatz: ihre Vielfalt an Sprachen.
Bild
"Witajce k nam!" Dieser Gruß wird Ihnen in der Lausitz häufiger begegnen: "Herzlich willkommen", sagen so die Sorben, ein kleines slawisches Volk mit alter Tradition, deren Sprache das Schicksal vieler anderer teilt: Sie ist in ihrem Bestand stark gefährdet.

6809 lebende Sprachen hat die Welt – sofern sich das überhaupt so genau bestimmen lässt. 357 davon werden von weniger als 50 Menschen gesprochen, und 46 Menschen finden gar überhaupt keinen Gesprächspartner mehr, denn sie sind die letzten und einzigen Personen, die noch den jeweiligen Sprachschatz aufweisen. Im Gegensatz dazu teilen sich etwa 3,5 Milliarden Menschen nur zwölf Muttersprachen.

William Sutherland von der University of East Anglia in Norwich, seines Zeichens Biologe, fragte sich, ob für das Aussterben von Sprachen dieselben Gesetzmäßigkeiten gelten wie für das Aussterben von Tieren. Also analysierte er für sie gleichermaßen die Populationsgröße – die Anzahl der Sprecher –, den beobachteten beziehungsweise erwarteten Populationsrückgang sowie die Größe und die Veränderungen, insbesondere Zerstückelung, des Verbreitungsgebietes. Diese Daten verglich er mit entsprechenden Erhebungen für Vögel und Säugetiere weltweit.

Trotz einer eher vorsichtigen Abschätzung des Risikos sind Sprachen offenbar stärker gefährdet als Vögel und Säugetiere, berichtet Sutherland. So sind weitaus mehr seltene Sprachen bekannt, und die Zahl der kundigen Sprecher ist häufig sehr gering. Und offenbar gibt es auch für Sprachen eine Mindest-"Populationsgröße": Wird sie unterschritten, kann das Aussterben nicht mehr aufgehalten werden. Zu den harmloseren Ursachen gehört, dass seltene Sprachen beispielsweise weniger Menschen dazu reizen, sie zu erlernen – eine positive Rückkopplung, die letztendlich dazu führt, dass die Sprache in Vergessenheit gerät.

Säugetiere, Vögel und Sprachen sind vor allem in den Ländern nahe des Äquators besonders vielfältig und in Gebieten mit einem hohen Waldanteil. Die Diversität von Vögeln und Säugetieren liegt zudem in bergigen Regionen höher als im Flachland, Sprachen dagegen zeigen dieses Muster nicht. Und interessanterweise sind sie auch in Inselstaaten, deren Vogel- und Säugetierwelt meist nicht so artenreich ist, genauso reichhaltig wie auf dem Festland: So werden allein in Vanuatu, das aus 83 Inseln besteht, 110 Sprachen gesprochen.

Weder das Bruttoinlandsprodukt, das Sutherland als Maß für den Industrialisierungsgrad heranzog, noch die Zahl der Fernseher, die auf die Kommunikationsbedingungen hindeuten, ließen irgendeinen Zusammenhang mit der Sprachenvielfalt in einem Land erkennen. Und selbst der Zeitpunkt seit der ersten Besiedlung spielte nur eine geringe Rolle – während diese Zeitspanne in der Tierwelt eine entscheidende Rolle für die Artenvielfalt spielt.

Obwohl also manche Regionen übereinstimmen, in denen sowohl Tiere als auch Sprachen gefährdet sind, stimmen die ausschlaggebenden Faktoren für ein Aussterben nicht überein. Für Vögel und Säugetiere ist der Mensch, der ihre Lebensräume zerstört, die größte Bedrohung. Sie sind daher insbesondere in Gebieten mit einer hohen Besiedlungsdichte gefährdet. Den Sprachen jedoch kann eine enges Aufeinander von Menschen offenbar nichts anhaben – siehe das Beispiel Europa, das auf kleinem Raum eine erstaunliche und stabile Vielfalt von Sprachen bietet.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.