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Der Mathematische Monatskalender: James Gregory (1638–1675)

Jahrzehnte vor Newton und Leibniz nimmt er wesentliche Erkenntnisse der Differenzial- und Integralrechnung vorweg.
James Gregory (1638 – 1675)

Seine Begabung für Mathematik verdankt der schottische Mathematiker James Gregory (manchmal auch Gregorie geschrieben) wohl eher seiner Mutter als seinem Vater, der als Pfarrer im schottischen Drumoak (bei Aberdeen) wirkt. Der Bruder seiner Mutter war einer der Schüler von François Viète und nach dessen Tod der Herausgeber seiner Schriften. Die Mutter unterrichtet den Jungen in Geometrie, und dieser hat keine Probleme, die Elemente des Euklid durchzuarbeiten. Nach dem Besuch der Grammar School wechselt er an ein College in Aberdeen.

Ermutigt durch seinen 10 Jahre älteren Bruder David, beschäftigt sich James mit der Konstruktion von Teleskopen. Nach den Linsenfernrohren, wie sie Galileo Galilei (1608) und Johannes Kepler (1611) gebaut hatten, entwickelten unter anderem Bonaventura Cavalieri (1632) und Marin Mersenne (1636) – angeregt durch die Schriften von Ibn-Al-Haytham (Alhazen) – erste Teleskope, die das Prinzip der Reflexion zur Beobachtung der Planeten und des Sternenhimmels nutzten.

James Gregory ist so fasziniert von dieser Idee, dass er ein eigenes Fernrohr dieses Typs konzipiert (es wird noch heute als Gregory-Teleskop bezeichnet) und seine Erfindung in einem Buch vorstellt (Optica Promota – Fortschritt der Optik). Das Buch enthält auch die Beschreibung einer Methode, wie man einen Venus- oder Merkur-Transit dazu nutzen kann, die Entfernung der Erde von der Sonne zu bestimmen (später von Edmond Halley realisiert).

Gregory ist selbst nicht in der Lage, ein solches Beobachtungsinstrument zu bauen, da ihm die notwendigen Kenntnisse fehlen, Spiegel und Linsen zu schleifen. 1663 geht er nach London und versucht vergeblich, einen geeigneten Handwerker zu finden. Erst 10 Jahre später nimmt der praktisch begabte Universalgelehrte Robert Hooke Gregorys Idee auf und baut ein erstes Instrument nach seinen Vorgaben.

In London freundet sich Gregory mit John Collins an, einem Bibliothekar und Buchhalter, der sehr an Mathematik interessiert ist. 1664 reist er weiter nach Flandern, um Christiaan Huygens eine Kopie seines Buches zu überreichen, verpasst ihn, folgt ihm nach Paris, trifft ihn aber auch dort nicht an. Er reist weiter nach Rom und schließlich nach Padua. Dort begegnet er dem Mitglied des Jesuaten-Ordens, Stefano Degli Angeli, Schüler von Cavalieri und Evangelista Torricelli , welche die Methode der Indivisiblen weiterentwickelt hatten, um Flächen und Volumina sowie Schwerpunkte von Figuren und Körpern zu bestimmen.

Aus der fruchtbaren Zusammenarbeit entstehen zwei Publikationen Gregorys.

Das erste Werk trägt den Titel Vera circuli et hyperbolae quadratura (Wahre Quadratur von Kreisen und Hyperbeln, 1667). Zur Bestimmung des Flächeninhalts eines Kreises oder einer Hyperbel untersucht er (die Methode des Archimedes verallgemeinernd) Folgen von ein- beziehungsweise umbeschriebenen Polygonen, die sich immer stärker der betrachteten Kurve annähern und deren Flächeninhalte eine Intervallschachtelung für einen gemeinsamen Grenzwert bilden. Gregory spricht hier als Erster davon, dass die Folgen konvergieren.

Anhand der Terme solcher Folgen versucht er zu beweisen, dass die Kreiszahl \(\pi\) nicht mithilfe eines algebraischen Terms darstellbar ist, das heißt, dass man \(\pi\) nicht direkt (also ohne einen Grenzprozess) durch Anwenden der vier Grundrechenarten und durch Wurzelziehen berechnen kann. Das zweite Werk Geometriae pars universalis (Die universelle Rolle der Geometrie, 1668) enthält bereits die wichtigsten Gedanken der Differenzial- und Integralrechnung, darunter auch den Zusammenhang zwischen Tangenten- und Flächenbestimmung.

1668 kehrt Gregory nach London zurück und hofft, dort eine positive Rückmeldung von Huygens vorzufinden, dem er von Italien aus eine Kopie der Vera quadratura hat zukommen lassen. Stattdessen veröffentlicht dieser in einer Zeitschrift eine Kritik, in der er die Überlegungen hinsichtlich der Transzendenz der Kreiszahl \(\pi\) als falsch bezeichnet, tatsächliche Fehler in der Schrift aufdeckt, vor allem aber – zu Unrecht – darauf verweist, dass einige der Überlegungen von ihm abgeschrieben seien. Trotz dieser Kränkung arbeitet Gregory weiter an Problemen der Analysis und veröffentlicht die Exercitationes Geometricae (Geometrische Übungen, 1668), auch als polemische Antwort auf die Huygens'schen Vorwürfe. Das Werk enthält – ohne die Herleitung preiszugeben – Reihenentwicklungen trigonometrischer Funktionen:

\(\eqalign{\sin (x) &= \frac{1}{1!}x^1-\frac{1}{3!}x^3 + \frac{1}{5!}x^5 – \frac{1}{7!}x^7 \pm ..., \cr \cos(x) &= \frac{1}{0!}x^0-\frac{1}{2!}x^2 + \frac{1}{4!}x^4 – \frac{1}{6!}x^6 \pm ..., \cr \tan(x) & = \frac{1}{1}x^1+\frac{1}{3}x^3 + \frac{2}{15}x^5+ \frac{17}{315}x^7 + ..., \cr \arcsin(x)& =\frac{1}{1}x^1 + \frac{1}{2}\cdot\frac{1}{3} x^3 + \frac{1\cdot 3}{2\cdot 4}\cdot \frac{1}{5}x^5 + \frac{1\cdot 3 \cdot 5}{2 \cdot 4\cdot 6}\cdot\frac{1}{7}x^7 + ...}\)

Außerdem gibt er an, dass (in unserer Sprechweise) \(\ln(\sec (x) + \tan (x))\) eine Stammfunktion für \(\sec(x)\) ist, was für die Berechnung von nautischen Tabellen wichtig ist.

Noch im Sommer des Jahres wird er als Mitglied in die Royal Society aufgenommen, und dank der Unterstützung eines aus Schottland stammenden Mitglieds richtet man für ihn in St. Andrews einen Lehrstuhl ein, den Regius Chair of Mathematics.

Gregory zieht wieder in seine ferne schottische Heimat; er heiratet eine junge Witwe und hat mit ihr drei Kinder. In einem Gebäude, das an das Gelände der Universität grenzt, hält er wöchentlich zwei öffentliche Vorlesungen, allerdings nur mit geringem Zuspruch. Zu seinem Leidwesen scheint sich an der Universität kaum jemand für die Themen zu interessieren, mit denen er sich beschäftigt. Er ist auf die Korrespondenz mit John Collins angewiesen, der sich (nicht immer unparteiisch) darum bemüht, eine ähnliche Rolle wie Marin Mersenne als Wissenschaftsvermittler zu übernehmen. So informiert er Gregory über Isaac Barrows Vorlesungen über Optik, Geometrie und Mathematik. Die Ausarbeitungen dieser Vorlesungen des Inhabers des Lucasischen Lehrstuhls an der Universität Cambridge sind teilweise von Collins selbst erstellt worden, teilweise auch von Isaac Newton und anderen Studenten. In der Erkenntnis, dass sein Student wohl begabter ist als er selbst, verzichtet Barrow 1669 zugunsten von Newton auf seinen Lehrstuhl.

In einem Brief aus dem Jahr 1671 teilt Gregory Collins mit, dass er entdeckt habe, wie man den Funktionswert einer (beliebig oft differenzierbaren) Funktion in der Nähe einer Stelle \(x_0\) aus dem Funktionswert und den Werten der Ableitungen an dieser Stelle ermitteln kann – 40 Jahre vor Brook Taylor. Collins antwortet, dass Newton ebenfalls an einem solchen Satz arbeite. Nach den unangenehmen Erfahrungen mit Huygens entscheidet sich Gregory, erst die Veröffentlichung Newtons abzuwarten, bevor er seine eigenen Erkenntnisse publiziert. – Ein anderer Brief enthält seine Erkenntnis, dass sich die Kreiszahl \(\pi\) ebenfalls mithilfe einer Reihenentwicklung bestimmen lässt: \(\arctan(1)=\frac{\pi}{4}= 1-\frac{1}{3}+\frac{1}{5}-\frac{1}{7}+\frac{1}{9}\mp...\) (als Sonderfall der Reihenentwicklung \(\arctan(x)=x-\frac{1}{3}x^3+\frac{1}{5}x^5-\frac{1}{7}x^7 \pm ...\) )

1672 präsentiert Newton der Royal Society das von ihm entwickelte Spiegelteleskop, das sich im Wesentlichen nur dadurch vom Modell Gregorys unterscheidet, dass der Beobachter seitlich in das Instrument schaut. Newton behauptet, keine Kenntnisse vom Entwurf Gregorys zu haben, allerdings findet man dessen Werk in seiner Bibliothek (mit umgeknickten Ecken auf wichtigen Seiten). Gregory scheut sich immer noch, seine vielfältigen neuen Einsichten zu publizieren. Dies gilt auch für die bemerkenswerte Entdeckung, dass das Phänomen der Zerlegung des Lichts in Farben auch durch Beugung entstehen kann – von ihm selbst beobachtet, als er eine Vogelfeder in einen Sonnenstrahl hält.

Zu Beginn der 1670er Jahre intensiviert Gregory seine astronomischen Beobachtungen; durch Messungen während einer Mondfinsternis kann er den Längengrad seines Beobachtungsorts St. Andrews exakt bestimmen. Hinsichtlich der Einrichtung eines Observatoriums wird er von der Universität nur im geringem Maße unterstützt. So wechselt er 1674 an die Universität von Edinburgh, wo er ein Jahr später im Kreise seiner Studenten während der Beobachtung der Jupitermonde einen Schlaganfall erleidet und wenige Tage später – er ist noch nicht 37 Jahre alt – stirbt.

Erst durch die zum Teil erst Jahrhunderte später erfolgte Auswertung seiner Manuskripte wurde deutlich, mit wie vielen Themen sich dieser Mathematiker beschäftigt hatte. Und wie bei anderen Wissenschaftlern dieser Zeit mussten einige Entdeckungen mehrfach erfolgen, bevor sie zum Wissen der Allgemeinheit wurden.

James Gregory (1638 – 1675)

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