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Der Mathematische Monatskalender: Pierre Simon Laplace (1749–1827): Der Lehrer Napoleons

Er überlebt die Wirren der Französischen Revolution, erweitert die Bewegungsgleichungen der Gestirne und führt einen bis heute gebräuchlichen Wahrscheinlichkeitsbegriff ein.

Das Porträt zeigt einen vornehm gekleideten Mann, Träger des Großkreuzes der Ehrenlegion – dargestellt ist der Marquis Pierre Simon de Laplace, Mitglied der oberen Kammer des Französischen Parlaments.

Als Sohn eines Landwirts und Cidre-Produzenten in Beaumont-en-Auge (Normandie) geboren, besucht er zunächst die örtliche Schule des Benediktiner-Ordens, danach das Jesuiten-Kolleg in Caen, mit dem für Kinder des Dritten Standes typischen Ziel, eine Laufbahn im Dienst der Kirche einzuschlagen. Seine Lehrer erkennen jedoch seine mathematische Begabung; 1768 geht Laplace ohne schulischen Abschluss nach Paris – ausgestattet mit einem Empfehlungsschreiben an Jean-Baptiste Le Rond d’Alembert (1717 – 1783), dem einflussreichsten Mitglied der »Académie des Sciences.«

Zwar beachtet d’Alembert das Empfehlungsschreiben zunächst nicht, aber Laplace überzeugt ihn durch sein selbstbewusstes, fachkompetentes Auftreten. d’Alembert unterstützt und fördert den talentierten Studenten, der bald mit Veröffentlichungen über Extremwertprobleme, Differenzengleichungen, Wahrscheinlichkeitstheorie und Astronomie auf sich aufmerksam macht. Mit 22 Jahren stellt Laplace einen ersten Antrag, als Mitglied in die »Académie «aufgenommen zu werden. Nach der Ablehnung vermittelt d’Alembert ihm eine Stelle als Mathematiklehrer an der Pariser Militärakademie. Als die Bewerbung im darauf folgenden Jahr erneut scheitert, fragt d’Alembert bei Joseph-Louis Lagrange an, dem Nachfolger Leonhard Eulers als Direktor der mathematischen Klasse der Preußischen Akademie der Wissenschaften, ob eine Stelle in Berlin frei sei. Bevor dort jedoch eine Entscheidung gefallen ist, erhält Laplace eine feste Anstellung als stellvertretendes Mitglied der Pariser Akademie.

In den Jahren bis zur französischen Revolution entwickelt sich Laplace zu einem der einflussreichsten Wissenschaftler Frankreichs. Sein Mentor d’Alembert spürt zunehmend, dass sein eigenes Lebenswerk an Bedeutung verliert. Gegenüber anderen tritt Laplace wenig bescheiden auf; er dominiert die Diskussionen in der Akademie; zu allen Themen – auch zu nicht-mathematischen – bezieht er Stellung.

1784 wird er zum Prüfer der Militärakademie ernannt; geschickt nutzt er diese Funktion, um Kontakte zu Regierungskreisen zu knüpfen (die Offiziersanwärter stammen in der Regel aus Familien des Adels). Zu seinen Prüflingen gehört 1785 auch der 16-jährige Napoléon Bonaparte.

1790 wird er Mitglied der Kommission, welche die Aufgabe hat, Maßeinheiten zu standardisieren und hierbei die Dezimaleinheiten einzuführen. 1793 flieht er mit seiner 20 Jahre jüngeren Frau und seinen beiden Kindern aus Paris und entgeht so dem Schicksal seines Kollegen Lavoisier, der Opfer der Guillotine wird. Nach dem Ende der Schreckensherrschaft der Jakobiner kehrt er zurück und übernimmt die Leitung des Bureau des Longitudes und des Pariser Observatoriums; die »Académie des Sciences« wird als »Institut National des Sciences et des Arts« wiedereröffnet.

Zusammen mit dem Chemiker Claude-Louis Berthollet (1748 – 1822) versammelt er ab 1806 in seinem neuen Wohnort Arcueil (nahe Paris) mit der »Société d’Arcueil« eine Runde von Forschern, zu denen unter anderem auch Alexander von Humboldt gehört. Laplace und Berthollet kontrollieren zur Zeit der Herrschaft Napoléons – dank ihrer Nähe zum Herrscher – den Wissenschaftsbetrieb in Frankreich.

Einer der Schwerpunkte der Laplaceschen Forschungen liegt in der Anwendung der Mathematik in astronomischen Fragen. Beobachtungen der Laufbahnen von Jupiter und Saturn deuten auf eine Destabilisierung des Sonnensystems hin. Isaac Newton (1643 – 1727) ging sogar noch davon aus, dass das Planetensystem nur durch einen regelmäßigen göttlichen Eingriff stabil bleiben kann. 1776 entdeckt Laplace, dass die von Euler und Lagrange aufgestellten Bewegungsgleichungen für die Planetenbewegungen nicht genügend präzise sind und die in der Rechnung vernachlässigten Terme im Laufe der Jahre große Auswirkungen zeigen. Er beweist, dass sich das Sonnensystem auf lange Sicht im Gleichgewicht befindet.

1796 erscheint eine allgemein gehaltene Schrift, die »Exposition du système du monde«, die unter anderem eine Hypothese über die Entstehung des Sonnensystems enthält: Gasnebel haben sich von der heißen Sonne gelöst und zu den Planeten verdichtet. Ähnliche Ideen formulierte bereits Immanuel Kant (1724 – 1804) im Jahr 1755.

Nach einer intensiven Beschäftigung mit verschiedenen Teilproblemen der Astronomie stellt Laplace schließlich seine Forschungsergebnisse in einem umfangreichen Werk zusammen: Von 1799 an veröffentlicht er die fünf Bände der »Mécanique Céleste,« in der – wie der Physiker Jean-Baptiste Biot (1774 – 1862) feststellt – »Newtons ›Principia‹ in die Sprache der Analysis übersetzt« wird.

Als Napoléon auffällt, dass Gott in der »Mécanique Céleste «nicht erwähnt wird, soll Laplace ihm geantwortet haben: »»Sire, je n’avais pas besoin de cette hypothèse.« (Majestät, ich benötigte diese Annahme nicht.)«

Laplace sind auch große Fortschritte in der Entwicklung der Wahrscheinlichkeitsrechnung zu verdanken. In dem allgemein gehaltenen »Essai philosophique sur les probabilités« (1814) und in der »Théorie analytique des probabilités« (1812) übernimmt er die heute als »klassisch« bezeichnete Definition der Wahrscheinlichkeit von Abraham de Moivre, einem nach England emigrierten Franzosen (Doctrine of chances, 1738):

Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses =
Anzahl der günstigen Fälle : Anzahl der möglichen Fälle

Dieser Ansatz der »Gleichwahrscheinlichkeit« erscheint ihm gerechtfertigt, »sofern uns nichts veranlasst zu glauben, dass einer der Fälle leichter eintreten muss als die anderen«. Das Lehrbuch beschäftigt sich intensiv mit der Untersuchung von Glücksspielen, aber auch mit abhängigen und unabhängigen Ereignissen (hier würdigt er die Überlegungen von Thomas Bayes (1702 – 1761) zu bedingten Wahrscheinlichkeiten), mit Sterbestatistiken, mit geometrischen Wahrscheinlichkeiten, mit dem Bernoullischen Gesetz der Großen Zahlen, mit Spezialfällen des Zentralen Grenzwertsatzes (Sätze von Moivre-Laplace) und der Methode der kleinsten Quadrate.

Für Laplace existieren Wahrscheinlichkeitsprobleme nur deshalb, weil wir nicht alles wissen. Er ist der Überzeugung, dass eine »Intelligenz«, die in einem bestimmten Augenblick alle Kräfte und alle Teilchen überschauen könnte und die Methoden der Analysis beherrscht, alle Bewegungen erfassen kann: »Nichts wäre für sie ungewiss, und sowohl die Zukunft als auch die Vergangenheit würde klar vor ihren Augen liegen.« Dieser Grundgedanke des mechanischen Determinismus wird in der Philosophiegeschichte auch als »Laplacescher Dämon« bezeichnet.

Zweifelsohne gehört Laplace zu den bedeutendsten Mathematikern aller Zeiten; insbesondere seine Beiträge zur Wahrscheinlichkeitsrechnung und zur Himmelsmechanik werden Jahrzehnte lang unverändert gelehrt. Zu erwähnen sind aber auch seine Abhandlungen zur Determinantenrechnung (Laplacescher Entwicklungssatz), zur Theorie der Differentialgleichungen (Laplace-Transformation) sowie zur theoretischen Physik (Laplace-Gleichung). Ein Teil seiner Genialität macht die Fähigkeit aus, brauchbare Ansätze für die Weiterentwicklung in den Schriften anderer zu erkennen – problematisch erscheint dabei jedoch sein Umgang mit diesen Quellen: Oft übernimmt er Ideen, ohne auf deren Urheber hinzuweisen.

Im Laufe seines Lebens wechselt Laplace mehrfach seine politische Einstellung; wegen seines opportunistischen Verhaltens verliert er zunehmend an Ansehen. Nach aktiver Unterstützung der republikanischen Regierung wird er zum Anhänger des Konsul Napoléon – dieser ernennt ihn (für sechs Wochen) zum Innenminister, dann zum Mitglied des Senats, später sogar zu dessen Vizepräsident (was mit hohen Einkünften verbunden ist). Der Kaiser Napoléon verleiht ihm den Titel eines Grafen (»Comte«). Als der Stern Napoléons zu sinken beginnt, wird er zum Anhänger der Bourbonen, die ihm mit den Ernennungen zum Marquis und zum Pair de Paris danken. Im Unterschied zu anderen berühmten französischen Gelehrten, wie beispielsweise Lagrange, wird er nicht im Panthéon, der nationalen Ruhmeshalle in Paris, beigesetzt.

Pierre Simon Laplace (1749 – 1827)

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