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Doping: Dem Wundermittel auf den Fersen

Mit dem Ausdauerpräparat Erythropoietin (EPO) konnten Betrüger lange gefahrlos dopen; die Substanz ist in der Praxis noch immer kaum nachzuweisen. Nun hoffen Wissenschaftler auf ein neues Erkennungsverfahren. Doch wie gut ist es wirklich?
Radrennfahrer

1989 war das Jahr, in dem die Weltrekorde zu purzeln begannen. Die Durchschnittszeiten in manchen Laufdisziplinen sank in den folgenden zehn Jahren schneller als im ganzen Jahrhundert zuvor. Gleichzeitig eroberte eine neue Substanz den amerikanischen Pharmamarkt, und bald auch den weltweiten Profisport: Erythropoietin, kurz EPO. Zufall? Das Peptidhormon, das die Produktion roter Blutkörperchen anregt, erfreute sich immer größerer Beliebtheit – vor allem unter Ausdauersportlern wie Radfahrern oder Leichtathleten, weil es die Sauerstoffaufnahme des Bluts erhöht.

Bis zum Jahr 2000 konnten Analyseverfahren den Missbrauch von EPO nicht nachweisen. Zumindest nicht direkt, Wissenschaftler und Sportverbände mussten ihre Hoffnung in indirekte Nachweise setzen. Dabei messen die Forscher regelmäßig ausgewählte Blutparameter wie etwa den Hämoglobinspiegel oder den Hämatokrit, also den Anteil der roten Blutkörperchen am Volumen des Bluts. Übersteigen diese bei einem Sportler einen Bereich, der realistischerweise bei natürlichen Schwankungen der Werte zu erwarten ist, gilt als erwiesen, dass mit Dopingmitteln nachgeholfen wurde. Der bekannteste indirekte Nachweis hierzulande traf die Eisschnellläuferin Claudia Pechstein, bei der 2009 ein um 1,1 Prozent zu hoher Retikulozytenanteil festgestellt wurde – Retikulozyten sind junge rote Blutkörperchen. Pechstein streitet bis heute gerichtlich um ihre Unschuld.

Radrennfahrer | Der Radsport (Symbolbild) gilt als latent dopingverseucht. Vor allem Mittel zur Steigerung der Ausdauer sind begehrt.

Ab dem Jahr 2000 konnte man EPO schließlich direkt nachweisen. Es gab also Tests, welche die Substanz in einer Urinprobe zu identifizieren vermochten – angeblich. Zwischen 2004 und 2012 führte die Nationale Anti Doping Agentur (NADA) 101 254 Dopingkontrollen in Deutschland durch. 630 waren positiv, ganze vier davon auf EPO. Vier positive Tests: eine erschreckend niedrige Zahl in Anbetracht der Aussagen überführter Athleten, denen zufolge das Präparat unter tausenden Sportlern zum abendlichen Alltag gehört wie das Zähneputzen. Konnte man die Substanz nun also wirklich nachweisen?

Fragwürdige Schwellenwerte

Dass EPO-Sünder so schwer zu entlarven sind, ist einer intelligenten Verabreichungsart geschuldet – der Mikrodosierung. In sehr geringen Mengen verabreicht, üblich ist etwa ein Fünftel der Normaldosis, ist die Substanz direkt kaum nachzuweisen. Und auch der indirekte Beleg ist dann kaum mehr möglich – denn die Doper tasten sich in winzigen Schritten gezielt an die gefährliche Schwelle heran. Der Grenzwert ist für jeden Blutparameter genau festgelegt. So darf etwa der Hämatokrit bei Radsportlern maximal bei 50 Prozent liegen. Die roten Blutkörperchen dürfen also höchstens 50 Prozent am Volumen des Bluts ausmachen. Natürlicherweise schwankt der Hämatokrit zwischen 42 und 50 Prozent. Ein Wert über dieser Grenze gilt als Indiz für Doping. "Bei der Mikrodosierung aber erhöhen die Athleten ihren Hämatokrit mit Hilfe von EPO Stück für Stück, ohne den Grenzwert zu überschreiten", sagt Horst Pagel vom Institut für Physiologie der Universität Lübeck.

Der indirekte Nachweis ist also nur mit großer Sorgfalt belastbar. Um das Problem zu umgehen, hat der Weltradsportverband UCI als Reaktion auf den Skandal um den spanischen Dopingarzt Eufemiano Fuentes 2008 den so genannten Blutpass eingeführt. Im individuellen elektronischen Dokument sind seither die medizinischen Daten eines jeden Radprofis aufgeführt. Ungewöhnliche Variationen hämatologischer Werte seien so zu entlarven, sie würden sich von den normalen biologischen Schwankungen erkennbar abheben.

Womöglich ist der Aufwand aber umsonst. So hatte der Mitentwickler des Systems, der australische Dopingjäger Michael Ashenden vom SIAB Research Consortium in Queensland, bereits 2011 in einer Studie eingestanden, dass der Blutpass mikrodosiertes EPO gar nicht enttarnt. In der Studie steigerten die Wissenschaftler die Hämoglobinmasse von zehn Testpersonen jeweils um zehn Prozent, indem sie ihnen über eine Dauer von zwölf Wochen zwei Mal wöchentlich intravenöse Injektionen mit mikrodosiertem EPO verabreichten. Das entspricht zwei Beuteln reinfusionierten Bluts. Die Passsoftware verdächtigte jedoch keinen der Probanden des Dopings – der Kampf gegen das Peptidhormon begann wieder bei Null. Ein Desaster. Denn: "Wir gehen davon aus, dass Profisportler in westlichen Industrienationen sich nur auf diese Weise mit EPO dopen. Eine nicht mikrodosierte Einnahmeweise finden wir vielleicht noch ab und zu in Afrika, wenn wir Glück haben", erklärt Sportmediziner Perikles Simon von der Universität Mainz. Indirekte Nachweise erscheinen somit illusorisch – mit oder ohne Blutpass. Gibt es also keine Hoffnung im Kampf gegen das Wundermittel der Sport-Betrüger? Vielleicht doch.

2012 entwickelten schwedische Forscher um Maria Lonnberg ein neues Analyseverfahren, den so genannten MAIIA-Test. Ursprünglich sollte dieser eine einfachere und schnellere Alternative zu bestehenden Verfahren darstellen, mit denen körpereigenes von gentechnischem EPO zu unterscheiden sind. Doch rasch erkannten Wissenschaftler den wohl weitaus größeren Vorteil der Technik. Sie basiert auf einer simplen Idee: Es gibt zahlreiche verschiedenartige Formen des EPO-Moleküls. Sie unterscheiden sich vor allem in ihrem Glykosylierungsgrad, also in der Zahl der Zuckerseitenketten, die an das Molekül binden. In der zu untersuchenden Probe trennen die Forscher die unterschiedlich glykosylierten Moleküle mit Hilfe eines Teststreifens. An diesen sind bestimmte Proteine gebunden, so genannte Lektine, die mit den verschiedenen Zuckerketten des EPO-Moleküls unterschiedlich stark interagieren. So lässt sich klar erkennen, wie viel die Probe von welcher EPO-Art enthält. Also kann eigenes von Fremd-EPO unterschieden werden.

Der MAIIA-Test deckt auch kleinste Konzentrationen von fremdem EPO mit großer Sicherheit auf, wie ein Team um Dopingjäger Ashenden und Jakob Morkeberg vom Muscle Research Centre in Kopenhagen kürzlich herausfanden. Mit ihrem Analyseverfahren würden Dopingbetrüger, die sich Mikrodosierungen von EPO verabreichen mit großer Sicherheit aufgedeckt – allerdings nur bis zu zwölf Stunden nach Einnahme. Ein Zeitfenster, das längst nicht groß genug ist, um im Kampf gegen den Betrug weiterzuhelfen. Denn die Studie von Morkeberg und Ashenden offenbarte auch: Nach Angaben überführter Doper verabreicht man Mikrodosen EPO stets am späten Abend, also außerhalb des Fensters, in denen gewöhnlich Dopingtests stattfinden. So müsste man schon nachts bei den Sportlern auf der Matte stehen, um sie zu überführen.

5000-Meter-Lauf und EPO | Entwicklung der Durchschnittszeit der besten 20 Athleten beim 5 000-Meter-Lauf der Männer von 1985 bis 2010. 1989 eroberte EPO den amerikanischen Markt. Im Jahr 2000 gab es den ersten direkten Nachweis für die Dopingsubstanz. Seither schwanken die Zeiten im 2-Jahres-Rhythmus um den Durchschnittswert herum.

Ein weiteres Problem ist die Einnahmefrequenz. "Sie hängt vom jeweiligen Präparat ab. Das klassische EPO verabreicht man dreimal pro Woche. Es gibt aber auch Präparate, die Sportler nur einmal in der Woche nehmen müssen. Und die Verabreichungsfrequenz ändert sich durch die Mikrodosierung nicht", erklärt Horst Pagel. Somit ließen sich Dopingsünder schon allein deshalb kaum überführen, weil sie sich die Substanz bei weitem nicht alle zwölf Stunden zuführen. Bevor das Testverfahren also von der Welt-Antidoping-Agentur (WADA) als hilfreiche Alternative akkreditiert werden kann, gibt es für die Wissenschaftler noch viel zu tun. So bräuchten sie eine weitaus größere Spanne, in der Dopingsünder überführt würden.

Juristische Hürden

Darüber hinaus stehen noch juristische Hürden im Raum. "Den Dopingkontrolllaboratorien ist bisher kein EPO-Präparat aufgefallen, das wir mit den momentan akkreditierten Tests nicht grundsätzlich erfassen könnten", gibt Mario Thevis vom Zentrum für präventive Dopingforschung an der Deutschen Sporthochschule Köln zu bedenken. Doch kennen Wissenschaftler weltweit bis zu 160 verschiedene EPO-Präparate. "Und Sportler kennen sie auch. Sie mischen dann etwa ein Präparat aus Vietnam mit einem aus Brasilien und einem aus Haiti", sagt Horst Pagel. Jedes dieser Präparate hinterlässt in der Analyse wiederum ein bestimmtes Muster. "Wenn wir nun eine Probe haben, in der ganz viele verschiedene Muster auftauchen, weil verschiedene EPO-Arten vermischt wurden, können wir den Beweis vor Gericht häufig nicht verwenden, weil wir bestimmte gentechnische EPO-Formen dann nicht hundertprozentig nachweisen können. Das für sie typische Muster ist dann überdeckt", so Pagel.

Trotz des weiten Wegs ist das Verfahren zumindest ein Lichtblick am Horizont der Dopingjäger. "Ich selbst war auch überrascht. Es ist der erste Test, der Mikrodosierungen von EPO relativ sicher erkennt, wenn auch in einem bisher zu kurzen Zeitfenster", sagt Perikles Simon. Wie wichtig ein solcher Lichtblick ist, zeigt derweil eine ganz andere Statistik, auf die der Mainzer Sportmediziner verweist: Als EPO den amerikanischen Markt überflutete, betrug die Durchschnittszeit der besten 20 Athleten beim 5000-Meter-Lauf der Männer 13 Minuten und 15 Sekunden. Binnen zehn Jahren hat sich diese um annähernd 17 Sekunden verbessert. Ein ungewöhnlich schneller Leistungsanstieg. Dann, im Jahr 2000, setzten Verbände in ihren Kontrollen die ersten direkten Nachweisverfahren ein. Prompt verlangsamte sich die Durchschnittszeit innerhalb von zwei Jahren wieder um vier Sekunden – bis Betrüger unter den Athleten offenbar auch diese Tests zu umgehen wussten und erneut die Bestzeit auf 12 Minuten und 55 Sekunden drückten. "Eine solche klare Korrelation lässt sich bis zum Beweis des Gegenteils nur mit Doping erklären. Statistisch lässt sich belegen, dass das offensichtlich keine natürlichen oder zufälligen Leistungsschwankungen sind. Erschreckend, dass Sportler sich wie nach der Uhr gestellt im 2-Jahres-Rhythmus auf neue Testverfahren einstellen", sagt Simon. Und wenn sich Mikrodosierungen in Wettkämpfen zukünftig sicher nachweisen ließen? "Vielleicht haben wir dann Glück und besiegen die Substanz endlich. Vielleicht gibt es aber auch wieder nur eine kleine Delle in den Bestzeiten und die Athleten sind nach zwei Jahren wieder schneller denn je."

Was also bleibt übrig? Indirekte Nachweismethoden werden von den Sportlern durch die Mikrodosierung umgangen; auch der Blutpass schafft da keine Abhilfe. Direkte Nachweise erscheinen angesichts der katastrophalen NADA-Quote von vier positiven Tests in neun Jahren auch als nichts weiter als stumpfe Messer. Der MAIIA-Test könnte die langersehnte Lösung sein. Doch wer weiß schon, ob sich die Zeiten zwei Jahre nach Akkreditierung nicht wieder wie von Wunderhand verbessern? Dann müsste die Forscherhand mal wieder eine neue Waffe für den Antidopingkampf schmieden.

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  • Quellen
Ashenden, M. et al.: Current markers of the Athlete Blood Passport do not flag microdose EPO doping. In: Eur J Appl Physiol 111, S. 2307, 2011
Ashenden, M. et al.: Evaluation of the MAIIA dipstick test to detect recombinant human erythropoietin in plasma. In: J Pharm Biomed Anal 67, S. 123, 2012
Morkeberg, J. et al.: Detection of microdoses of rhEPO with the MAIIA test. In: Scand J Med Sci Sports 10.1111/sms.12049, 2013

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