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E-Reading: Die Vorzüge des Blätterns

E-Reader und Tablets erfreuen sich immer größerer Beliebtheit. Dadurch verändern sich auch unsere Lesegewohnheiten. Allerdings bietet das Lesen auf Papier nach wie vor einzigartige Vorteile.
Klare Struktur eines geöffneten Buches

Eines der Videos, die sich in den vergangenen Jahren am rasantesten auf Youtube verbreitet haben, beginnt vergleichsweise banal: Ein einjähriges Mädchen spielt mit einem iPad, wischt mit seinen kleinen Fingern über den Touchscreen und verschiebt Icons. In der nächs­ten Szene sieht man, wie es auf gleiche Weise versucht, die Seiten in einer Zeitschrift anzustupsen, ganz so, als hätte es noch immer einen Bildschirm vor sich. Höchst irritiert stellt es fest, dass diese Strategie nicht funktioniert.

Für den Vater des Mädchens ist das Video ("A Magazine Is an iPad That Does Not Work") der Beweis für einen Generationenwechsel. In seinem Kommentar zum Video schreibt er, dass Papiermagazine für Digital Natives – also für Menschen, die mit digitaler Technik wie Smartphones und Tablet-PCs aufwachsen – mittler­weile nutzlos und unverständlich seien.

Aber nicht nur für die Jüngsten unter uns wird Technologie immer selbstverständlicher. Viele Menschen arbeiten jeden Tag stundenlang am Bildschirm und greifen in ihrer Freizeit lieber zum E-Reader als zum Buch aus Papier. Inwiefern wird die Technik auch die Art und Weise verändern, wie wir lesen? Und verarbeitet unser Gehirn Texte auf dem Bildschirm anders als solche, die auf Papier gedruckt sind?

Um das zu beantworten, muss man zunächst wissen, wie das Gehirn Sprache ganz allgemein interpretiert. Wir betrachten Lesen oft als etwas Abstraktes. Tatsächlich werden Texte in unserem Kopf jedoch wie tastbare Objekte unserer physi­schen Welt behandelt. Wir kommen demgemäß auch nicht mit speziell für das Lesen eingerich­teten neuronalen Schaltkreisen zur Welt, wie die Hirnforscherin Maryanne Wolf von der Bostoner Tufts University erklärt. Schließlich wurde die Schrift erst relativ spät im Verlauf unserer Evolutionsgeschichte erfunden, ungefähr im 4. Jahrtausend v. Chr. Beim Lesen improvisiert unser Gehirn daher, indem es unterschiedliche Areale miteinander verbindet, die eigentlich für Fähigkeiten wie gesprochene Sprache, Motorik oder Sehen verantwortlich sind.

Einige dieser Hirnregionen, in denen der ­Prozess des Lesens abläuft, sind für die Objekt­erkennung zuständig. Sie ermöglichen es uns beispielsweise, einen Apfel augenblicklich von einer Orange zu unterscheiden, beide aber dennoch als Obst zu klassifizieren. Und so, wie wir lernen, dass bestimmte Merkmale wie eine runde Form, ein dünner Stängel und eine glatte Schale einen Apfel charakterisieren, so lernen wir auch, jeden Buchstaben anhand seiner spezifischen Anordnung von geraden Linien, Bögen und leeren Flächen zu erkennen.

Beim Lesen komplexer Piktogramm-Schriftzeichen, wie sie etwa in China oder Japan verwendet werden, aktiviert das Gehirn auch motorische Areale, die beim Schreiben dieser Schriftzeichen beteiligt sind. Forscher haben kürzlich festgestellt, dass das auch bei kursiv gesetzter Schrift passiert – wenngleich in einer weniger ausgeprägten Form. Das liegt möglicherweise daran, dass die vorwärtsgerichtete Neigung die Schrift dynamischer erscheinen lässt.

Ganze Werke interpretiert das Gehirn wie eine Art Landschaft ...

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  • Quellen

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