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Energie: Kernfusion - Meilenstein des Niedergangs

Die wichtigste Konkurrenz zum europäischen Fusionsreaktor ITER wollte die Kernfusion mit Lasern erzwingen. Daraus wird erst einmal nichts, kommentiert Lars Fischer.
Lars Fischer

Einen weiteren wichtigen Meilenstein auf dem Weg zur Fusionsenergie habe man erreicht, verkündet das Lawrence Livermore National Laboratory anlässlich einer Veröffentlichung in "Nature". Endlich habe die Kernfusion mehr Energie abgegeben, als das Forscherteam mit dem synchronen Beschuss aus den 192 Lasern der National Ignition Facility (NIF) in das mikrogrammschwere Hohlkügelchen aus Deuterium und Tritium hineingesteckt hat.

Aber tatsächlich ist das neue Ergebnis eine Wegmarke des Niedergangs der Trägheitseinschlussfusion, die noch vor nicht allzu langer Zeit als ernst zu nehmende Alternative zu den in Magnetfeldern eingeschlossenen Plasmen des Versuchsreaktors ITER und seiner Vorgänger galt. Je länger die Experimente an der NIF dauern, desto weniger aussichtsreich erscheinen sie. Auch die aktuelle Erfolgsmeldung hat, wie eigentlich alle in den letzten Jahren, kaum noch etwas mit den ursprünglichen Zielen zu tun.

Die US-Fusionsforscher möchten ihr Ergebnis als weiteren Schritt in Richtung einer Zukunft mit unbegrenzter Energie aus der Trägheitseinschlussfusion verstanden wissen. Doch als die National Ignition Facility im Jahr 2012 startete, hieß das Ziel ganz klar: Zündung! Das heißt, Druck und Temperatur im Innern des Wasserstoffpellets sollten so heiß werden, dass sich die Fusionsreaktion durch den gesamten Brennstoff fortsetzt.

Das aber ist auch jetzt wieder nicht gelungen, obwohl es eigentlich schon im Oktober 2012 so weit sein sollte. Doch stattdessen dümpelte das Fusionsprojekt von einer unvorhergesehenen Schwierigkeit zur nächsten und sprengte vorgegebene Zeit- und Finanzrahmen. Schlimmer noch: Die Simulationen, wie sich das Fusionsexperiment beim Schuss verhalten sollte, scheinen bis heute wenig mit der Realität zu tun zu haben. Die NIF-Forscher verstehen auch nach jahrelanger Arbeit das eigene Experiment nicht gut genug.

Kritiker halten dem Team seit Jahren vor, zu naiv an die Experimente herangegangen zu sein – ein Standpunkt, auf den sich auch das National Research Council (NRC), das ausführende Organ der Nationalen Wissenschaftsakademien der USA, in einem Gutachten von Anfang 2013 stellte. Tatsächlich war das Experiment so konzipiert, ein paar einfache Parameter zu variieren, bis die ersehnte Zündung einsetzte – statt systematisch zu erforschen, was in dem Goldhohlraum mit dem Fusionsbrennstoff tatsächlich passiert, wenn die Laser schießen. Und das rächt sich nun.

In der neuen Veröffentlichung berichten Omar Hurricane und seine Kollegen nun, sie hätten mit der Kernfusion mehr Energie erzeugt, als sie in den Brennstoff hineinpumpen – zumindest wenn man die Verluste in Lasern, Hohlraum und Brennstoffummantelung ignoriert. Wenn man allein die Energie betrachtet, die schlussendlich den Brennstoff erreicht, dann hat die Fusionsreaktion tatsächlich das Doppelte davon produziert.

Nur, mit der NIF hat man damals eine Maschine gebaut, bei der man davon ausging, lediglich ein paar Stellschrauben drehen zu müssen, um eine selbsterhaltende Fusionsreaktion zu zünden. Und das ist grandios fehlgeschlagen. Das bedeutet, man muss jetzt zurück auf Anfang und den Trägheitseinschluss noch einmal weitaus genauer erforschen und modellieren, bevor man – vielleicht – einen neuen Versuch wagen kann, tatsächlich die Zündung zu erreichen. Und das wird man nicht schaffen, indem man weiter mit einer Maschine herumwurstelt, die dafür nicht geeignet ist.

Bis Anfang 2016 solle die NIF noch Zeit bekommen, die Fusionsexperimente grundlegend neu zu konzipieren, schrieb der NRC vor einem Jahr. Es erscheint zunehmend unwahrscheinlich, dass bis dahin echte Durchbrüche gelingen – und noch unwahrscheinlicher, dass der amerikanische Steuerzahler das Experiment, das bisher schon weit über fünf Milliarden Dollar verschlungen hat, über diesen Zeitraum hinaus finanziert.

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