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Entscheidungsforschung: Was uns Onlineratings tatsächlich verraten

Finger der eine positive Bewertung abgibt, indem er auf den grünen lachenden Smiley tippt

Im Internet können viele gesammelte Meinungen ein durch schiere Masse verlässliches Gesamtbild malen. Allerdings kann dieses schon ganz zu Beginn dadurch verfälscht werden, dass Menschen psychologischen Prozessen sozialer Anpassung unterliegen, so ein Team von Forschern um Lev Muchnik von der Hebrew University of Jerusalem. Das Wissen darum, so die Wissenschaftler, könne helfen, Systeme kollektiver Intelligenz besser zu nutzen.

Werden mehrere Urteile zusammengetragen, sind sie in ihrer Gesamtheit verlässlicher als das Urteil eines Einzelnen, weil insgesamt mehr Information einfließt. Das Internet macht dieses Prinzip – Grundlage der Idee der kollektiven Intelligenz – in ganz neuen Ausmaßen nutzbar: Wenn weltweit Hunderte von Menschen per Mausklick die Qualität eines Produkts einschätzen, sollten alle Mausklicks zusammengenommen recht genau widerspiegeln, ob das Produkt tatsächlich gut ist. So ließe sich beispielsweise anhand der Punkte oder Sternchen neben den Filmen auf der InternetMovieDataBase, den Mitfahrern bei mitfahrgelegenheit.de oder den Büchern bei Amazon abschätzen, ob sich das jeweilige Produkt wirklich lohnt.

Wie das Ergebnis in der Praxis jedoch verfälscht werden kann, lesen nun Wissenschaftler aus einem online gesammelten Datensatz. Sie hatten eine Internetseite analysiert, auf der Nutzer Artikel zu verschiedenen Themen kommentieren und vor allem auch Kommentare anderer bewerten können. 101 281 dieser Kommentare erhielten von den Wissenschaftlern, zufällig verteilt, entweder eine positive, eine negative oder eine neutrale Bewertung. Dieser erste, rein zufällige Klick hatte enormen Einfluss: Fiel die Bewertung positiv aus, dann erhielt der Kommentar mit höherer Wahrscheinlichkeit weitere positive Bewertungen. Fiel sie negativ aus, so folgten Bewertungen in beide Richtungen. Nach fünf Monaten und knapp 300 000 Folgebewertungen hatten anfänglich positiv bewertete Kommentare noch immer einen Mittelwert, der um 25 Prozent positiver ausfiel als bei anfänglich neutral bewerteten Kommentaren.

Schlechte Ratings wurden infolgedessen eher korrigiert, gute eher als "gut" stehen gelassen. Dahinter versteckt sich sowohl die Tendenz eher positiv zu bewerten, als auch die, sich der bestehenden Meinung anzupassen, zeigten weitere Analysen des Datensatzes. Menschen unterliegen sozialen Einflüssen und orientieren sich an den Urteilen anderer, wenn sie eine Entscheidung treffen. Da auch in Systemen kollektiver Intelligenz soziale Informationen, zum Beispiel in Form vorangegangener Ratings, vorliegen, kommt es zu Verfälschungen und Herdeneffekten. Die Onlineauswertung bot den Forschern die Möglichkeit, diese Vermutung anhand eines großen und kontrollierbaren Datensatzes zu bestätigen.

Um fehlerfrei interpretieren zu können, was infolge der Akkumulation vieler verschiedener Einzelmeinungen entstehe, müsse aber unbedingt genauer erforscht werden, auf welche Weise soziale Einflüsse die Urteilsbildung eines Kollektivs beeinflussten, so Muchnik und Kollegen. Wahlumfragen, Vorhersagen von Aktienkursen und Produktempfehlungen funktionierten nach dem gleichen Prinzip wie Onlineratings und seien damit anfällig für Verzerrungen.

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