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Erdbeben: Warten auf den nächsten Knall

Zwei Mal Indonesien, Chile und jetzt Japan: Vier schwere Beben erschütterten die Erde seit 2004. Ist das nur ein statistischer Zufall – oder besteht ein Zusammenhang?
Tsunamihöhen
Sumatra am zweiten Weihnachtstag 2004, Sumatra zum Osterfest 2005, Chile im Februar 2011, Japan im März 2011 – in den letzten Jahren erschütterten vier Megabeben mit einer Stärke von 8,5 und mehr die Erde. Eine auffällige Ballung, die so ähnlich auch schon einmal vor 50 Jahren auftrat: 1952 erzitterte der Planet derart stark in Kamtschatka, 1960 vor Chile und 1964 in Alaska. Alle sieben Extrembeben seit 1900 liegen also zeitlich relativ eng zusammen. Alles nur ein Zufall? Oder bedingen Megabeben tatsächlich einander, selbst wenn sie Tausende von Kilometern entfernt voneinander stattfinden?

Geologen wie Charles Bufe und David Perkins vom US Geological Survey (USGS) sehen in dieser Häufung durchaus einen Vorboten für tektonisch unruhigere Zeiten: "Das Risiko für diese sehr starken Erdbeben ist gestiegen", warnte Bufe kürzlich während der Jahrestagung der Seismological Society of America in Memphis. Die Wahrscheinlichkeit, dass in den nächsten sechs Jahren ein weiteres Beben der Stärke 9 oder höher stattfindet, liegt seiner Meinung nach bei 63 Prozent.

Nachbeben | Seit dem Tohoku-Beben vom 11. März erschütterten Dutzende kleinere und größere Nachbeben die Region. Manche davon erreichten noch Stärken von 6 und 7, was noch relativ heftig ist. In den nächsten Wochen und Monaten nimmt die Intensität dieser Erschütterungen jedoch stetig ab.
Doch mit dieser Meinung stehen die beiden Geologen eher allein. Viele Kollegen verweisen auf die insgesamt doch eher geringe Zahl derartiger Naturgewalten und vor allem auf den kurzen Zeitraum, in dem sie überhaupt wissenschaftlich überwacht werden. "Wir dürfen nicht in menschlichen Zeitvorstellungen denken, denn wir erfassen zwar Erdbeben messtechnisch seit gut 100 Jahren, doch geologisch entspricht dies nur einem Wimpernschlag. Ich sehe keinen Grund, warum sich bezüglich der Energiefreisetzung durch starke Erdbeben irgendetwas signifikant an den geodynamischen Prozessen geändert haben sollte. Hier spielt wohl vielmehr die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit eine Rolle", meint etwa Birger-G. Lühr vom GeoForschungsZentrum Potsdam (GFZ). Und sein Kollege Friedemann Wenzel vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) meint: "Die Häufung ist offensichtlich, aber wir haben keine Modelle, die dies gut erklären könnten."

Keine Fernwirkung

Noch weiter geht Andrew Michael, der ebenfalls für den USGS arbeitet, aber völlig anderer Meinung ist als Bufe und Perkins: Er hat eine Reihe von statistischen Analysen über die Beben der letzten Jahrzehnte laufen lassen und dabei auch verschiedene Magnitudenschwellenwerte berücksichtigt – ohne, dass sich ein klares Muster ergeben hätte. "Nichts spricht dagegen, dass sich Starkbeben nur zufällig häufen", so Michael.

Dazu passt auch eine Studie von Tom Parsons vom USGS und Aaron Velasco von der University of Texas in El Paso, die keinen Zusammenhang zwischen weit entfernten Beben feststellen konnten: Die beiden Geologen hatten 205 Erdbeben verschiedenster Stärken aus den letzten 30 Jahren ausgewertet und zueinander in Bezug gesetzt. Den meisten schweren Erschütterungen folgten über Tage und Wochen lokale Nachbeben, wie dies momentan zum Beispiel auch in Japan der Fall ist: Der erste Schlag baut zwar meist einen großen Teil der Spannung im Untergrund ab, doch gleichzeitig verhaken sich während der abrupten Plattenbewegung vor Ort neue, kleinere Bruchstücke: Sie lösen sich etwas später und setzen dabei noch aufgestaute Restenergie nach und nach frei – mit abnehmender Magnitude.

Da die seismischen Schwingungen dieser Beben den gesamten Erdkörper durchlaufen, werden sie auch andernorts gemessen – und verursachen an anderen Plattengrenzen ebenfalls kleinere Erschütterungen. Diese lassen sich aber zumeist nur mit Seismometern nachweisen: Ein schweres Beben in Chile wirkt sich also nicht katastrophal auf die tektonischen Bewegungen in Pakistan oder vor Indonesien aus. Parsons und Velasco entdeckten jedenfalls keinen Fall, bei dem ein Erdbeben der Magnitude 5 oder höher ein mindestens ebenso heftiges Ereignis in entfernten Regionen ausgelöst hatte.

Spannungsauf- und -abbau | Japan liegt in der Knautschzone verschiedener Pallten: Das Beben vom 11. März lag dort, wo die Pazifische Platte unter einen Ausläufer der Nordamerikanischen tauchte. In diesem Umfeld wurde ein Teil der Spannung im Gestein abgebaut (blau), andere Areale stehen nun aber noch stärker unter Spannung (rot) – hier muss man weitere Beben erwarten. Unklar ist, wie sich das Beben auf den Bereich um Tokio auswirkte: Hier kommt noch die Philippinische Platte ins Spiel. Zudem drückt auch die Eurasische Platte im Westen gegen den Inselstaat.
Im unmittelbaren Anschluss an das gebrochene Plattensegment kann sich der Stress im Gestein jedoch deutlich erhöhen. "Jedes Erdbeben nimmt spannungsmäßig Einfluss auf benachbarte Gebiete. Beispiele sind hierfür das Dücze-Beben in der Türkei im November 1999, das dem Izmit-Beben vom August 1999 folgte, oder das Osterbeben vor Sumatra 2005, das durch das Weihnachtsbeben 2004 mitausgelöst wurde", erklärt Lühr vom GFZ. Damals rückte die Indische Platte über Hunderte von Kilometern ostwärts unter die Eurasische und die Sundaplatte vor. In der südlich daran anschließenden Subduktionszone bewegten sich die Erdteile dagegen in diesem Moment noch nicht weiter; sie wurden aber durch das Ereignis zusätzlich Druck gesetzt – der sich dann Monate später auf einen Schlag entspannte.

Droht Tokio bald ein Megabeben?

Dieser Zusammenhang weckt bei vielen Menschen in Japan Ängste um Tokio, da sich die Millionenmetropole nur wenige hundert Kilometer südlich des Epizentrums vom 11. März befindet: Das seit Langem erwartete Tokai-Megabeben unmittelbar unter der Stadt oder vor der Küste könnte das so genannte Tohoku-Beben vom März noch in den Schatten stellen und zahlreiche Tote und Schäden in zigfacher Milliardenhöhe verursachen.

Die tektonischen Verhältnisse in dieser Region sind jedoch deutlich komplizierter als vor der Küste Sumatras, da hier mindestens drei Plattengrenzen eine Rolle spielen, wie Birger-G. Lühr erläutert: "Im Falle Japans kommt südlich des jetzt gebrochenen Bereichs, wo die Pazifische unter den südlichsten Ausläufer der Nordamerikanischen Platte taucht, mit der Philippinischen eine weitere Platte ins Spiel. Das erschwert Überlegungen bezüglich der Spannungsumverteilung. Voraussagen, ob sich die Verhältnisse weiter aufgeladen oder sogar entspannt haben, sind also kaum möglich." Sein Kollege Wenzel vom KIT sieht zumindest momentan keine unmittelbar gesteigerte Gefahr für Japans Hauptstadt: "Wir denken nicht, dass deswegen das Tokai-Beben früher eintritt."

Tsunamihöhen | Da durch die Erschütterungen gewaltige Wassermassen im Pazifik angehoben wurden, entstanden riesige Tsunamis, die die Küste Japans verwüsteten. Vom Epizentrum breiteten sie sich dann über das ganze Meer aus, wobei ihre Wellenhöhen mit zunehmender Entfernung niedriger wurden.
Das Tohoku-Beben verhielt sich allerdings überhaupt nicht lehrbuchgemäß, wie viele Geowissenschaftler in ihren ersten Analysen festgestellt und auf der Jahrestagung der Seismological Society of America diskutiert haben. Normalerweise reißt das Gestein der abtauchenden Platte in ein bis zwei Richtungen. Vor der nordjapanischen Küste ähnelte das Beben jedoch eher der Explosion einer Feuerwerksrakete, da das Gestein nicht nur entlang der Subduktionszone, sondern auch noch sternenförmig an anderen Stellen quer zur Hauptachse brach. "Über die gesamte Fläche wurde Energie freigesetzt, deshalb war das Beben so gewaltig. Das dürfte wohl das komplizierteste Bruchverhalten gewesen sein, dass je beobachtet wurde", meint beispielsweise Eric Kiser von der Harvard University.

Die Plattengrenze im Norden Japans galt außerdem nicht als Kandidat für ein Megabeben: Die abtauchende Erdkruste ist hier recht kalt, sehr dicht, mit rund 140 Millionen Jahre ziemlich alt und vor allem träge. Extreme Erschütterungen wurden dagegen bislang mit relativ jungen und folglich heißen, sich schnell bewegenden Plattenstücken in Verbindung gebracht: eine Regel, die nicht mehr haltbar erscheint. Praktisch jede Subduktionszone kann also katastrophal brechen – und das jederzeit.

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  • Quellen
Parsons, T., Velasco, A.: Absence of remotely triggered large earthquakes beyond the mainshock region. In: Nature Geoscience 10.1038/NGEO1110, 2011.

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