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Ernährung: Gierig nach Essen – aber auch süchtig?

Heidelberg. Menschen, die ernährungsbedingt an krankhaftem Übergewicht (Adipositas) leiden, wollen meist weniger essen. Dennoch nehmen sie weiterhin viel zu viel zu sich, obwohl sie sich der negativen Konsequenzen für ihre Gesundheit und ihr Sozialleben bewusst sind. Sind sie also süchtig nach Essen?
Wofür würde eine Ratte sterben? Für kalorienreiche Lebensmittel

Tatsächlich ähnelt die "Fettsucht" einer Rauschmittelabhängigkeit, wie "Spektrum der Wissenschaft" in der Novemberausgabe schreibt. Studien zeigen, dass das exzessive Aufnehmen von Nahrung die Belohnungssysteme in unserem Gehirn aktiviert – und zwar bei manchen Menschen so sehr, dass kein Sättigungsgefühl mehr entsteht. Je mehr die Betroffenen essen, umso stärker wächst ihr Verlangen nach weiterer Nahrung, ähnlich wie bei Alkoholikern und Rauschgiftabhängigen die Gier nach der Droge mit dem Konsum zunimmt.

Als besonders problematisch erweisen sich extrem kalorienreiche Lebensmittel wie Sahnetorte oder Mousse au Chocolat. Mit solchen künstlichen Lebensmitteln waren unsere Vorfahren nicht konfrontiert – und hatten deshalb keine Gelegenheit, evolutionär einen angemessenen Umgang damit zu entwickeln. Diese »Kalorienbomben« können Rückkopplungsschleifen im Gehirn außer Kraft setzen, die normalerweise die Nahrungsaufnahme regulieren, und so zu maßloser Völlerei antreiben.

Noch sind die Wissenschaftler uneins, ob bei krankhaft übergewichtigen Personen eine echte Esssucht vorliegt. Aus der Antwort ergeben sich möglicherweise neue Therapien gegen die Adipositas. Erste Ansätze gibt es bereits. So hat das Arzneimittelunternehmen Arena Pharmaceuticals kürzlich die Zulassung für den Appetitzügler Lorcaserin erhalten. Er soll übergewichtige Patienten beim Abnehmen unterstützen. Lorcaserin stimuliert so genannte Serotonin-2C-Rezeptoren im Gehirn. An Laborratten hat sich gezeigt, dass dies auch zu einem verminderten Verlangen nach Nikotin führt.

Hintergrund: In unserem Gehirn gibt es kompliziert ineinandergreifende Regelschleifen, die die Nahrungsaufnahme steuern. So aktivieren appetitanregende Hormone aus dem Magen-Darm-Trakt verschiedene neuronale Netzwerke im Hypothalamus, einem Abschnitt des Zwischenhirns. Sie stimulieren zudem Belohnungszentren, etwa die Area tegmentalis ventralis im Mittelhirn und das Corpus striatum im Großhirn, was das Genussempfinden beim Essen steigert. Während einer Mahlzeit, wenn der Blutzuckerspiegel steigt, werden appetitunterdrückende Hormone wie Leptin und Insulin freigesetzt. Ihre Wirkung auf den Hypothalamus und die Belohnungszentren führt zu verminderter Esslust und gedämpftem Genussempfinden, was weiteres Essen weniger attraktiv erscheinen lässt. Bei adipösen Menschen funktioniert diese Rückkopplung häufig nicht mehr.

Abdruck honorarfrei bei Quellenangabe: Spektrum der Wissenschaft, November 2013
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