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Exotische Materie: Antimaterie geht ins Molekülstadium

Kernteilchen und Atome aus Antimaterie sind in vielen physikalischen Laboratorien Teil der alltäglichen Forschung. Ein Molekül aus zwei oder gar mehr solch exotischer Bausteine konnten Wissenschaftler bislang nicht daraus zusammensetzen. Oder doch? Zum zweiten Mal verkünden US-amerikanische Physiker die Erzeugung einer molekülartigen Struktur mit Antimaterie.
Materie und Antimaterie
Es gibt Dinge, die gibt es fast gar nicht, und dennoch kennt sie beinahe jeder von uns. Antimaterie ist so ein Ding. Warum sie so selten ist, kann die Wissenschaft bis heute nicht mit Sicherheit sagen. Denn eigentlich hätte im Urknall ebenso viel Antimaterie entstehen müssen wie Materie. Doch wegen irgendeiner kleinen Unregelmäßigkeit in der sonst so symmetrischen Schöpfungsprozedur hat sich das Gleichgewicht leicht zugunsten der Materie entschieden – und uns damit das Leben geschenkt.

Hätte es nämlich ein Patt zwischen den ungleichen Zwillingen gegeben, wäre das Universum vermutlich längst strahlend leer, weil Materie und Antimaterie beim Aufeinandertreffen mit aller Macht, die Einsteins Formel E=mc2 aufzubieten hat, einander auslöschen. Und genau wegen dieser Dynamik ist die Antimaterie berühmt geworden. Schließlich kommt kaum ein Sciencefiction-Abenteuer ohne sie aus. Sei es als Antrieb für das Raumschiff oder als Waffe, im Roman oder im Film – wo unglaubliche Mengen Energie vonnöten sind, ordert der smarte Captain die Kraft der Antimaterie.

Dabei sieht der exotische Stoff in unserer prosaischen Realität gar nicht so seltsam aus. Als Anti-Elektron beispielsweise, das so genannte Positron, verfügt er lediglich über eine positive elektrische Ladung – nicht über die negative des Materie-Originals. Und das Anti-Proton ist im Gegensatz zum Proton negativ geladen statt positiv. Die Masse und die weiteren wichtigen Eigenschaften sind bei Materie wie Antimaterie gleich. Im Prinzip hätte es also auch Atome, Moleküle, Staubkörnchen, Taschenrechner, Wellensittiche, Menschen, Planeten, Sterne und Galaxien aus Antimaterie geben können. Alles wie bekannt, nur mit umgekehrten Ladungsvorzeichen.

So vermutet die Wissenschaft. Gesichertes Wissen ist das nicht. Denn in unserer Welt der Materie ist Antimaterie selten und extrem kurzlebig, da jede Kollision im Versuchsaufbau ihr sicheres Ende bedeutet. Immerhin – bis zur Ebene der Atome ist die Antimaterie experimentell untersucht: Aus jeweils einem Antiproton und einem Positron konnte bereits Anti-Wasserstoff hergestellt werden. Doch dieser Erfolg liegt mittlerweile zwölf Jahre zurück, und die neugierige Anhängerschaft der Antimaterie wartet seitdem auf die Meldung, dass endlich auch zwei Anti-Atome zu einem Anti-Molekül verknüpft werden konnten.

Im November 2005 glaubten Allen Mills und seine Kollegen von der University of California in Riverside, dieses Kunststück vollbracht zu haben. Die Physiker hatten Positronen auf poröses Silizium geschossen und dabei nach ihrer Interpretation Moleküle von Positronium erhalten. Dessen Beinahe-Atome bestehen aus je einem Elektron und einem Positron, die umeinander herumsausen. Da beide die gleiche Masse haben, ist anders als bei herkömmlichen Atomen mit ihrem schweren Kern und den leichten Elektronen nicht klar festgelegt, wer hier wen umkreist. Somit handelt es sich beim Positronium um keinen echten Anti-Atomkern, aber es ist das Ähnlichste, was sich derzeit ausreichend gut im Labor erzeugen und untersuchen lässt. Der Jubel über Mills' Durchbruch blieb jedoch verhalten, denn die beobachteten Strahlenmuster beim Zerfall der vermeintlichen Anti-Moleküle ließen durchaus alternative Erklärungen zu, die weitere Versuche nötig machten.

Genau diese hat das Team nun nachgeliefert. In einer speziellen Falle sammelten die Forscher rund 20 Millionen Positronen an und schossen diese innerhalb von weniger als einer milliardstel Sekunde auf das Silizium. In dessen Poren verbanden sich die Anti-Teilchen mit Elektronen zu Positronium-Atomen, von denen etwa 100 000 Moleküle bildeten. Die dabei frei werdende Energie nahm das Silizium bereitwillig auf – eine absolut notwendige Hilfsfunktion, ohne welche Positronium-Atome im Vakuum sich nicht miteinander verbinden können.

Das Leben der mutmaßlichen Moleküle währte nicht lang. In Sekundenbruchteilen löschten sich Elektronen und Positronen gegenseitig unter Aussendung von Gammastrahlung aus. Und diese brachte letztlich auch den Beweis, dass die Forscher wirklich und unanfechtbar Positronium-Moleküle erzeugt haben. Denn bei niedrigen Temperaturen werden mehr Moleküle erzeugt, und das zeigte sich auch in der nachgewiesenen Gammastrahlung. Die von den Molekülen stammende Strahlung, die wenig später bei deren Auslöschung erstand, stieg nämlich bei tieferen Temperaturen ebenfalls an.

Der Durchbruch wäre damit geschafft. Mit einem Warp-Antrieb sollten wir jedoch in mittlerer Zukunft besser nicht rechnen. Auch wenn die Pläne der Forscher sich weiterhin auf exotischen Bahnen bewegen. Sie streben an, die Dichte ihrer Moleküle zu erhöhen und diese bei extrem niedrigen Temperaturen zu einem Bose-Einstein-Kondensat zu verschmelzen, in welchem alle Atome den gleichen Quantenzustand einnehmen und quasi zu einem einzigen Super-Atom werden. Damit ließe sich dann ein Laser für superkurzwellige Gammastrahlung realisieren, mit dem man das Innere von Atomkernen untersuchen könnte. Und bis das alles gelungen ist, hat sich vielleicht auch eine Warpfeld-Theorie etabliert, die uns verrät, wie uns die Antimaterie durch den Raum beschleunigt. Möglichst ohne gegenseitige Zerstrahlung.

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