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Finanzverhalten: Zahlen - oder nicht?

Was beeinflusst die Steuermoral der Bürger? Drohende Strafen offenbar kaum, denn sie verändern die Hinterziehungsquote nur unwesentlich. Das Verhältnis zwischen Staat und Bürgern spielt dagegen eine wichtige Rolle.
Geldübergabe
Ein Blick auf die Statistik macht die Dimensionen des Problems klar: Mindestens 30 Milliarden Euro haben die Deutschen im Jahr 2008 hinterzogen, schätzte Dieter Ondracek, der Vorsitzende der Deutschen Steuer-Gewerkschaft. Die Bürger drückten sich damit um zirka sechs Prozent ihrer Steuerschuld.

Mehr Steuerfahnder und härtere Gesetze gelten vielen als die Lösung des Problems. Bereits der Ökonom und Nobelpreisträger Gary Becker prophezeite 1968 in einer Theorie zu Kriminalität und Bestrafung, dass Steuerpflichtige ehrlichere Angaben machen, wenn sie eine Strafe befürchteten. Empirische Befunde über die Wirkung von Kontrollen und Sanktionen als "Erziehungsmethoden" fallen jedoch eher bescheiden aus.

Aus Gehirn&Geist 10/2011
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In einer Studie von 2003, die wir an unserem Institut durchführten, konnten die Versuchsteilnehmer in einem Computerspiel über mehrere Runden Geld verdienen, das anschließend zu versteuern war. Wir stießen dabei auf ein paradoxes Phänomen: Wenn wir den Probanden vor dem Spiel ankündigten, die Prüfwahrscheinlichkeit pro Runde liege bei 30 Prozent, so wurde von mehr als der Hälfte der Teilnehmer das Einkommen ehrlich versteuert. Doch unmittelbar nachdem eine Kontrolle durchgeführt wurde, sank die Ehrlichkeit auf 33 Prozent und stieg in den folgenden drei Etappen langsam wieder an.

Anders als zu erwarten, mogelten Teilnehmer also keineswegs weniger, nachdem die Steuerfahndung angeklopft hatte. Es scheint, als wähnten sie sich dann vor einer weiteren Prüfung sicher, so dass sie zu riskantem Verhalten neigten. Erst nach mehreren Spielrunden hielten sie eine Kontrolle wieder für wahrscheinlicher und agierten vorsichtiger.

Kalkulierbare Überwachung

Regelmäßige, aber nicht vorhersehbare Kontrollen wie in der beschriebenen Studie oder in der Realität lassen die Chance offen, der Strafe zu entgehen. Anders sieht es aus, wenn Prüfung beziehungsweise Strafe mit Sicherheit auf einen Betrüger zukommen: Der Fiskus des US-Bundesstaats Minnesota schickte 1995 gut 1700 Steuerzahlern einen Brief, worin er eine "genaue Untersuchung" der Steuererklärungen ankündigte. Die Empfänger mit niedrigem und mittlerem Einkommen reagierten wie erhofft: Sie gaben höhere Einkommen im Vergleich zum Vorjahr an als eine Kontrollgruppe, die nicht eingeschüchtert worden war.

Spitzenverdiener hingegen, die zwar nur drei Prozent der Steuerpflichtigen stellen, aber 30 Prozent des Steueraufkommens tragen, deklarierten ein wesentlich geringeres Einkommen als die Kontrollgruppe. Über die Gründe lässt sich nur spekulieren. Die Wirtschaftswissenschaftler um Joel Slemrod von der University of Michigan in Ann Arbor argumentieren folgendermaßen: Die Besserverdienenden glaubten womöglich, dass sich der Staat nicht alle Briefempfänger vorknöpfen würde, sondern vor allem die mit hohen Einkommen – weswegen sie das eigene nach unten manipuliert haben könnten. Außerdem könnte die Finanzbehörde, sollten sie plötzlich zusätzliche Einnahmen angeben, nachforschen, ob die nicht auch schon in den Vorjahren geflossen waren, und sie nachträglich zur Kasse bitten.

Doch egal wie eigenwillig die Bürger mit den Drohungen des Staats umgehen – in den meisten Ländern sind Kontrollen selten oder die Strafen niedrig. Und trotzdem geht der Fiskus nicht leer aus. Die Ökonomen Lars Feld von der Universität Freiburg und Bruno Frey von der Universität Zürich halten es daher für das Rätsel schlechthin: Warum zahlen die Leute überhaupt Steuern?

Mit dem Staatswesen im Reinen

Ganz selbstlos sind die Überweisungen allerdings nicht, denn dahinter steht ein "psychologischer Vertrag": Die Bürger zahlen, und der Staat liefert dafür, was nach demokratischen Regeln festgelegt wurde – von der Laterne bis zur Landesverteidigung.

Der Steuerpflichtige strebt aber offenbar keine egoistische Nutzenmaximierung an, und auch der gegenseitige Vertrag reicht nicht aus, um völlige Ehrlichkeit zu gewährleisten. Somit befindet sich der Bürger in einem "sozialen Dilemma" – der individuelle Gewinn steht im Widerspruch zum kollektiven. Es muss folglich noch andere Kriterien geben, welche die Zahlungsmoral beeinflussen.

Staatsräson und Schwarzarbeit | Je schlechter die staatlichen Institutionen in einem Land bewertet werden, desto eher betrügen ihn die Bürger durch Schwarzarbeit oder das Hinterziehen von Steuern. Das hat Dominik Enste vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln 2007 errechnet. In der Grafik unten ist dieser Zusammenhang anhand der Werte der OECD-Länder dargestellt. Die Qualität staatlicher Institutionen ist dabei von 0 (sehr schlecht) bis 100 (sehr gut) bewertet worden. Die Schattenwirtschaft ist in Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) angegeben.
Negatives Schulbeispiel ist nicht zufällig das vom Bankrott bedrohte Griechenland. Dort ist das Vertrauen in den Staat extrem gering, und mehr als ein Viertel des Bruttoinlandsprodukts wird schwarz erwirtschaftet. Die Schweizer hingegen bewerten die staatlichen Institutionen wesentlich positiver, die Schattenwirtschaft ist dementsprechend geringer.
Die Kooperation zwischen Staat und Steuerzahler funktioniert nur, solange keine Partei die andere enttäuscht. Eine Studie von 2003 beispielsweise ergab unter Kanadiern folgendes Bild: Je höher das Vertrauen in die Regierung, desto inakzeptabler fanden die Befragten eine Steuerhinterziehung. Das errechnete der Wirtschaftswissenschaftler Benno Torgler anhand von Daten des World Values Survey, einer Untersuchung von kulturellen Veränderungen in Gesellschaften rund um den Globus.

Doch wehe, der Bürger schmollt mit seinem Staat! Die Psychologin Valerie Braithwaite von der Australian National University in Canberra und ihre Kollegin Eliza Ahmed fanden 2005 bei einer anonymen Befragung von 447 frischgebackenen Akademikern heraus: Absolventen, die unzufrieden mit ihrer Universität waren, hinterzogen mehr Steuern. Die Steuerzahler wollen also fair behandelt werden. Ist dies nicht der Fall, neigen sie dazu, die tatsächliche oder vermeintliche Ungerechtigkeit in Eigeninitiative auszugleichen.

Auf Grund solcher Annahmen stufen die Steuerbehörden Selbstständige und Kleinunternehmer als Risikogruppen ein, frei nach dem Motto: "Gelegenheit macht Diebe!" Während Angestellte in Deutschland und Österreich ihr Einkommen meist abzüglich der Steuern ausbezahlt bekommen und daher schlechtere Möglichkeiten zur Hinterziehung haben, zahlen Selbstständige Einkommenssteuer, Mehrwertsteuer und Sozialabgaben aus ihren erwirtschafteten Einnahmen. Und wer nimmt es schon so genau, ob es letztens beim Italiener wirklich nur um Geschäftliches ging?

Ein besonderes Phänomen tritt hier zu Tage: Wer die Einkünfte zunächst in die eigene Tasche stecken darf und erst später Steuerbeträge in manchmal unerwarteter Höhe zu entrichten hat, erlebt das als besonders schmerzlich. Wie der Psychologe und Nobelpreisträger Daniel Kahneman von der Princeton University (US-Bundesstaat New Jersey) schon 1979 demonstrierte, reagieren Menschen auf Verluste häufig mit besonderer Risikofreude. Sie versuchen so, die Einbuße möglichst wieder wettzumachen.

Tatsächlich konnten wir 1999 bestätigen, dass sich Selbstständige mit ihren Zahlungen "aus eigener Tasche" besonders schwertun und die Tendenz zur Hinterziehung danach steigt. Allerdings lässt sie mit zunehmender Arbeitserfahrung wieder nach. Möglicherweise betrachten Selbstständige zu Beginn ihrer Tätigkeit alle Einnahmen als eigenes Einkommen. Sie kalkulieren keine realistische Steuerschuld, sondern verfügen über das Geld nach Belieben. Erst wachsendes Knowhow in Sachen Buchführung – zumindest der mentalen – schützt vor Überraschungen: Es entsteht nicht mehr so rasch der Eindruck, Steuern stellten unvorhersehbare Kosten dar.

Auf der anderen Seite fördert es die Steuermoral, wenn die Bürger selbst entscheiden können, was mit ihrem einbezahlten Geld geschieht. Das haben die Ökonomen Werner Pommerehne (1943–1994) und Hannelore Weck- Hannemann von der Universität Innsbruck beobachtet: In den von ihnen untersuchten Schweizer Kantonen mit mehr direkter Demokratie fließen die Steuern eher und die Schattenwirtschaft floriert weniger als in anderen Teilen des Landes.

Auch mit zunehmendem Wissen über Steuergesetze und einem guten Verständnis der Regeln steigt die Zahlungsbereitschaft nachweislich. Zweifellos leidet die Gesetzgebung in vielen Staaten nicht nur an einer Überfrachtung von Regeln und Ausnahmen, sondern auch an einer kaum verständlichen Sprache, die viel Raum für spitzfindige Interpretationen lässt. John Braithwaite verlangt daher, dass Verhaltensprinzipien eindeutig formuliert werden, die klarstellen, was im Sinn des Gesetzes ist, und die gleichzeitig verhindern, dass das Regelwerk besonders erfinderischen Geistern Schlupflöcher bietet. Schwarzen Schafen kommt man aber kaum mit "Zuckerbrot" bei, hierzu bedarf es der "Peitsche" des Rechts. Sie soll verhindern, dass die Kooperationswilligkeit vieler durch den Egoismus weniger ausgenutzt wird. Nur, welche Strafen sind sinnvoll?

Soll etwa Gleiches mit Gleichem vergolten werden? In einer Umfrage unserer Arbeitsgruppe aus dem Jahr 2007 unter österreichischen Steuerzahlern gaben 86 Prozent der Teilnehmer an, dass sie bei Steuerbetrug eine Verurteilung zu einer Geldstrafe als fair empfänden, aber eine Freiheitsstrafe für unangemessen hielten. Außerdem müsse die finanzielle Leistungsfähigkeit der Hinterzieher berücksichtigt werden, sonst wirkten Strafen kaum abschreckend. Bei der zurzeit gängigen Praxis bestimmt dagegen die hinterzogene Summe die Höhe der Strafe.

Um das Problem der Steuerhinterziehung zu lösen, sind somit zwei unterschiedliche Strategien möglich: Nicht kooperationswillige Bürger müssen durch ein vertrauensvolles Verhältnis zum Staat zurück zu den Werten der Gemeinschaft geführt werden, oder es muss ihnen die Möglichkeit genommen werden, die gesellschaftlichen Werte egoistisch auszunutzen.

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