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Forschung: Verteidigt die Evolutionstheorie!

Kreationisten stürzen sich auf jede vermeintliche Lücke im Gedankengebäude der Evolutionstheorie. Doch Wissenschaftler können und sollen dagegenhalten.
Ammonit

Im April veröffentlichte "Nature" eine Studie über eine neue Art eines großen tyrannosaurusartigen Dinos, der mit Federn bedeckt war. Eine Woche später verabschiedete der US-Bundesstaat Tennessee ein kreationistisches Gesetz, das Lehrer ermuntert, über die "Schwächen" der Evolutionstheorie zu diskutieren. Ersteres versorgte die gerissene und kühl kalkulierende Kreationistenmaschinerie mit Futter, das Zweite bedeutete ihren neuesten Erfolg.

Als Paläontologe bin ich überzeugt davon, dass die Art und Weise, wie Wissenschaftler und Fachzeitschriften Studien präsentieren, mit dazu beiträgt, antievolutionäre Desinformation zu fördern. Da wir dazu neigen, Neues zu betonen und wissenschaftliche Kontroversen besonders hervorzuheben oder gängige Denkmuster zu hinterfragen und aufzubrechen, liefern wir unseren Kritikern reichlich Munition. Wie das Beispiel Tennessee lehrt, zeitigt der Kampf gegen die Evolutionstheorie weit reichende Folgen. Und das betrifft nicht nur die USA. Der nationale Biologielehrplan Pakistans diktiert, Studenten zu lehren, dass "Allah der Schöpfer und Bewahrer des Universums" ist.

Die Neuigkeit eines großen Dinosauriers mit Federn war ein verkaufsförderndes Merkmal des Artikels. Obwohl größtenteils wissenschaftliche Zustimmung vorhanden ist, dass die Vögel aus den Dinosauriern hervorgingen, steht doch noch eine überschaubare Zahl an Forschern dieser Meinung skeptisch gegenüber. Innerhalb weniger Tage nach Veröffentlichung griff die einflussreiche Organisation "Answers in Genesis" diesen Disput auf und fehlinterpretierte sowohl den "Nature"-Artikel als auch die Uneinigkeit, ob Vogel- und Dinosaurierfedern nun gleich sind. Sie folgerten daraus: "Dinosaurier entwickelten sich nicht zu Vögeln [...]. Es fand sich kein Hinweis auf die Evolution von Federn in den Fossilien." Sie präsentierten eine aufregende Entdeckung und eine authentische wissenschaftliche Debatte als Beweis gegen die Evolution, statt die Studie als einen wissenschaftlichen Beitrag darzustellen, der das Wissen auf diesem interessanten Fachgebiet mehrt.

Ein anderer Klassiker der antievolutionären Taktik – der Gott der Lücken – wurzelt bereits im 19. Jahrhundert und taucht selbst heute noch immer wieder auf. Er verwendet tatsächliche wie vermeintliche Lücken in der wissenschaftlichen Erkenntnis als Beleg, um theistische Weltbilder zu stützen, und sein Lebenselixier ist die Ungewissheit der Wissenschaft. Doch gerade die offenen Fragen treiben gute Forschung an, denn dass Veröffentlichungen offen unklare Punkte in unserem Gedankengebäude untersuchen und vor allem auch zugeben, ist lebenswichtig für die akademische Welt. Doch die kreationistische Lobby verwendet die gleiche Literatur gegen die Wissenschaft, um sie zu untergraben.

Auch in meinem Fachgebiet finden sich noch überall Wissenslücken. Ein großer Teil meiner Arbeit konzentriert sich auf frühe Landlebewesen: die Krabbeltiere, die unseren Wirbeltiervorfahren um einige Dutzend Millionen Jahre voraus waren. Dementsprechend – und wenig überraschend – waren sie perfekt an das Landleben angepasst. Und obwohl viele dieser Gruppen völlig anders aussehen als ihre heutigen Verwandten, so gibt es doch auch Arten, die sich seit damals äußerlich kaum verändert haben wie die Weberknechte aus der Gruppe der Spinnentiere. Kürzlich beschrieb ich zwei fossile Beispiele aus 305 Millionen Jahre altem Gestein, die modernen Weberknechten sehr ähnlich sehen.

Ihr zerbrechlicher Körper sorgt dafür, dass Weberknechte kaum in fossilen Ablagerungen überdauern, aber diese wunderbar erhalten gebliebenen Exemplare boten nun erstmals die Gelegenheit, ihre evolutionären Beziehungen zueinander per Computeranalyse zu ergründen. Wie sich herausstellte, gehören sie zu Verwandtschaftslinien, die auch heute noch existieren. Deshalb berichteten wir, dass Weberknechte schon sehr früh entstanden und ein Beispiel für evolutionäre Stagnation sind, weil sie sich im Gegensatz zur Mehrheit anderer alter landlebender Arthropodengruppen kaum weiterentwickelt haben.

Natürlich wurde die Berichterstattung darüber auch von Kreationisten aufgegriffen und verzerrt. Ein Blog auf einer Wissenschaftsseite einer Lutheranerorganisation ignorierte unsere Aussage, dass Weberknechte eine Ausnahme von der evolutionären Regel seien, und publizierte: "Und haben Sie die Überraschung von Dr. Garwood bemerkt?" Der Eintrag präsentierte diese exemplarische Stagnation als Beleg, dass Evolution überhaupt nicht existiert.

Wir wissen nicht, warum sich ausgerechnet diese Spinnentiere praktisch nicht weiterentwickelt haben. Aber diese Tatsache an sich stellt die Evolution in keinster Weise in Frage – im Gegenteil: Sie bedeutet, dass wir weitere Forschung in diese Richtung benötigen und ermutigt dazu. Zu wissen, dass Lücken jedoch womöglich als Belege für einen Schöpfer herangezogen werden könnten, macht das Verfassen von Artikeln allerdings zu einem potenziellen Minenfeld.

Wir sollten es nicht zulassen, dass kreationistischer Druck die Art und Weise verändert, mit der wir Wissenschaft betreiben: Es wäre ein schwarzer Tag, wenn Forscher beginnen, Widersprüche und Ungewissheiten in ihren Arbeiten zu verheimlichen. Denn wir sind nicht hilflos, wenn es darum geht, kreationistische Fehlinformationen zurückzuweisen, die mit unseren Ergebnissen begründet werden. Die Wissenschaft würde gewaltig davon profitieren, wenn wir uns um mehr Öffentlichkeit für unsere Forschungsarbeiten bemühen.

Direkte Debatten mit Kreationisten sind riskant, denn organisierte Diskussionen unterstützen nur die "Evolution-ist-in-der-Krise"-Lobby. Das Internet gibt uns jedoch umfangreiche Mittel in die Hand, mit denen wir richtige Informationen jedem frei zur Verfügung stellen können, der daran interessiert ist. Die "Ask-a-Biologist"-Seite der Arizona State University hat bereits mehr als 25 000 Fragen von Studenten und Lehrern beantwortet, seit sie 1997 online gegangen ist.

Sollten Studien veröffentlicht werden, die offensichtlich kreationistische Interpretationen hevorrufen dürften, so könnte man in einem begleitenden Blog die wissenschaftliche Arbeit dahinter erklären und offenkundige Schwachstellen in antievolutionären Gegenattacken enttarnen. Seiten wie Planet Earth Online des Natural Environment Research Council oder palaeontology.com bieten Forschern Plattformen auch für einmalige Beiträge. Auch die Verlage können mehr tun, indem sie online Zusammenfassungen in leicht verständlicher Sprache aufführen, die von den Wissenschaftlern selbst geschrieben wurden. Das Open-Access-Journal Palaeontologia Electronica ermöglicht dies bereits.

Die kreationistische Bedrohung der Wissenschaft verschwindet nicht, wenn wir sie ignorieren. Als Wissenschaftler sind wir den Schulkindern in Tennessee und andernorts verpflichtet, dass wir sie mit anderen Mitteln eindämmen.

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