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Forschungsgeschichte: Von schlechtem Wetter und guter Physik

Am Anfang war der Zufall. Als Henri Antoine Becquerel verwundert eine trotz Dunkelheit belichtete Fotoplatte in seinen Händen hält, ist das Glück zum Tüchtigen gekommen: Er hat erstmals radioaktive Strahlung nachgewiesen. Am 25. August 1908 starb der französische Physiker.
Antoine Henri Becquerel
Henri Becquerel wird am 15. Dezember 1852 in eine kleine Wissenschaftler-Dynastie hinein geboren. Schon sein Großvater, Antoine César, hatte sich als Mineraloge und Erforscher der Elektrizität, vor allem aber als Erfinder einer elektrochemischen Methode zur Metallgewinnung aus Erzen einen Namen gemacht. Er lehrte als Professor am Musée d'Histoire Naturelle in Paris, dessen Direktor er schließlich wurde.

Antoine Henri Becquerel | Der Entdecker der Radioaktivität: Antoine Henri Becquerel (1852-1908)
Der Lehrstuhl am Naturkundemuseum wurde zu einer Art Familienerbstück, das vom Großvater Antoine auf Henris Vater Alexandre Edmond, dann auf Henri und schließlich auf dessen Sohn Jean überging. Vier Generationen von Becquerels "im selben Haus, im selben Garten, im selben Labor", wie Jean es ausdrückte. Zunächst aber durchlief Henri wie auch die anderen Familienmitglieder die Ecole Polytechnique in Paris, die Brutstätte der französischen Militär- und Wissenschaftselite.

Auf die Ausbildung an der Elitehochschule sattelte Henri Becquerel noch ein Ingenieursstudium an der Straßenbau-Schule Ecole des Ponts et Chaussees, was ihm einen Posten in der Ministerialabteilung für Straßen- und Brückenbau einbrachte, zu deren Chefingenieur er 1894 aufstieg. Zunächst beschäftigte sich Henri in seiner Forschung vor allem mit den Eigenschaften des Lichts. So gelang es ihm, die infraroten Banden des Sonnenlichts nachzuweisen. Außerdem zeigte er, dass sich die Polarisation des Lichts nicht nur beim Eintritt in Festkörper und Flüssigkeiten, sondern auch beim Übergang in Gase ändern kann.

Röntgenstrahlung als Anstoß

Im Jahr 1891 übernahm er nach dem Tod seines Vaters dessen Lehrstuhl und erbte damit auch sämtliche Laborausstattung inklusive einer stattlichen Sammlung leuchtfähiger Mineralien wie zum Beispiel Uransalze. Er folgte seinen Vorgängern in der Erforschung der Phosphoreszenz und Fluoreszenz. Schon wenige Jahre später war Henri zu einem der einflussreichsten Wissenschaftler Frankreichs geworden. Nicht etwa durch seine gewissenhafte, durch bescheidene Erfolge belohnte Forschung, sondern durch seine dreifache Professorentätigkeit an der Ecole Polytechnique, dem Musée d'Histoire Naturelle sowie dem Conservatoire National des Arts et Métiers.

Röntgens Röntgenaufnahme | Diese Röntgenaufnahme machte Wilhelm Röntgen am 22. Dezember 1895 von der Hand seiner Frau.
Eine bedeutende wissenschaftliche Entdeckung stand bisher noch aus, sollte aber nicht mehr lang auf sich warten lassen. Irrtum und Zufall kamen ihm zur Hilfe. 1895 hatte Conrad Röntgen Materie durchdringende Strahlung entdeckt, die er X-Strahlen nannte. Seine Aufnahmen schickte er an Kollegen quer durch Europa und wurde dadurch in kürzester Zeit zu einer kleinen Berühmtheit.

Henri Poincaré stellte Röntgens Ergebnisse am 10. Januar 1896 auf einer Sitzung der Französischen Akademie der Wissenschaften vor. Auf Frage Henri Becquerels erklärt er, dass die mit Hilfe einer Kathodenstrahlröhre erzeugten X-Strahlen von der Stelle der Anode ausgingen, die unter Beschuss am stärksten leuchte. Mit der Lumineszenzforschung in den Genen und der passenden Ausrüstung im Labor macht sich Becquerel sogleich an die Arbeit, die X-Strahlung fluoreszierender Stoffe nachzuweisen.

Entdeckung der Radioaktivität

Becquerels Experiment ist simpel: Er wickelt eine photografische Platte in mehrere Lagen undurchsichtigen Papiers, platziert darauf eine unter Einstrahlung von Licht fluoreszierende Probe Uransalz aus den Beständen seines Vaters und legt das Paket in die Sonne. Tatsächlich zeichnete sich auf der anschließend entwickelten Fotoplatte der Umriss der Probe ab. Das Ergebnis lässt Becquerel an eine durchdringende Strahlung – ähnlich den X-Strahlen – in Folge von Fluoreszenz glauben. Ein Irrtum.

Becquerels Fotoplatte | In seinem Versuch setzte Henri Becquerel eine Fotoplatte radioaktiver Strahlung aus, die danach trotz Dunkelheit belichtet war.
Ende Februar 1896 hatte Henri Becquerel ein weiteres Experiment mit einem Uransalz vorbereitet. Doch die Sonne hatte sich verzogen. So blieb das Paket aus Probe und verpackter Fotoplatte zwei Tage lang in einer dunklen Schublade liegen. Am 2. März berichtet er dann der Akademie der Wissenschaften: "Da sich die Sonne tagelang nicht zeigte, entwickelte ich die fotografischen Platten am 1. März in der Erwartung, nur ganz schwache Bilder vorzufinden. Ganz im Gegenteil, die Umrisse erschienen mit großer Intensität. Sofort drängte sich mir der Gedanke auf, dass der Prozess demnach auch im Dunkeln weitergehen könnte."

Richtig. Es handelt sich nicht um Fluoreszenz, sondern um eine spontane und von der Beleuchtung unabhängige Strahlung des Uransalzes. Die meisten Wissenschaftler verloren an der von Marie Curie später Radioaktivität getauften Becquerel-Strahlung schnell das Interesse. Denn eine kaum begrenzte Zahl verschiedener Strahlen, von Kathoden- über Kanal- zu Glühwürmchenstrahlung beschäftigten damals die Forscher. Und in der Öffentlichkeit waren Röntgens X-Strahlen an Unterhaltungswert ohnehin nicht zu überbieten.

Die Nachwirkungen

Becquerel selbst forschte weiter mit Uran. Es gelang ihm nachzuweisen, dass sich die emittierte Strahlung durch magnetische Felder ablenken lässt und Gase ionisiert. Sie besteht demnach aus den kurz zuvor von Joseph John Thomson identifizierten Elektronen, folgerte er. Außerdem können die Strahlen auch die Haut verbrennen, wie Becquerel am eigenen Leib erfuhr. Seine Erkenntnisse führten schließlich sogar zu ersten medizinischen Anwendungen.

Marie und Pierre Curie | Marie und Pierre Curie in ihrem Labor.
Da Becquerel sich jedoch von anderen Forschungsgebieten mehr versprach, überließ er die Untersuchung der Becquerel-Strahlen weitgehend seiner Assistentin Marie Curie und deren Mann Pierre. Die beiden stießen mit Polonium und Radium auf zwei Strahlungsquellen, die das Uran an Intensität weit in den Schatten stellen. 1903 erhielten alle drei gemeinsam den Nobelpreis für Physik.

Fünf Jahre später, am 25. August 1908, starb Antoine Henri Becquerel in Le Croisic an der französischen Atlantikküste. Die von ihm entdeckte radioaktive Strahlung hat seither viele unterschiedliche Anwendungen gefunden, von der Medizin bis zur Kriegsführung. Dabei mag der eigentliche Entdecker oft in den Hintergrund geraten sein, doch spätestens 1986 war sein Name plötzlich wieder in aller Munde: Denn die in Folge des Reaktorunfalls von Tschernobyl stark erhöhte Radioaktivität in Pilzen, Haselnüssen und Wildschweinen wird seit 1985 in Becquerel gemessen; die bis dahin verwendete Einheit Curie ist nicht mehr gültig.

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