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Forschungspolitik: Von Hoffnungsträgern und Bittstellern

Die Studierendenzahlen nehmen stark zu, die der Professoren dagegen kaum: Viele Nachwuchswissenschaftler verlassen deswegen Deutschland. Das muss sich ändern.
Bernhard Kempen

Selbstbestimmtes Forschen und Lehren ist ein Traum, der junge Menschen nach wie vor fasziniert. Diejenigen, die sich auf den steinigen Weg zur Professur begeben, sprühen vor Motivation und Enthusiasmus. Außertarifliche Arbeitszeiten, kurze Zeitverträge, lange Wartezeiten und ebenso unsichere wie spärliche Finanzen und mitunter prekäre Lebensverhältnisse nehmen sie vielfach notgedrungen in Kauf. So ist es seit jeher. Aber es ist Zeit, das zu ändern.

Die reellen Chancen, in Deutschland auf eine Lebenszeitprofessur berufen zu werden, sind ungünstig. Während auf absehbare Zeit die Studierendenzahlen Rekordmarken erklimmen, stagniert die Zahl der Professoren an wissenschaftlichen Hochschulen in Deutschland. Standen 1995 rund 25 000 Universitätsprofessoren 1,4 Millionen Studierenden gegenüber, so sind es 15 Jahre später bei gleicher Professorenzahl 1,6 Millionen Studierende. Die zahlenmäßige Relation von Universitätsprofessoren zu Studierenden, die gegenwärtig mit 1 zu 60 international ohnehin kaum wettbewerbsfähig ist, verschlechtert sich weiter.

Der Stellenkegel hat zur Folge, dass selbst viele hervorragende Bewerber keine dienstrechtliche Professur bekommen. Es steht zu befürchten, dass das Wissenschaftssystem in Deutschland auch durch richtige und gezielte Programme wie zum Beispiel die Exzellenzinitiativen immer mehr qualifizierte Nachwuchswissenschaftler generiert, die durch einen immer enger werdenden Flaschenhals zur Professur gelangen wollen. Dies ist nicht nur ein soziales und gesellschaftliches, sondern vor allem ein wissenschaftspolitisches Kernproblem.

Es wird sich nicht mit der Parole "Unbefristete Verträge für alle" lösen lassen. Der Erwerb fachlicher Qualifikationen und Befristung sind zwei Seiten einer Medaille. Aber mehr Tenure-Track-Stellen und bessere Personalplanung an den Universitäten sind Möglichkeiten, den Karriereweg für junge Wissenschaftler berechenbarer zu machen.

An der Schaffung zusätzlicher Universitätsprofessuren führt daher kein Weg vorbei. Allein um die ungünstige Relation von 60 Studierenden pro Universitätsprofessor zu halten, müssten tausende zusätzliche Universitätsprofessuren bereitgestellt werden. Die Gelegenheit dazu ist eigentlich günstig: Durch die Exzellenzinitiative sind Tausende von zusätzlichen jungen Wissenschaftlern ausgebildet worden, die zurzeit bestenfalls auf befristeten Stellen sitzen. Mehr Professuren kämen dem wissenschaftlichen Nachwuchs, aber auch den Studierenden zugute, die sich im globalen Wettbewerb um Arbeitsplätze mit einer wissenschaftlich fundierten (Aus-)Bildung profilieren wollen.

Wenn wir die besten Nachwuchswissenschaftler für den Hochschullehrerberuf gewinnen wollen, sind verlässlichere und attraktivere Karrieremöglichkeiten nötig. Gewiss: Wissenschaft ist ein Abenteuer und Wissenschaftler der Risikoberuf schlechthin, der sich einem starren Laufbahnschema widersetzt. Das allgemeine Lebens- und Berufsrisiko müssen Wissenschaftler in gleicher Weise ertragen wie andere Berufsgruppen. Aber das Risiko muss kalkulierbarer werden – auch durch eine Reduzierung der Qualifikationszeiten zum Professorenberuf auf in der Regel sechs Jahre nach der Promotion. Das derzeit zu hohe Erstberufungsalter auf eine Professur muss von 41 auf 35 Jahre abgesenkt werden, damit diejenigen, die keine Professur erlangen, alternative Karrierewege einschlagen können.

Zudem benötigt der wissenschaftliche Nachwuchs in Deutschland größere Eigenständigkeit und Unabhängigkeit. Diese Vorzüge der Personalkategorien "Juniorprofessor" und "Nachwuchsgruppenleiter" sind auf andere Qualifizierungsstellen zu übertragen, indem deutlicher zwischen Qualifizierungs- und wissenschaftlichen Dienstleistungsaufgaben differenziert wird. Wissenschaftliche Mitarbeiter brauchen Zeit zur Eigenqualifikation und für selbstständige Lehrerfahrungen.

Wenn Hochschulen in England, den USA und der Schweiz den "Tenure Track", die Zusage auf eine Lebenszeitprofessur nach einer positiv evaluierten Bewährungszeit, anbieten, müssen deutsche Universitäten schon aus Wettbewerbsgründen gleichziehen können. Übrigens: "Tenure Track" kann kein Alleinstellungsmerkmal für Juniorprofessoren sein. Wir brauchen den "Tenure Track" in gleicher Weise für Habilitanden. Der Wettbewerb zwischen den gleichberechtigten Qualifikationswegen zur Professur setzt Chancengleichheit unter ihnen voraus. Es bedarf mithin eines Bündels an Maßnahmen, damit junge Wissenschaftler Hoffnungsträger und nicht mehr Bittsteller sind.

Lesen Sie dazu auch den Artikel von Christine Xuân Müller: "Jung, exzellent – und frustriert".

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