Direkt zum Inhalt

Genetik: Doch nur Schrott?

Der größte Teil unseres Erbguts besteht aus - Müll. Das schienen zumindest die Genetiker geglaubt zu haben, die den nicht für Proteine kodierenden Abschnitten des Genoms den wenig schmeichelhaften Namen "Junk-DNA" gaben. Allerdings möchten immer mehr Forscher dem Schrott doch eine Funktion zuordnen. Aber wie lebt es sich denn überhaupt junk-frei?
Mausgenom
30 000 Gene – ein erschreckend niedriger Wert – lautete die Schätzung der Humangenetiker über die Anzahl unserer Gene, als sie 2001 eine erste "Arbeitsversion" des menschlichen Erbguts präsentierten. Inzwischen ist die Arbeitsversion überarbeitet, und der Wert musste deutlich korrigiert werden – nach unten.

Die nach heutigem Stand 20 000 bis 25 000 Gene machen dabei nur einen Bruchteil unseres Erbguts aus. Etwa 98 Prozent der DNA eines Säugetiers – einschließlich des Menschen – kodiert überhaupt nicht für Proteine. In ihrer Verzweiflung bezeichneten die Genetiker diese scheinbar sinnlosen Abschnitte, die sich wie leere Wüsten über das gesamte Erbgut erstrecken, als "Junk-DNA" (junk, engl.: Schrott, Ausschuss, Ramsch).

Das Erstaunliche an diesem Müll ist seine Beständigkeit. Große Teile sind – soweit man bisher weiß – bei allen Säugetieren weit gehend identisch und haben sich demnach in der Evolution kaum verändert. Doch sollte die Junk-DNA tatsächlich ein vollkommen funktionsloses Dasein fristen, dann müsste sie sich – dem freien Spiel der Mutationen ohne Selektionsdruck unterworfen – munter verändern. Oder aus Effizienzgründen gar ganz verschwinden.

Und so bezweifeln immer mehr Genetiker einen derart verschwenderischen Umgang der Natur und vermuten vielmehr, dass noch unbekannte Funktionen in dem "Schrott" verborgen liegen. Erst kürzlich konnten die Forscher um Anne Peaston vom Jackson-Labor nachweisen, dass bestimmte Bereiche der Junk-DNA die Embryonalentwicklung von Mäusen regulieren (spektrumdirekt berichtete).

Peaston hatte sich jedoch nur kurze Abschnitte des Junks vorgenommen. Einen etwas drastischeren Ansatz wagten jetzt Marcelo Nóbrega und seine Kollegen vom kalifornischen Berkeley-Labor: Sie züchteten Mäuse, denen erhebliche Teile des vermeintlichen Schrotts fehlten. Von Chromosom 3 entnahmen sie 1,5 Millionen Basenpaare und von Chromosom 19 noch einmal über 800 000 Nukleotide. Große Teile davon bestanden aus hoch konservativen Regionen, die bei Maus und Mensch fast gleich aussehen.

Und was passierte mit den junk-armen Mäusen? Nichts! Weder in der Überlebensfähigkeit noch in der Wachstumsrate noch in den anderen der über hundert physiologischen Tests schnitten die Nachkommen der Mangelmutanten schlechter ab als ihre normalen, schrottreichen Artgenossen.

Demnach scheinen zumindest einige Abschnitte der Junk-DNA entbehrlich zu sein, schließen die Forscher. Doch ihre Kollegen bleiben skeptisch. "Diese Mäuse überlebten", meint Barbara Knowles vom Jackson-Labor. "Das ist alles, was wir über sie wissen." Und David Haussler von der Universität von Kalifornien in Santa Cruz ergänzt: "Das ein oder zwei Generationen lange Überleben im Labor ist nicht vergleichbar mit dem Millionen Jahre andauernde Konkurrenzkampf in freier Wildbahn."

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.