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Genetik: Warum gibt es zwei Geschlechter?

Mitochondrium
Warum gibt es bei nahezu allen Tieren und Pflanzen zwei verschiedene Geschlechter? Wieso sind wir nicht alle Klone? Oder noch einmal anders gefragt: Weshalb sind wir so "konstruiert", dass wir viel Zeit und Kraft in die Partnersuche investieren müssen? Bei der Science and Society Conference des European Molecular Biology Laboratory (EMBL) am 5. und 6. November in Heidelberg gab der Biochemiker Nick Lane eine interessante Antwort.

Ganz offensichtlich ist die sexuelle Vermehrung die Voraussetzung für den Genaustausch. Schon Hefen kommen in zwei Paarungstypen vor. Daher sind die Erbanlagen bei jedem Nachkommen anders gemischt. Dank neuer genetischer Kombinationen ist er dann möglicherweise besser an veränderte Umweltbedingungen angepasst. Dies allein scheint aber den hohen Aufwand für die sexuelle Fortpflanzung nicht zu rechtfertigen. Es muss einen weiteren Vorteil geben.

Mehr Energie dank Faltung | In Fall eines Mitochondriums sitzen die für die Zellatmung zuständigen Enzyme auf dessen innerer Membran. Weil diese stark gefaltet ist, bietet sie Platz für sehr viele Atmungsenzyme. Ein Mitochondrium erzeugt darum viel mehr Energie als ein vergleichbar großes Bakterium, das nur über eine äußere Membran verfügt, die nicht gefaltet ist und darum nur wenig Enzyme beherbergen kann.
Lane, der am University College London forscht, beschäftigt sich mit der frühen Evolution komplexen Lebens und höherer Zellen. Zentral für die Existenz der beiden Geschlechter, so sagt er, sei die Vererbung der so genannten Mitochondrien. Diese Organellen dienen allen höheren Zellen – solchen mit Zellkern – sozusagen als Kraftwerke, stellen ihnen also Energie bereit. Nach heutiger Auffassung waren die Mitochondrien ursprünglich Bakterien, welche von Organismen als Symbionten aufgenommen wurden. Diese ersten komplexen Zellen haben die späteren Mitochondrien vor etwa drei Milliarden Jahren verschlungen, regelrecht "versklavt". Daher besitzen diese Organellen noch immer ein eigenes, wenn auch kleines Genom.

Komplexe Zellen brauchen Mitochondrien

Lane vertritt die These, höheres Leben sei überhaupt erst mit den Mitochondrien entstanden. Bakterien hingegen besitzen keine solchen Kraftwerke – eben darum, so argumentiert der Biochemiker, haben sich aus ihnen gemessen an höheren Zellen nie vergleichbare komplexe Lebensformen entwickelt. Sein zentrales Argument findet Lane in der Art und Weise, wie Zellen Energie gewinnen. Dieser Vorgang, der als Zellatmung bezeichnet wird, verläuft mit Hilfe von Enzymen, die in Membranen eingebaut sind. Bakterien verfügen meist nicht über eine innere Membran, bei ihnen spielt sich die Zellatmung also auf der sie umkleidenden äußeren Hülle ab. Allerdings wird die Oberfläche des Organismus ab einem bestimmten Durchmesser der Mikrobe zu klein, als dass an ihr noch genug Energie für die gesamte Zelle bereit gestellt werden könnte.

Bei höheren Zellen ist das anders. In ihnen ist für die Energieversorgung eine relativ große Anzahl von Mitochondrien zuständig. Die Zellatmung wiederum findet an der inneren Membran eines jeden Mitochondriums statt. Weil diese stark gefaltet ist, besitzt sie eine große Oberfläche, und kann sehr viele Enzyme für die Zellatmung bereithalten. Eine typische Leberzelle zum Beispiel beherbergt etwa 1000 mitochondriale Kraftwerke – genug, damit auch einer großen Zelle in jedem ihrer Sektoren genug Energie zur Verfügung steht.

Platz für ganze Fabriken | Ob Bakterium, Mitochondrium oder höhere Zelle: Sie alle verfügen über zweischichtige Membranen, die aus unzähligen Fettmolekülen bestehen (blauer Kopf und orangefarbener Schwanz) und in die Enzyme (grün) eingelagert sind. Die zueinander passenden Enzyme werden direkt nebeneinander platziert und können so die Nahrung Schritt für Schritt "veratmen", also die nötigen Stoffwechselprozesse stattfinden lassen. Oft sind hunderte Enzyme eingebaut, die ihre Aufgaben wie Arbeiter am Fließband erledigen.
Damit die Mitochondrien tatsächlich Energie liefern, muss eine Vielzahl verschiedener Enzyme aktiv werden; dieser Prozess muss zudem schnell auf Veränderungen reagieren können. Gesteuert wird dieser Vorgang durch mitochondriale DNA. Damit die Zelle die enzymatischen Katalysatoren gut aufeinander abstimmen kann, muss also auch eine entsprechend große Menge an mitochondrialer DNA vorhanden sein. Dies führt letztlich dazu, dass die DNA-Menge proportional zur gewonnenen Energie ist.

Die einzigen Lebewesen ohne Kern, die so groß wie höhere Zellen werden können, sind Riesenbakterien wie Epulopiscium fishelsoni. Mit bis zu 600 Mikrometer Durchmesser sind sie mehr als 200 Mal größer als gewöhnliche Bakterien. Aber jeder einzige dieser Giganten enthält nicht nur ein, sondern 600 000 vollständige Genome. Lane zufolge sind sie alle mitverantwortlich dafür, die Atmung des Bakteriums zu kontrollieren. Darüber hinaus schleppt jedes Genom zusätzlich zu den Atmungsgenen noch sämtliche Bakteriengene mit. Jede Zellteilung ist also mit einem enormen Aufwand verbunden. Mitochondrien in höheren Zellen sind wesentlich "sparsamer": Ihr kurzes Genom besteht aus einigen wenigen Genen, die alle für die Zellatmung zuständig sind. Das restliche Erbmaterial haben sie verloren oder an den Zellkern abgegeben. Eine höhere Zelle muss bei der Teilung daher nur noch das Erbgut im Zellkern und die kurzen DNA-Stücke in ihren Mitochondrien verdoppeln.

Zwei Geschlechter für optimale Energieversorgung

Das Problem bei diesem System: Ein Teil der Gene für die Atmungsenzyme liegt im Zellkern. Die DNA im Kern wird aber bei jeder sexuellen Fortpflanzung durchmischt. Immer wieder kommt es zu Mutationen – in den Mitochondrien sogar zwanzigmal so häufig wie im Zellkern –, die zu unterschiedlichen Genversionen führen. Um die Energiegewinnung so effizient wie möglich zu gestalten, ist es aber wichtig, dass die Enzyme aus beiden Quellen (sie werden sowohl durch das Genom im Zellkern als auch durch das mitochondriale Genom produziert) genau zueinander passen. Die Evolution hat darum dafür gesorgt, dass jede befruchtete Eizelle, deren Zellatmung nicht effektiv genug arbeitet, abstirbt – das sind bis zu 40 Prozent der Embryonen. Dadurch, so Lane, bevorzugt die genetische Selektion stets eine optimale Enzymkombination. Das funktioniere insbesondere dann sehr gut, wenn zumindest die Mitochondrien nur von einem Geschlecht an die nächste Generation identisch vererbt – also geklont – werden. De facto besorgt also, sagt Nick Lane, allein das weibliche Geschlecht die Weitergabe der Mitochondrien. Und das sei aus Sicht der sexuellen Reproduktion von Menschen, Tieren, Pflanzen und selbst Pilzen tatsächlich der größte und entscheidende Unterschied zwischen den Geschlechtern.

Nick Lane und Reinhard Breuer | Auch Reinhard Breuer (rechts), Chefredakteur von Spektrum der Wissenschaft, sprach auf der Konferenz des EMBL mit Nick Lane (links), dem "Vater" einer Theorie von den zwei Geschlechtern.
Lane zeigt damit, dass die Natur wie so oft den besten Kompromiss hervorgebracht hat. Auch wenn die sexuelle Paarung im Vergleich mit dem Klonen eine geringere Zahl von Nachkommen bedeutet, entstehen durch die Mischung der Gene doch immer neue verschiedene Lebewesen. Wären wir alle gleich, könnte uns eine einzige Veränderung der Umwelt aussterben lassen. Die Mitochondrien dagegen müssen als Klone weitergegeben werden – und hierfür ist die Trennung in zwei Geschlechter Voraussetzung. Das eine Geschlecht vererbt nur die Zellkern-DNA, das andere hingegen zusätzlich auch die Mitochondrien – die beste Garantie für kraftvollen Nachwuchs.

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