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Grosskatastrophen: Katastrophen traumatisieren auch Unbeteiligte

Heidelberg. Terroranschläge oder Amokläufe erschüttern viele Menschen auf der ganzen Welt. Doch solche Ereignisse hinterlassen nicht nur Spuren in der Psyche von unmittelbar Betroffenen – manchmal reichen schon Fernsehbilder oder das bloße Wissen um die Geschehnisse um "kollektiven Traumata" zu erzeugen, erklärt die Sozialpsychologin Angela Kühner von der Goethe-Universität Frankfurt am Main gegenüber "Gehirn und Geist" (Ausgabe 10/2013).
Angela Kühner

So beobachteten Forscher in den Jahren nach den Anschlägen vom 11. September 2001, dass ungewöhnlich viele Amerikaner Symptome einer so genannten Posttraumatischen Belastungsstörung zeigten – selbst wenn sie von dem Angriff auf das Word Trade Center in New York nicht direkt betroffen waren. "Die Erfahrung, plötzlich als Gemeinschaft verwundbar zu sein und sich nicht wirkungsvoll schützen zu können, hat das Selbstverständnis vieler Amerikaner tief erschüttert", sagt Kühner.

Doch nicht nur die US-Amerikaner litten an den Folgen von 9/11. "Ländergrenzen spielen keine Rolle", so Kühner weiter. "Alles hängt davon ab, wie sehr sich jemand mit einem Ereignis identifiziert oder ob er das Gefühl hat: ‚Das hätte mir auch passieren können.’" Und so könne etwa ein Texaner die Terroranschläge vergleichsweise gut wegstecken, während ein Japaner, der vielleicht einige Jahre in New York gelebt hat und sich der Stadt besonders verbunden fühlt, psychisch mehr davon mitgenommen wird.

Laut Kühner haben Katastrophen wie Terroranschläge oder Amokläufe meist besonders gravierende Auswirkungen auf die Psyche: "Traumatisierungen, die dadurch entstehen, dass einem ein anderer Mensch etwas antut – sei es Vergewaltigung, Entführung oder Folter –, beschädigen die Opfer viel stärker und nachhaltiger als Traumata, die eher als Unglück erlebt werden, wie etwa Naturkatastrophen." Forscher bezeichnen solche Katastrophen auch als "Man-made Disasters".

Um den Betroffenen bei der Traumabewältigung zu helfen, seien gemeinsame Rituale wie öffentliche Trauerfeiern und Gedenktage wichtig. Auch die rechtliche Aufarbeitung kann helfen, wenn es – etwa wie etwa im Falle des Amokläufers Anders Breivik – einen Schuldigen gibt, den man vor Gericht stellen kann. Von Feinbildern rät die Expertin dagegen ab: "Aus meiner Sicht hilft Solidarität mehr."

Abdruck honorarfrei bei Quellenangabe: Gehirn&Geist, September 2013
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