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Hirnforschung: Aus Fehlern kann man lernen

Wer die Wahl hat, hat die Qual - doch um eine gute Wahl treffen zu können, brauchen wir Informationen, auf die wir sie stützen können. Diese schöpfen wir aus dem Erfahrungsschatz, den wir im Laufe unseres Lebens angesammelt haben. Doch wie verarbeitet unser Gehirn Erfahrungen?
Aktivitätsmuster EEG
Wurst oder Käse aufs Brot? Landstraße oder Autobahn? Mallorca oder Bretagne? Ständig stehen wir in unserem Leben vor größeren oder kleineren Entscheidungen. Oft genug stellt sich die Wahl im Nachhinein als falsch heraus, und wir lernen daraus für die Zukunft. Doch was findet dabei eigentlich in unserem Kopf statt?

Dieser Frage geht eine Forschergruppe um Michael Frank an der Universität von Colorado nach. Sie zeigten ihren Versuchspersonen am Computer Paare japanischer Schriftzeichen – Reize, die allen Teilnehmern bis dahin völlig unbekannt waren. Die Probanden mussten immer eines der zwei auswählen. Erschien daraufhin ein Smiley auf dem Bildschirm, hatten sie die richtige Wahl getroffen; leuchtete dagegen ein rotes Kreuz auf, lagen sie offensichtlich falsch.

Jedes Schriftzeichen war jedoch nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit korrekt, sodass sich die Kandidaten ihrer Wahl nie ganz sicher sein konnten. So erwies sich beispielsweise eines der Zeichen in achtzig Prozent aller Fälle als die richtige Entscheidung, in zwanzig Prozent dagegen sein Partner. Nach mehreren Durchgängen hatten die Versuchspersonen gelernt, welches Schriftzeichen einer Paarung sie wählen mussten, um in der Mehrheit der Fälle den Smiley zu sehen.

Nun kombinierten die Wissenschaftler die Buchstaben zu neuen Paaren und ließen die Versuchspersonen erneut wählen, wobei am Kopf befestigte Elektroden ein Elektroenzephalogramm (EEG) aufzeichneten. Direkt nachdem ein Proband erfahren musste, dass er falsch lag, zeigte sich ein charakteristischer Spannungsabfall in der Kurve der Hirnströme – die so genannte Fehler-Negativität. Dieses Muster geht auf die Aktivität einer bestimmten Hirnregion zurück, die an der Verarbeitung kognitiver Aufgaben wesentlich beteiligt ist – dem vorderen cingulären Kortex. Dort, so wussten die Forscher aus Tierversuchen, fällt die Konzentration des Botenstoffs Dopamin bei negativem Feedback ab. Ein solcher Dopamin-Abfall könnte daher mit dem Lernen negativer Zusammenhänge in Verbindung stehen.

Allerdings ist unter Wissenschaftlern umstritten, ob die Fehler-Negativität tatsächlich ihrem Namen entsprechend die Reaktion auf einen Fehler zeigt, oder ob sie vielmehr abbildet, wie groß die Qual bei der Wahl ist. Denn unter den neu zusammengestellten Zeichenpaaren gab es einfache Kombinationen, bei denen eines fast sicher zu einem Smiley geführt hätte. In anderen Paaren waren dagegen beide Zeichen etwa gleich häufig richtig beziehungsweise falsch gewesen, sodass hier die Situation weniger eindeutig und die Entscheidung entsprechend schwieriger war. Sollte die Hirnaktivität tatsächlich abbilden, wie schwer einem Probanden die Wahl fällt, müsste die Kurve im EEG hier größer ausfallen als bei den eindeutigen Paaren.

Um dies zu testen, verglichen die Forscher den Schwierigkeitsgrad mit der Höhe dieser Kurve, konnten aber keinen Zusammenhang feststellen. Bildet also das EEG tatsächlich eine Reaktion auf die negative Rückmeldung ab?

Zwar deuteten die Ergebnisse für die gesamte Gruppe der Versuchspersonen in diese Richtung. Anders sah es dagegen aus, als die Forscher ihre Probanden nach der Strategie, die sie bei ihrer Entscheidungsfindung anwendeten, in zwei Untergruppen aufteilten: Manche Probanden stützten ihre Entscheidung eher darauf, welche Alternative am ehesten richtig ist. Sie wählten bei den neu kombinierten Paaren am häufigsten das Zeichen, das ihnen die meisten Smileys eingebracht hatte. Andere richten dagegen ihr Augenmerk darauf, welche Alternativen ihnen jeweils die meisten Fehlermeldungen eingebracht hatte und vermeiden konsequent die Wahl dieses Zeichens.

EEG und Aktivitätsmuster | Zeitverlauf und EEG-Aktivität auf positive (oben: grüne Kurve, unten je linkes Muster) und negative (oben: rote Kurve, unten je rechtes Muster) Rückmeldung in der Gruppe derer, die auswählen (links) und derer, die vermeiden (rechts)
Hatte sich für die gesamte Gruppe kein Zusammenhang zwischen der Qual bei der Wahl und den Hirnströmen ergeben, zeigte sich dieser dagegen innerhalb der zwei Untergruppen: Schwierige Entscheidungen zwischen zwei überdurchschnittlich häufig richtigen Zeichen führten zu verstärkter Aktivität bei denen, die stets das Zeichen mit der höchsten Wahrscheinlichkeit wählten, nicht jedoch bei den Vermeidern. Umgekehrt erhöhte in der anderen Gruppe eine schwere Wahl zwischen zwei unterdurchschnittlich guten Zeichen den Ausschlag im EEG. Frank und seine Kollegen vermuten, dass jede Gruppe nur bei der von ihnen fokussierte Information weiß, ob es sich um eine einfache oder komplizierte Entscheidung handelt.

Welche Strategie eine Person verfolgte, wirkte sich auch generell auf ihre Reaktion auf die Fehlermeldung aus: Der Ausschlag der Kurve, die auf die Rückmeldung folgte, war bei den Vermeidern insgesamt größer. Frühere Arbeiten hatten bereits gezeigt, dass Personen, die im Versuch eine solche Strategie verfolgen, auch im Alltag mehr zu Vermeidungsverhalten, Angst und Depressionen zeigen. Frank und seine Kollegen vermuten, dass sich dieser Unterschied in der Gehirnaktivität widerspiegelt.

Endgültig klären, ob die Aktivität des cingulären Kortex eine Reaktion auf den Fehler ist oder die Qual der Wahl abbildet, konnten die Wissenschaftler nach wie vor nicht. An der Weisheit, dass man aus Fehlern lernen kann, ändert das jedoch nichts.

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