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Humanevolution: Verlaufene Kletterer

Wer auf dem Weg zum Brötchenholen morgens um acht vom Trainingsanzug tragenden, keuchenden Nachbarn mit hochrotem Kopf nicht gegrüßt wird, weil diesem die Puste fehlt - der könnte meinen, Menschen seien nicht zum Joggen geboren. Er hätte unrecht.
Burn to run?
Hätte am Wettrennen zwischen Hase und Igel auch der Mensch teilgenommen, wo würde er wohl landen? Vielleicht ist er noch cleverer als der Igel – zumindest im fairen athletischen Wettstreit aber wären seine Chancen gegen den Hasen denn wohl doch eher schlecht. Und wenn dann auch noch sieggewohnte Champions wie Pferd und Windhund mitlaufen? Keine Chancen mehr für Homo sapiens für einen Platz auf dem Siegertreppchen. Soweit zumindest bisher die Meinung von Ergonomen, Biologen und Biodynamikern: Für manches ist der Mensch geschaffen, darunter allerdings nicht unbedingt Laufwettbewerbe gegen das Tierreich.

Was allerdings auch etwas davon abhängt, ob wir von Sprint oder Marathon reden, meinen nun Daniel Lieberman von der Harvard Universität und Dennis Bramble von der Universität von Utah. Sie haben die Laufleistungen von Primaten einschließlich des Menschen und einiger anderer Tiere verglichen.

Zunächst einmal wirklich schlecht schneiden da tatsächlich unsere affigen Verwandten ab: Bringen Sie doch mal einen Orang-Utan oder Gorilla dazu, länger als die allerkürzeste Sprintdistanz in einigermaßen flottem Tempo zurückzulegen! Auch bei ausgedehnten Habitatwanderungen bewegen sich Primaten gemächlich vorwärts. Kein Wunder, schließlich fallen beim Affen wie Menschen die Hälfte der zur Fortbewegung dienlichen Extremitäten aus: Nur eines statt zwei Beinpaare – und die schnellste Gangart rennender Vierfüßer, der Galopp, entfällt ebenfalls. Aber der gemeinsame Vorfahre von Affe und Mensch hatte ja gute Gründe, die Vorderbeine zu Händen umzuformen und damit für wichtige Klettertätigkeiten und allerlei Werkzeugmanipulatives frei zu machen. Da muss man eben ein paar weniger bedeutsame Nachteile in Kauf nehmen, was im Falle des Laufens ja bei Affen- und frühen Menschenahnen auch kein Problem war – in Bäumen rennt es sich ohnehin schlecht.

Dann allerdings eroberten die menschlichen Vorläufermodelle einen boomenden neuen Lebensraum: die Savanne. Dort nun wäre die Fähigkeit schnell und ausdauernd herumzulaufen für Australopithecus und Co doch schon ganz schön hilfreich gewesen. Zum Beispiel sollte man einen meilenweit entfernten Punkt, über dem Geier kreisen, schnellstmöglich ansteuern, um an Ort und Stelle möglichst große Brocken nahrhafter Aasreste abzustauben – die bevorzugte und bequemste Möglichkeit der damaligen Zeit an Fleisch zu kommen.

Als mehr Sammler denn Jäger sollten die Vormenschen große Gebiete möglichst zeitsparend durchqueren können. Blöd also, ein nicht galoppierfähiger Zweibeiner zu sein? Nicht unbedingt, die Evolution kennt da viele Auswege. Trotz eines festgefahrenen Konstruktionsentwurfes – eben zweibeinigem Ausgangsmaterial – wurde schließlich auch aus dem Straußenvogel ein ziemlicher Renner. Und Lieberman und Bramble stellen fest, das einiges an Laufinnovation schon in das anatomische Design von Homo erectus gesteckt wurde, unserem Vorfahr und seinerseits Abkömmling der lauffaulen Australopithecus-Ahnen, die einst aus den Bäumen gewackelt waren.

Verbessert wurde schon das frühe Modell Mensch in den Bereichen Energetik, Stärke, Stabilität und Thermoregulation, so die Forscher. Der Savannenläufer Homo erectus hatte wie der moderne Mensch etwa eine längere Achillessehne und insgesamt längere Bänder an kürzeren, daher auch ergonomischer arbeitende Muskeln. Statt des Galopps verfallen ausdauernd laufende Menschen in eine trabende Gangart – Arme und Beine pendeln gegenläufig, wodurch der Körper insgesamt stabilisiert wird. Solches wurde durch einige Umbauarbeiten auf dem Weg von Australopithecus zu Homo erectus stark erleichtert: Die Schulterpartie wurde verbreitert und tiefer gelegt, die Hüftgürtelmuskulatur dagegen schmaler, beide Rumpfbereiche sind dadurch gegeneinander beweglicher und von den Kopfbewegungen entkoppelt. Gestützt wird der pendelnde Laufkörper durch stark vergrößerte Gluteus-maximus-Muskeln – also ein deutlich ausladenderes Gesäß. Zur Laufstabilität trägt auch bei, dass die Frontalpartie des Kopfes flacher wird – der Kopf kann ausbalanciert pendeln beim Dauerlauf. Insgesamt ist der Homo-erectus-Körper länger und schmaler, was auch der Thermoregulation gut tut: Ein optimiertes Verhältnis von großer Oberfläche zu kleinerem Körpervolumen als beim gedrungene Australopithecus verbessert die Transpiration – unbedingt notwendig zur Kühlung während der Dauerlaufanstrengung.

Schon die Homo-erectus-Anatomie passte sich ans Laufen an | Australopithecus afarensis und Homo erectus unterscheiden sich in einigen anatomischen Merkmalen, die den Menschen Langstreckenläufe erleichterten.
Insgesamt listen Lieberman und Bramble 26 dem ausdauernden Laufen dienliche anatomische Anpassungen auf, die auf dem Weg von Australopithecus über Homo habilis und H. erectus zum modernen Menschen eingebaut wurden. Homo sapiens, so fassen die Forscher zusammen, wurde eigentlich durch das Langstreckenrennen erst zu dem, was er ist.

Und nun kann der Mensch – zurück zum Rennen mit Hase und Igel – auch durchaus mit Tieren in mancherlei Hinsicht mithalten, besonders im Ausdauerbereich. Ein einigermaßen trainierter Jogger etwa läuft mit einem Tempo von etwa vier Metern pro Sekunde – Ponies fallen da schon in den eher sprintanalogen Galopp, ebenso bei ergonomischen Modellrechnungen ein virtueller Vierfüßer vom Gewicht eines Joggers. Menschen laufen zudem auch recht regelmäßig ihre zehn Kilometer – da kommen wandernde Windhunde, Hyänen und Wölfe, Spezialisten beim Beherrschen großer Gebiete, auch nicht auf viel mehr pro Tag. Solche typischen Langstreckenläufer des Tierreichs rennen, geben die Forscher zu, trotz aller Lauf-Anpassungen des Menschen deutlich energiesparender. Dies aber gleicht Homo dadurch aus, das ohne weitere großartige energetischen Verluste sein Tempo über einen weiten Bereich steigern kann – Pferde etwa haben genau ein Vorzugstempo, welches sie ohne weiteres nicht erhöhen können.

Und die Zukunft der menschlichen Dauerlauf-Designs? Bleibt ungewiss – im Kampf "unbeweglich herumklickender Büromensch" gegen "auch im Schneeregen sich die Kniegelenke ruinierender Jogger" scheint es angesichts des frühstmorgendlichen Gewimmels auf den Stadtpark-Laufhighways unentschieden zu stehen. Siegt allerdings der sitzende Büromensch, so bleibt so manche Zivilisationskrankheit – und von Jahrmillionen der Laufanatomie-Evolution am Ende vielleicht nur das breite Gesäß.

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